Wie China weltweit Staaten untergräbt – Vor zehn Jahren startete Pekings erstes geopolitisches Großprojekt, die Neue Seidenstraße. Unser Autor bereiste Schauplätze dieser Machtverschiebung Richtung China. Ein Buchauszug.
Die Luft hängt schwer und schwül über der Colombo Port City, einer 270 Hektar großen, mit Sand aufgeschütteten Fläche vor den Toren der Hauptstadt Sri Lankas. Eine Grafik der South China Morning Post, einer Zeitung aus Hongkong, zeigt ein futuristisches Manhattan in den Subtropen. 2011 startete das Projekt. Nur: Seit Jahren ist da nichts außer einem Haufen Sand und ein paar Baukränen. Zur Zwischennutzung hat man einen Golf Shooting Range und einen Quad-Park errichtet. „Am Wochenende spielen hier die Chinesen“, sagt ein kleiner, etwas rundlicher Mann, der Golfschläger verleiht. Knapp die Hälfte des aufgeschütteten Landes gehört bereits einer chinesischen Firma, die hier eine Sonderwirtschaftszone für internationale Unternehmen errichten will. Die Colombo Port City ist ein überdimensioniertes chinesisches Projekt, das der 500.000-Einwohner-Stadt einen hypermodernen Anstrich geben soll.
Sri Lanka ist vom chinesischen Festland mehr als 5000 Kilometer Luftlinie entfernt. Die Insel an der Südspitze Indiens liegt aber strategisch günstig auf halbem Weg zwischen Ostasien und dem rohstoffreichen Afrika sowie dem Persischen Golf – auf einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Es ist also aus Pekings Sicht sinnvoll, dem 22-Millionen-Einwohner-Staat besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Vor 2000 gab es keine oder keine nennenswerten Investitionen Pekings in Sri Lanka. Laut einer Studie der Verite Research Group aus Sri Lanka flossen auch zwischen 2005 und 2009 nicht mehr als zwei Millionen US-Dollar von Peking nach Colombo. Dann aber wurden aus den Millionen plötzlich Milliarden. Lange Zeit war nicht einmal die genaue Höhe der Schulden bekannt: Mal war von drei, mal von zwölf Milliarden US-Dollar die Rede, die Sri Lanka Peking schulde. Im August 2022 spricht das Finanzministerium von Sri Lanka von insgesamt zehn Milliarden US-Dollar bilateralen Schulden, von denen die Hälfte bei China liegt.
Sri Lanka ist dabei kein Einzelfall. Laut IWF stehen derzeit 21 Staaten vor der „Insolvenz“ beziehungsweise haben Probleme, ihre Schulden zurückzuzahlen: von Ägypten bis Pakistan, von Sri Lanka bis Laos. Sogar von der größten Schuldenkrise der Geschichte ist die Rede, nimmt man die Anzahl der davon betroffenen Menschen als Maßstab – rund 700 Millionen. Dass es dazu kommen konnte, liegt nicht nur, aber vor allem dem chinesischen Großprojekt Neue Seidenstraße.
Vor zehn Jahren hielt der chinesische Präsident Xi Jinping in der kasachischen Hauptstadt Astana eine folgenschwere Rede, die als Startschuss des auch als Belt and Road Initiative bekannten Projektes gilt. Seitdem flutet die chinesische Regierung insbesondere Schwellenländer mit Milliarden von US-Dollar, um in den jeweiligen Staaten Infrastrukturprojekte zu finanzieren. So entstand unter anderem eine Bahnstrecke, die die chinesische Metropole Chongqing mit der deutschen Stadt Duisburg verbindet. Vor allem aber baut Peking Bahnstrecken, Straßen und Häfen in Afrika und Asien, um Rohstoffe Richtung China zu transportieren. Entlang der Maritimen Seidenstraße errichtete Peking Pipeline-Terminals in Myanmar und einen chinesischen Hafen in Sri Lanka; von der kenianischen Hafenstadt Mombasa soll ein chinesischer Zug einmal alle großen Hauptstädte Afrikas miteinander verbinden. Eine Autobahn führt vom Hightech-Gefängnis Xinjiang in Nordwest-China über das Karakorum-Gebirge nach Pakistan. Hinzu kommt eine Digitale Seidenstraße, auf der China Internetstandards für das 21. Jahrhundert etablieren will und seine Überwachungstechnologie exportiert.
China konnte mit der Neuen Seidenstraße mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen hatte das Land nach einem Infrastrukturpaket als Reaktion auf die große Finanzkrise 2009/2010 Überkapazitäten aufgebaut. Nachdem chinesische Firmen im ganzen Land in Windeseile Flughäfen, Zugstrecken und Bahnhöfe aus dem Boden gestampft hatten, war der Bedarf innerhalb des Landes langsam gedeckt. An den Aktivitäten der Staatsunternehmen aber hingen auch Zehntausende Arbeitsplätze. Warum also sollten die Firmen nicht über die chinesischen Landesgrenzen hinweg aktiv werden? Außerdem hatte Peking in den vergangenen 20 Jahren einen gigantischen Berg an US-Dollar angehäuft. Als Xi Jinping 2013 die Macht ergriff, begann sich das Verhältnis zu den USA langsam zu verschlechtern. Die Devisenreserven in Form von Infrastrukturprojekten zu diversifizieren, kam also ebenfalls gelegen.
