Noch nie so schlecht wie jetzt – die Beziehungen zwischen Bund und Ländern sind, mal wieder, schlecht
Belastungsproben im Verhältnis zwischen Bund und Ländern wie selten standen an – in diesen Wochen der Auseinandersetzungen über Gasumlagen, Preisdeckel, Entlastungspakete und Ausgleichsmaßnahmen. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer erwecken den Anschein, schlecht wie nie sei das Bund-Länder-Verhältnis, parteiübergreifend und wenig Rücksichten auf Koalitionskonstellationen nehmend. Natürlich äußern sich die Landesregierungschefs der Unionsparteien deutlicher – ihre Parteifreunde im Bundestag stehen in Opposition zur Ampelkoalition. Und wie stets tut sich Markus Söder aus Bayern besonders hervor. Doch auch die andere Seite nimmt kaum ein Blatt vor den Mund. Der Vorwurf: Die Bundesregierung habe ihre Planungen zur Bewältigung der multiplen Krisen nicht mit den Ländern abgestimmt. Die Berliner Ampelkoalition fasse Beschlüsse, deren Finanzierung am Ende von den Ländern mindestens mitgetragen werden müsse. Und als Olaf Scholz in der vergangenen Woche an Corona erkrankt war, verschoben die Landesfürsten nicht etwa ihre Besprechungen, an denen der Bundeskanzler ja teilnehmen wollte und sollte. Sie berieten erst einmal unter sich.
Ein politisches Zeichen der besonderen Art war das. Die Warnung stand im Raum, das „Entlastungspaket“ des Bundes erst einmal scheitern zu lassen und in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zu schicken. Da ist es verhandlungstaktisch hilfreich, die Backen aufzublasen und die These vom schlechtesten Bund-Länder-Verhältnis aller Zeiten in die Welt zu setzen. Bei Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ist das auch so.
Sonderlich gut ist in diesen Monaten das Verhältnis zwischen den Akteuren von Bund und Ländern tatsächlich nicht. Die Gründe dafür sind auf drei miteinander verwobenen Ebenen zu finden. Die zwischenmenschliche Ebene gibt es, also das persönliche Auskommen der Protagonisten, die oft schon seit Jahren miteinander zu tun haben – als Widersacher in Wahlkämpfen wie auch als innerparteiliche Konkurrenten. Damit verknüpft sind – auf einer anderen Ebene – die unterschiedlichen parteipolitischen Interessen, die sie einschließlich der koalitionspolitischen Umstände zu berücksichtigen haben. Schließlich geht es um die sachpolitische Ebene – wie meist und früher schon ums Geld. Immer schon erhoben die Bundespolitiker – gleich welcher Couleur – den Vorwurf, die Landesregierungen wollten „den Bund“ finanziell austrocknen. Und immer schon erhoben die Landesfürsten – auch diese fast gleich welcher Parteizugehörigkeit – den Vorwurf, der Bundestag beschließe Gesetze, deren Folgen anschließend zu Lasten der Landeshaushalte gingen. Das Bundesgesetz, jedes Kind habe einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, war einst ein Beispiel dafür. Heute geht es um das 9-Euro-Ticket und seine Nachfolger. Finanzielle Ausgleichsmaßnahmen bei der Neuverteilung von Steuereinnahmen, bei Subventionen oder anderen Unterstützungsmaßnahmen des Bundes für die Länder werden interessenbedingt schnell vergessen.
Dass der Kampf um Finanzmittel derzeit besonders heftig ist, erklärt sich aus der Lage Deutschlands. Nach den noch nicht überwundenen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise kamen seit Russlands Überfall auf die Ukraine neue Belastungen auf die Bürger und Wirtschaft zu. Die extrem gestiegenen Kosten für Energie betreffen alle. Die Bundesregierung steht in der Verantwortung. Die Landesregierungen aber auch. Verteilungskämpfe herrschen aller Orten. Sie haben Debatten über verfassungsrechtliche Regelungen („Schuldenbremse“) zur Folge, die quer zu den parteipolitischen Linien von Regierung und Opposition geführt werden: SPD, Grüne und Linkspartei gegen Union und FDP. Der uralte Streit über die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie wird neu geführt. Auseinandersetzungen über scheinbare Details können Sprengkräfte entwickeln und werden durch Preissteigerungen angeheizt, die höher sind als in den vergangenen 70 Jahren. Einem Stresstest sondergleichen sind die Nerven der politisch Verantwortlichen ausgesetzt. Geraten sie physisch wie psychisch an das Ende ihrer Kräfte? Man scheint es ihnen anzusehen.
Auf eine sichere Unterstützung durch „ihre“ Landesregierungen kann sich die Berliner Ampelkoalition nicht verlassen. Nur Rheinland-Pfalz wird von einer gleichfarbigen Koalition aus SPD, Grünen und FDP regiert. Im Bundesrat ist die derzeitige Bundesregierung weit von einer „eigenen“ Mehrheit entfernt – eine immer noch so genannte Große Koalition aus Union und SPD wäre das übrigens auch. Die in den 1970er-Jahren aufgekommene Unterscheidung zwischen „A-Ländern“ (SPD-geführt) und „B-Ländern“ (Unions-geführt) ist im Kern überholt, auch wenn diese beiden Parteilager immer noch 14 der 16 Ministerpräsidenten der Länder stellen. 13 verschiedene Koalitionen gibt es dort. Die kleineren Bündnispartner bestimmen laut Koalitionsverträgen das Abstimmungsverhalten im Bundesrat ebenso mit wie die Parteien der jeweiligen Ministerpräsidenten. Die haben das zu berücksichtigen – bei Abstimmungen im Bundesrat wie auch bei Verhandlungen im Kreis der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler und anderen Mitgliedern der Bundesregierung. Markus Söder (CSU-Ministerpräsident in Bayern) ist auf den Partner der Freien Wähler angewiesen, so wie Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg) auf die CDU, so wie die CDU-Ministerpräsidenten von Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auf die Grünen, so wie Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz) auf FDP und Grüne.
