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Macht der Chef Diplomatie jetzt selbst?

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einer arbeitsintensiven diplomatischen Reise die wichtigsten südamerikanischen Staaten und Freunde besucht. Argentinien, Brasilien und Chile sind nicht nur ökonomisch wichtige Partner – sie sind auch lange von Deutschland nicht gerade vorrangig behandelt worden. Das hatte zum Teil seine guten Gründe, denn nicht zuletzt das rechtspopulistische Bolsonaro-Regime hat mit Regenwaldzerstörung und Korruption die Bereitschaft der EU zur Kooperation auf eine harte Probe gestellt.

China stören solche Fragen bekanntermaßen weniger, weshalb die Wirtschaftsdelegation, die Scholz begleitete, feststellen musste, dass die Chinesen nach dem “Hase-Igel”-Prinzip einen gewissen Vorsprung errungen haben. Es ging in Argentinien um Stahl und seltene Erden, in Brasilien um Palmöl, Methanol und alternative Kraftstoffe, in Chile um Lithium für die E-Mobilität. Und in allen drei Ländern ging es auch um die Frage, wie sie zum Krieg gegen die Ukraine stehen. Der Kanzler musste zur Kenntnis nehmen, dass alle drei Länder an einer Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen und der politischen Zusammenarbeit sehr interessiert sind. Insbesondere Lula, der sich mit einer bolsonaro-nahen Parlamentsmehrheit konfrontiert sieht, braucht Freunde in Europa. Aber das reicht eben auch nicht aus, dass Brasilien als Teil der BRICS-Staaten, die sich prinzipiell als Konkurrenz aufstrebender Mächte zur G7 verstehen, sich gegen die Partner dieses Bündnisses wendet.

Keine Munition für Leopard und Gepard

So blieb Scholz’ Bitte um Munitionslieferungen für Gepard- und Leopardpanzer – von denen allein Chile über 202 Leo 1 und 170 Leo 2 verfügt – ungehört und vergeblich. Gleichwohl machte er gute Miene zum aussichtslosen Spiel und bekannte sich dazu, die Verhandlungen über das MERCOSUR-Freihandelsabkommen voran treiben zu wollen. Präsident Lula da Silva wiederum schlug seinem Bruder der sozialdemokratischen Internationale vor, Brasilien könne ja gemeinsam mit China und Indien eine Friedensinitiative zwischen Russland und der Ukraine vermitteln. Scholz nahm dies zunächst einmal diplomatisch zur Kenntnis. Damit unterschied er sich nicht nur fundamental von seiner Aussenministerin, die sich Ende Januar höchst peinlich in Südafrika durch ihre Tweets so sehr blamierte, dass sich das Auswärtige Amt offiziell entschuldigen musste. Baerbock unterschied sich dabei in keiner Weise im Grad der Peinlichkeit ihrer Parteifreundin Sara Nanni MdB. – Wir haben darüber berichtet.

Mit Realpolitik die Beziehungen gerettet

So geriet seine Reise unter dem Strich zu einem gut vorbereiteten realpolitischen Unterfangen, um die Zusammenarbeit Deutschlands und der EU mit Südamerika neu zu justieren, auf eine solide Grundlage zu stellen und festzustellen, dass der Russland-Ukrainekrieg keineswegs von allen demokratischen Staaten so eingeschätzt wird, dass “hier unsere Demokratie verteidigt wird”, wie es aus Berlin und Brüssel tönt. Es geht um einen imperialistischen und aus niedrigen Beweggründen geführten Krieg, aber offensichtlich sind die demokratischen Regierungen der Staaten, die eine koloniale Geschichte mit dem Westen verbindet, oder die unter vom Westen unterstützten Militärdiktaturen gelitten haben, wie Argentinien, Chile und Brasilien aufgrund dieser Geschichte weit weniger empört über Russland, als es das Abstimmungsergebnis der UNO über den Ukrainekrieg suggeriert. So war es gut und wichtig, dass Scholz etwa gegen das üble Erbe der Colonia Dignidad ein sichtbares Zeichen gesetzt hat. Das skandalöse Verhalten der Deutschen in Argentinien, wo zur Fußball-WM 1978 in Stadien gespielt wurde, in denen kurz zuvor noch Gegner der Militärjunta zusammengetrieben worden waren, die Unterstützung des Putschgenerals Pinochet und  die Kooperation deutscher Konzerne mit dem brasilianischen Militärregime sind gerade bei Südamerikas Demokraten immer noch präsent.

