Best of 6. Februar 2023: Kanzleramt und AA, Diplomatie, Flak-Zimmermann, USA-China, Türkei, Indien
Roland Appel hatte kürzlich und vielgelesen die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Bundeskanzler- und dem Auswärtigen Amt problematisiert. Diplomatie gehört – spätestens seit der Corona-Pandemie – zu den aussterbenden arten/Kulturtechniken. Sie verträgt sich nicht mit 0 und 1, ist für Künstliche Idiotie zu intelligent. Für nicht wenige Politiker*innen leider auch. Das hat Olaf Scholz nun offensichtlich in Brasilien mal selbst ausgebadet.
Es wird ihn nicht amüsiert haben, dass es Michael Maier/Berliner Zeitung nicht entgangen ist: “Lehrstunde von Lula für Scholz: Wie kam es zu dieser Blamage? – In Lateinamerika lief Bundeskanzler Scholz ins weltpolitische Abseits. Das war unnötig: Die Bundesregierung hätte die Position der anderen Länder kennen können.”
Es gibt dazu verschiedene Ebenen. Das eine ist die von Maier diskutierte Performance. Der Olaf, den ich persönlich kannte, wird sich darüber unsterblich geärgert haben. Dann gibt es die sachliche Ebene, wie Lulas Initiative zu beurteilen ist. Darüber gehen die fachlichen Meinungen auseinander. Beispielhaft:
Sabine Fischer/SWP: “Brasilien als Vermittler – Sicherheitsexpertin Fischer: Lula überschätzt seine Möglichkeit, China zu bewegen – Brasiliens Präsident Lula hat vorgeschlagen, zusammen mit der chinesischen Führung im Ukraine-Krieg zu vermitteln. Peking werde diese Vermittlungsrolle auf keinen Fall ohne Aussicht auf Erfolg annehmen.” (Audio 9 min).
Wolfgang Sporrer im Jacobin-Interview mit Alexander Brentler: “»Es kommt darauf an, ob man den Krieg von oben betrachtet oder von unten« – Diplomatie statt Eskalation – diese Forderung wird im Ukrainekrieg häufig von links erhoben. Der Diplomat Wolfgang Sporrer zeigt mögliche Wege zu offiziellen Verhandlungen auf – und warnt vor zu optimistischen Erwartungen auf eine schnelle Lösung des Konflikts.” Sporrer leitete die Abteilung für die humanitäre Dimension der OSZE-Mission in Kiew und war als politischer Berater in der EU-Delegation in Moskau und in verschiedenen Funktionen für die OSZE in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und im Kosovo tätig. Zur Zeit lehrt Sporrer Konfliktmanagement an der Hertie School in Berlin.
Flak-Zimmermann
Vor gut zwei Wochen hatte Extradienst-Leser Peter Kramer mich auf diese aussergewöhnlich gründliche Recherche von Wilhelm Neurohr zu den Interessen hinter der FDP-Lobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aufmerksam gemacht.
Das zieht jetzt auch Kreise in der Schweiz, worauf mich wiederum unser vielgelesener Autor Andreas Zumach aufmerksam macht. “Tamedia überspielt Strack-Zimmermanns Interessenkonflikte – Tages-Anzeiger, Bund etc. portraitierten die FDP-Politikerin, ohne ihre militärpolitischen Engagements beim Namen zu nennen.” schreibt Urs P. Gasche/infosperber. Tamedia ist das liberale Konzern-Gegenstück zur noch rechts von der deutschen FAZ positionierten Neuen Zürcher Zeitung/NZZ. Einzelne personelle Lichtblicke gibt es, wie in jedem fetten Apparat, auch in diesen.
Was Gasche hier beklagt, können Sie inländisch fast wörtlich auf Medien Ihrer eigenen Wahl anwenden. Ausser Küppersbusch-TV!
USA – China
Jake Werner/Responsible Statecraft/telepolis: “Washington bläst die China-Ballon-Drohung künstlich auf – Der politische Super-GAU in den USA droht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden. Die Spannungen zu China werden zunehmend zu einer Krise eskaliert. Warum das falsch und gefährlich ist.” Er bestätigt die gestern erwähnten Sichtweisen zu diesem Ballon-Getöse.
Woanders wird auch gezündelt
Mit der nahenden Abwahl des Despoten Erdogan wachsen die Spannungen überall dort, wo türkische Interessen berührt sind, bzw. von ihm als seine gesehen werden:
Jan Keetman/Jungle World: “Die Türkei, Libyen und Griechenland streiten um Erdgasvorkommen im Mittelmeer – Zank um Bodenschätze – Rivalisierende Ansprüche auf Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer verstärken die Spannungen zwischen der Türkei, Libyen und Griechenland”. Und ein eingängiger Grund, warum das Nato-Mitglied Griechenland glaubt, seine Panzer gegen das Nato-Mitglied Türkei selbst zu benötigen.
Modi-Regime und Adani-Affäre in Indien
In der “grössten Deomkratie der Welt” kann von Medienfreiheit so wenig die Rede sein, wie im türkischen Erdogan-Regime. Auch der Umgang mit der Justiz ähnelt sich. In der Gesellschaft gibt es Widerspruch und Opposition, aber sie hat in der Politik und in den Massenmedien keine Repräsentanz. Das lernen Sie aus dieser informativen Reportage:
Gilbert Kolonko/overton: “Indien: Das Golden-Beach System – In Indien herrscht Kapitalismus pur. Selbst soziale Politiker rütteln nicht an Grundpfeilern. Trotzdem gibt es selbst in Indiens Kleinstädten beeindruckende Fortschritte zu sehen – und bemerkenswerte Aktivisten, Richter, Anwälte und Bürger.”
Ich habe mich an Nils Schmid, den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gewandt und ihm paar Fragen gestellt:
Sehr geehrter Herr Schmid,
was macht eigentlich die Deutsche Botschaft in Brasilien? Nur Sambatanzen?
Wo waren diese Herrschaften denn bei der Vorbereitung der Reise von Bundeskanzler Scholz
nach Brasilien?
Was macht der BND in Brasilien – hauptberuflich nichts merken?
Ok Zeitung lesen und bisschen Nachrichten hören hätten auch genügt, um zu wissen, wie
Lula tickt. Ich finde, Deutschland sollte ihn dafür für den Friedensnobelpreis vorschlagen.
Im Gegensatz zu dem, was ich aus dem Bundestag derzeit so höre, scheint man in
Brasilien noch einen klaren Kopf zu haben. Im Bundestag scheint außer den Linken
überwiegend ein Gemütszustand und vor allem Geistlos-Zustand wie 1914 vorzuherrschen.
Waren Sie mit in Brasilien?