Ob auch dieses Mal bewährte Instrumente der Konfliktlösung eingesetzt werden? In Steuerfragen taten sich „reiche“ Bundesländer gleich welcher Parteienkonstellation zusammen – Baden-Württemberg, Bayern und Hessen etwa oder die ostdeutschen Länder mit ihren ähnlichen Interessen. Und wenn es hart auf hart kam, griff der Bund – zumal bei knappen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat – gern zum Mittel des „Rauskaufens“: Einem Bundesland werden Gelder zur Strukturförderung zugesagt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war ein Meister darin.
Weil irgendwo immer Wahlkampf ist, kommen – wie jetzt – zusätzliche Einflüsse hinzu. Beispiel Niedersachsen mit seiner Landtagswahl an diesem Sonntag: Die Wahlkämpfer der (noch?) oppositionellen Grünen haben auf die Politik der amtierenden rot-schwarzen Landesregierung (etwa zur Laufzeit von Kernkraftwerken) einen größeren Einfluss als die mitregierende CDU. Beispiel Bayern, wo in einem Jahr Landtagswahl ist: Söder will Ministerpräsident bleiben, aber keinesfalls auf die Grünen angewiesen sein, was die Schärfe seiner Attacken auf die Partei erklärt. Beispiel Hessen, wo ebenfalls in einem Jahr Landtagswahl ist: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) will im Amt bleiben, wird aber wohl weiterhin auf die Grünen setzen (müssen). Mit antigrünem Vokabular hält er sich zurück. Unter solchen Umständen fällt es der Bundesregierung schwer, im Bundesrat „sichere“ Verhältnisse auszuhandeln.
Teuer – im Wortsinn wie im politisch übertragenen Sinn – war das schon immer. In den Anfangsmonaten der Corona-Krise im Frühjahr 2020 etwa: Bei Maßnahmen gegen die Seuche preschten die einen Ministerpräsidenten vor, die anderen bremsten ab, und je nach Lage verkehrten sich wenig später ihre Positionen ins Gegenteil. „Flickenteppich“ wurde es genannt. Berliner Zentralisten wurden ausgehebelt. Zudem führten Umstände, Interessen und Personen dazu, dass den Ministerpräsidentenkonferenzen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – Corona-bedingt als Schaltkonferenzen geführt – jegliche Vertraulichkeit abhandenkam. Wortwechsel und Vorbereitungspapiere der Bundesregierung wurden regelmäßig „durchgestochen“, wie das unschön heißt. Schlecht wie heute war damals das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten. Das Kanzleramt wurde auch damals als schuldig ausgemacht. Es habe die Besprechungen nicht ordentlich vorbereitet, lautete der Vorwurf. Merkel konnte die Konflikte nur begrenzt erfolgreich übertünchen – durch ihren scheinbaren Langmut während der Sitzungen. Nicht ganz nebenbei wurden die Presseauftritte im Anschluss an die Ministerpräsidentenkonferenzen medienwirksam ausgeschlachtet – tauglich auch als Wahlkampfbühne.
Und Olaf Scholz? Dem Bundeskanzler eilt zu Recht der Ruf voraus, immer schon alles besser und früher als die anderen gewusst zu haben – vor allem auf dem Gebiet der Finanzpolitik. Schon früher drangsalierte er Parteigenossen damit, und schon früher neigte er dazu, mit seinen Absichten geheimniskrämerisch umzugehen. Gesprächspartner, die ihre Ausführungen weniger konzise in die Länge ziehen, gehören nicht zu seinen Favoriten, was ihm den Ruf hanseatischer Arroganz einträgt. Christian Lindner (FDP) ist von ähnlichem Naturell. Die Ausführungen des Finanzministers zeichnen sich durch ständige Wiederholungen des zuvor Gesagten aus, was den Langmut der Gesprächs- und Verhandlungspartner strapaziert. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) ist von anderer Art; ihm wiederum werden wegen seiner mäandernden Darlegungsformen Vorhaltungen gemacht.
Den Kanon gibt es: „Die Menschen sind schlecht. Sie denken an sich. Nur ich denke an mich.“ Bundespolitiker denken amts- und pflichtgemäß zuerst an den Bund. Das Motto der Landespolitiker lautet aus ebensolchen Gründen: „Erst das Land, dann der Bund.“ Ein „Früher war alles besser!“ schwingt bei den Bewertungen mit, nie sei das Bund-Länder-Verhältnis so schlecht gewesen wie jetzt. Doch so wie Tarifparteien auch fanden Bund und Länder noch immer einen Ausgleich. Dann geben sie sich befriedet – bis zum nächsten Mal.
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