Peinlichkeiten Baerbocks in Südafrika und im Europarat

Währenddessen ist in den letzten Wochen die Außenministerin von einem Fettnäpfchen in das andere getreten. Erst hat sie sich in Südafrika laut “Stuttgarter Zeitung” mit klischeehaften Formulierungen zum Ukraine-Krieg und Verhältnis zu Afrika nur Unverständnis geweckt. Kurz darauf folgte ihr fahrlässiger Lapsus im Europarat mit der Formulierung “wir führen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander”, und dann begab sie sich auf eine Reise, um die Bereitschaft von Staaten auszuloten, die russische Staatsspitze vor ein Sondergericht zu stellen. Da Russland wie die USA den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht anerkennt, hatte die EU-Kommission im November zwei Vorschläge für Sondertribunale gemacht, um die Aggression Russlands zu ahnden. Ein internationales Sondergericht und ein solches mit “hybridem” Charakter, an dem auch nationale Richter*innen teilnehmen könnten – auch aus der Ukraine. Letzteres hatte Baerbock unterstützt. Damit ist die Außenministerin von der von Deutschland seit den 90er Jahren konsequent vertretenen Linie abgewichen, Den Haag als einzigen internationalen Strafgerichtshof zu etablieren. Und sie musste einräumen, dass auch diese Konstrukte nicht dafür taugten, Putin, Lawrow oder anderen russischen Regierungsmitgliedern den Prozess zu machen. Auch hiermit manövrierte Baerbock Deutschland letztlich in eine politische Sackgasse. Allein Frankreich unterstützte am Ende noch ihren Vorschlag.

Das Fell eines Bären verteilt, der munter um sich schiesst

Nun ist es gerade nicht Aufgabe einer Aussenministerin, diplomatische Wirrwarr zu stiften oder Sackgassen auszuloten. Diplomatie, das haben Aussenminister wie Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Joschka Fischer gezeigt, hat zuvörderst die Aufgabe Konflikte zu vermeiden, zu befrieden oder zu klären, nicht aber derzeit Utopisches oder Unmögliches zu versuchen. Was sind Planspiele um Tribunale anderes, die nach Masstäben der “werteorientierten Außenpolitik” amtierende Repräsentanten einer Atommacht vor Gerichte stellen wollen, wo doch offensichtlich ist, dass eine vernichtende Niederlage Russlands der unwahrscheinlichste Ausgang des Ukrainekrieges sein wird. Das mutet an, als würde ein Amtsrichter in Prüm versuchen, Donald Trump wegen Steuerhinterziehung zu verurteilen.  Die ganze “Werteorientierung” der angeblich neuen grünen Außenpolitik bricht vor der Realität wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Außenpolitik ist Interessenpolitik – nichts sonst

Es ist Zeit, dass die Bundesregierung zu einer realistischen Außenpolitik zurückkehrt und gestelztes und ideologisches Beiwerk hinter sich lässt. Egon Bahr war ein seltenes Exemplar der Realpolitik. Ihm wäre ein derartiger Begriff niemals über die Lippen bekommen. Legendär sein Plädoyer in einer Schulklasse: “In der internationalen Politik geht es niemals um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht im die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.” Annalena Baerbock war nicht in dieser Schulklasse. Aber es sind auch die Grünen insgesamt, die sich Gedanken über Außenpolitik machen müssen. Leider wurde das Feld hierzu lange den falschen Propheten überlassen. Das liegt in Struktur und Geschichte der Partei begründet.

