Mir ist es nicht klar, wie er das macht. Am Donnerstagabend voriger Woche in Berlin haben wir ihn gefeiert – etwa 200 Menschen im linksliberalen Umfeld – und es sagt etwas über die Liberalität der Naumann-Stiftung aus, dass nicht nur viele ehemalige Jungdemokrat:inn:en, die nach 1982 in anderen Parteien wie den Grünen, den Linken oder der SPD beitraten, eingeladen wurden. Es war ein kulturell vielfältiges Umfeld, das dieser Mann zusammenbrachte, welches weit über die FDP und ihr übliches Wähler:innenspektrum hinaus geht. Viele Facetten seines Lebens wurden angesprochen und Weggefährt:innen wie Zeitzeugen huldigten ihm. Am Samstagmorgen rückte er im Deutschlandfunk schon wieder die Dinge um die Kriminalisierung von Umweltaktivist:inn.en der “Letzten Generation” vor dem Hintergrund des Demonstrationsgrundrechts und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurecht.

In aller Klarheit erklärte Baum die einfachen Prinzipien des Demonstrationsgrundrechts als einer Verfassungsnorm, die konstitutiv, d.h. ursprünglich und grundlegend für unsere freiheitliche Verfassung das wichtigste Recht der Bürger:inn:en formuliert, zwischen den Wahlen ihrer politischen Meinung Ausdruck zu geben.  Er macht weiter, er bleibt unbequem und das ist gut so.  Denn trotz der liebevollen Würdigung durch seine langjährige Kampfgefährtin um liberale Bürgerrechte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger klangen manche Bekenntnisse der derzeit regierenden Liberalen leider wenig glaubwürdig oder hatten ein beklagenswert kurzes Verfallsdatum.

Die Einlassungen der Regierenden…

Will Christian Linder wirklich manchmal mit Gerhart Baum tauschen, wie er bekannte? Und würde Gerhart Baum das überhaupt wollen?  Wie kann es sein, dass Marco Buschmann, FDP-Justizminister, genau zwei Tage, nachdem er bei der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin Gerhart R. Baum als sein liberales Vorbild beschwor, im Fernsehen über härteres Vorgehen und Haftstrafen gegenüber genau jenen Umweltaktivisten schwadronierte, die Gerhart Baum gerade in den Schutz der Ausübung von Grundrechten eingeschlossen hatte?  Aber das kennt Gerhart R. Baum, weil er ja seit 1982, nachdem ihm die FDP zumutete – so haben es wissende Autoren in der Festschrift zu seinem 90. beschrieben – feststellen musste, dass sein liberales Bundesinnenministerium ausgerechnet dem korrupten und rechten CSU-Politiker Ede “Old Schwurhand” Zimmermann überantworteten – eine persönliche Beleidigung für den Bürgerrechtlier. Aber das ficht den alten Jungdemokraten nicht an.

…angesichts der Kämpfe seines Lebens

Die Veranstaltung holte seinen erfolgreichen Kampf gegen die Altnazis in der FDP der 50er und 60er Jahre dank den Zeitzeugen Günter Verheugen und Heiner Bremer erfolgreich ins Bewusstsein der Zuhörenden zurück. Befremdlich für Günter Verheugen die hypothetische Frage von Anna Planken, ob er noch in der FDP wäre. hätte sich Baum damals durchgesetzt und wäre die sozialliberale Koalition nicht zerbrochen. Zu wenig wusste offensichtlich die gar nicht mehr so ganz junge WDR-Moderatorin über veränderte Machtverhältnisse, den radikalen Kurswechsel der FDP-Programmatik von der linksliberalen Reformpartei zur wirtschaftsliberalen bürgerlichen Blockpartei an der Seite der CDU. Sie wusste nicht, wie strategisch und lange vorbereitet die “Wende” von 1982 betrieben worden war. Und welchen politischen Positionswechsel im demokratischen System der Bundesrepublik die “Wende” angesichts der aufstrebenden Grünen Partei die FDP vorgenommen hatte.

Quo Vadis FDP?

Sie ist keine Bürgerrechtspartei mehr und es ist offen, ob die Spitzen der FDP das überhaupt wollen. Dabei hätte Marco Buschmann die besten Voraussetzungen, um die FDP als liberale Rechtsstaatspartei neu zu profilieren. Grüne und FDP haben in dieser Koalition beide die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt und es gibt im BMJ einen Gesetzentwurf für das von vielen Datenschützern empfohlene “quick freeze”-Verfahren, den Buschmann derzeit nicht in die Ressortabstimmung geben darf, weil die SPD-Innenministerin dies offensichtlich  in der Tradition von Otto Schily im Kabinett blockiert. Nancy Faeser hat nämlich – Noske lässt grüßen – den CDU-Staatssekretär mit CDU-Parteibuch für “Sicherheitspolitik” übernommen.

Gegen diesen jeder liberalen Politik zuwider laufenden Akt könnte doch mal die FDP einen positiven Koalitionskonflikt provozieren. Anstatt sich an den Steinzeitthemen Atomenergie und Tempolimit an den Grünen abzuarbeiten, bestünde die tolle Chance für die FDP, einen Hauch liberalen Rechtsstaatsprofils gegen den autoritär gepolten Koalitionspartner SPD auszuspielen. Faesers Steilvorlage müsste Buschmann nur mühelos in Abstauberposition zum Tor einkicken. Wer sich diese Gelegenheit entgehen lässt, hat keinen Arsch in der Hose oder ist eben nicht liberal.

Schade.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net