Es gibt keine “grüne” Außenpolitik

Im Gegensatz zu SPD und FDP, die seit der Reformpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs, Walter Scheels und Hans-Dietrich Genschers die Politik des “Wandels durch Annäherung” jahrzehntelang mit Erfolg betrieben haben, und der CDU, die unter Helmut Kohl und Angela Merkel letztlich diese Außenpolitik weitergeführt hat, haben die Grünen das immer abgelehnt, ohne eigene Alternativen zu entwickeln. Es gibt keine Bundesarbeitsgemeinschaft Außenpolitik, sondern traditionell zwei Bundesarbeitsgemeinschaften, deren Dissens in der Strategie nie ausdiskutiert wurde.

Da ist zum einen die BAG Frieden, in der seit jeher viele Aktive der Friedensbewegung, aus Kirchen, und Initiativen die Raketenblockierer*innen, zivil Ungehorsamen und Pazifisten, wie Petra Kelly es war, organisiert sind. Daneben haben sich in der BAG Menschenrechte früh diejenigen zusammengefunden, die mit politischem K-Gruppen-Hintergrund sowie Trotzkisten und alt-68er des “Prager Frühling” die Sowjetunion als Ursache allen Übels verurteilt haben und auch nach 1990 keine Strategie fanden, um alte (Vor-)Urteile zu überwinden. Im Gegenteil, Protagonisten wie Ralf Fücks, Reinhard Bütikofer, Marie-Luise Beck fühlen sich durch Putin bestätigt. Aufgrund der Dominanz von Joschka Fischer und der Revision pazifistischer Positionen wegen des Kosovo-Krieges hat es zu keinem Zeitpunkt die Entwicklung von etwas gegeben, das den Namen “grüne Außenpolitik” verdient hätte.

Falken und Tauben nebeneinander her

Obwohl der Kosovo-Krieg viele Pazifist*innen aus den Grünen hinaus trieb, wurstelten, die “Tauben” danach in der BAG Frieden in eingefahrenen Bahnen weiter, entwickelten auch das eine oder andere europäische Teilkonzept, verlangten nach Abrüstung und lehnten das 2%-Ziel der NATO als militaristisch ab. Währenddessen die “Falken” sich spätestens ab Mitte der 2000er Jahre immer mehr mit Russland beschäftigten und auf die Unterstützung von – z.T. auch zwielichtigen – Dissidenten konzentrierten. Der größte Coup gelang den “Falken” Beck und Fücks mit der Gründung der sogenannten “Liberalen Moderne”, die mit Fördergeldern von einer halben Million aus dem Kanzleramt jährlich Kriegsrhetorik, sowie die Forderung nach einer “Flugverbotszone” über der Ukraine und damit den direkten Kriegseintritt der NATO. Aufgrund dieser Gemengelage entstand bisher weder eine positive Vision einer demokratisierten und sozialen Europäischen Union, noch eine Vorstellung von einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem, das Entwicklungen wie den Ukrainekrieg hätte vermeiden können, oder nun ihn irgendwann überwinden und Europa stabilisieren helfen könnte. Wissenschaftlich und politisch gemäßigte Stimmen wie der ehemalige Staatsminister Dr. Ludger Volmer, bei Fischer im Auswärtigen Amt, erscheinen heute als einsame Rufer in der Wüste. Volmer wird nicht einmal zu einer dieser Bundesarbeitsgemeinschaften eingeladen.

Die Grünen müssen ihre Hausaufgaben machen

Einen außenpolitischen Entwurf aus grüner Hand wäre wünschbar – nur kann es ihn nicht ohne eine Überwindung der bisherigen Strukturen geben, in denen Friedenstauben und Interventionsfalken ihren Konflikt nicht einmal austragen, geschweige denn entscheiden. Es ist auch nötig, um den schwammigen Bezeichnungen wie “feministische Außenpolitik” oder “Klimaaußenpolitik” Substanz und Bodenhaftung zu verleihen. Die feministische Außenpolitikerin Baerbock hat jedenfalls bisher keine erfolgreiche Initiative gegen das patriarchalische Mullahregime im Iran gefunden, und auch in der Klimaaußenpolitik, die sie Steffi Lemkes Ressort entzogen hat, kommt Baerbock nicht wirklich vor. Ändert sich das nicht bald, könnte es politisch eng für sie werden.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Peter Lessmann-Kieseyer

    Lieber Roland Appel, die Kritik an den Grünen stimmt, wobei ich an manchen Stellen noch drastischer formulieren würde. Die so genannte “wertebasierte” und “feministische” Außenpolitik von Annalena Baerbock ist nichts anderes als ein Papiertiger. Mit moralischer Empörung fortlaufend in diesen düsteren Kriegszeiten Politik, sprich Außenpolitik, machen zu wollen und dabei die eigentliche Aufgabe zu vergessen, nämlich Diplomatie zu betreiben, Kriege zu verhindern beziehungsweise unaufhörlich bis penetrant nach Verhandlungslösungen zu suchen, manövriert sich Baerbock ins Abseits. Der zitierte Satz von Egon Bahr ist richtig: “In der internationalen Politik geht es niemals um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.” Als Außenministerin hat die grüne Politikerin vollständig versagt. Da mag die mediale Öffentlichkeit Baerbock noch so oft auf den Schild heben und da mag sie noch so oft mit Orden “Wider den tierischen Ernst” oder ähnlichem Unfug gefeiert werden.

  2. Helmut Lorscheid

    Das Dummerchen Baerbock würde ich auch eher – wie geschehen – mit der Strack-Zimmermann gemeinsam nach Aachen als Karnevalsrednerinnen schicken, um dort für ihre dusseligen Reden einen Karnevals- Orden zu bekommen. Das ist diese außergewöhnlich dumme Frau besser aufgehoben als bei ernsthaften Gesprächen mit so klugen Menschen wie Lula.

  3. Peter Clever

    Bride bisherigen Kommentatoren sind so selbstherrlich wie der Autor. Gut und richtig, dass sie ihren Bauchnabel zeigen dürfen (denn Meinungs-und Redefreiheit sind unentbehrlich), aber einflusslos bleiben. Wer unterstützt, dass es in der internationalen Politik niemals um Demokratie und Menschenrechte geht hat keinen Kompass! Kluge Diplomatie weiss um die Interessen aller Beteiligten, navigiert aber mit dem Ziel, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen oder durchzusetzen.

    • Roland Appel

      Lieber Peter, falsch unterstellt. Niemand mit Verstand würde aufgeben, sich für Bürgerrechte und -Freiheiten einzusetzen, Dissidenten freizubekommen oder unter vier Augen Klartext zu sprechen, Verstöße gegen Redefreiheit, Pressefreiheit usw. zu mokieren. Das haben wir schon als Jungdemokraten mit der FDJ oder Komsomol der UdSSR gelernt und praktiziert. Aber erfolgreich tut man das eben nicht durch öffentliches Gepläster und Getöse, sondern dafür gibt es harte vertrauliche Gespräche. Mit Erfolg hat die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition hunderte Verfolgte der DDR freigekauft – von Kohl weitergeführt und den “realen Sozialismus” letzlich zum Scheitern gebracht. Ein wichtiger Grundsatz kluger Diplomatie ist auch, den Gegner nicht öffentlich bloßzustellen. Die “feministische” Außenpolitik Baerbocks hat bisher weder Erdogan, noch die Mullahs zu Zugeständnissen genötigt, sondern nur peinliche Momente geschaffen.

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