Das Muster war stets dasselbe: Peking vergibt einen Milliardenkredit in US-Dollar für ein solches Projekt mit der Auflage, chinesische Unternehmen damit zu beauftragen und chinesische Materialien zu bestellen. Niemand, und wahrscheinlich nicht einmal die chinesische Regierung selbst, weiß genau, wie viel Geld zu welchen Konditionen verliehen wurde. Zwar kam 2021 eine Studie zum AIData zu dem Schluss, dass sich Chinas Ansprüche auf mindestens 840 Milliarden US-Dollar belaufen. Davon seien rund 385 Milliarden „hidden debt“, also versteckte Schulden. Im Idealfall erwirtschaftet das Projekt einen Gewinn, mit dem das Land seinen Kredit zurückzahlen kann – eine Win-win-Situation, wie Peking immer wieder betonte. Das Ergebnis zehn Jahre später ist allerdings oft eine Lose-lose-Situation.
Sri Lanka steckt gerade in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Die Inflation liegt bei 80 Prozent. Das Land ist faktisch zahlungsunfähig. Der Hafen von Hambantota im Süden des Landes ist mittlerweile in chinesischer Hand. Peking lockte die Regierung von Sri Lanka mit großzügigen Krediten, den Tiefseehafen in Auftrag zu geben – natürlich an chinesische Unternehmen. Rund 1,3 Milliarden US-Dollar kostete das Projekt anfangs, bis 2012 wuchsen die Kosten auf 1,5 Milliarden und schließlich auf 1,8 Milliarden an. Das Geld sollte bis 2036 zurückgezahlt werden. Allerdings machte der Hafen nur Verluste. In der gleichen Zeit aber musste die Regierung von Colombo sowohl den Kredit abstottern als auch hohe Zinsen dafür bezahlen. Spätestens im Dezember 2016 wurde klar, dass der Hafen wohl nie so profitabel werden würde, wie es die Studien anfangs suggeriert hatten. Die Regierung konnte ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen und einigte sich mit dem chinesischen Gläubiger auf eine Restrukturierung. Es kam zu einer Verpachtung an chinesische Staatsunternehmen für die kommenden 99 Jahre. Der Hafen von Hambantota ist nun quasi in chinesischer Hand.
Zum Hafen wird man mittlerweile nicht mehr vorgelassen. Besichtigen aber kann man den nur wenige Kilometer entfernten Flughafen von Hambantota. Der Mattala International Airport wurde ebenfalls mit einem chinesischen Kredit von 190 Millionen US-Dollar gebaut – und wird nur von einer Handvoll Flugzeuge angeflogen. In China gilt oft das Prinzip: Erst mal bauen, die Leute kommen später. Der Flughafen von Hambantota aber steht sechs Jahre nach Eröffnung noch immer leer. Das heißt: Leute kommen schon, aber es sind Besucher und Touristen, die einen Sonntagsausflug zu einem leeren Flughafen machen. Die Sicherheitsleute am Eingang durchsuchen die Taschen, als könne tatsächlich jemand Sprengstoff hineinschmuggeln, um ein Flugzeug in die Luft zu sprengen. Es ist bloß keines da. Drinnen meinte eine Sicherheitsangestellte, dass heute kein Flug gehe. Auch nicht diese Woche. Und sonst eigentlich auch nicht.
Es gibt mehrere solcher Projekte in Sri Lanka: das einzige, angeblich viel zu teure Kohlekraftwerk, ein gigantisches Cricket-Stadion und der 350 Meter hohe Lotus Tower in Colombo. Und es drängt sich die Frage auf, weshalb die verantwortlichen Politiker sich darauf eingelassen haben.
Nicht alles kann man Peking in die Schuhe schieben. „Für die aktuellen Probleme sind wir selbst verantwortlich“, sagt Patali Ranawaka, Energieminister Sri Lankas zwischen 2015 und 2019. „Für Korruption und Misswirtschaft brauchen wir nicht den Chinesen die Schuld geben.“ Er sieht das Land in einer „Sandwich-Position“ und findet es nur natürlich, Investitionen von allen Partnern anzunehmen.
Andreas Hergenröther war lange Vorsitzender der deutschen Auslandshandelskammer in Taiwan und Sri Lanka und kennt das strategische Vorgehen Pekings gut. Heute hat er eine eigene Beratungsfirma in Colombo. „Man kann China dieses strategische Denken nicht übel nehmen. Problematisch ist eher das Fehlen von Plänen seitens des Westens“, sagt er. Allerdings sind Geschäfte mit korrupten Politikern eben auch ein Kennzeichen der chinesischen Seidenstraßen-Diplomatie. Von Kasachstan bis Kenia hat die kommunistische Partei in den vergangenen Jahren ihren Einfluss ausgedehnt. Menschenrechte oder demokratische Strukturen sind dabei kein Kriterium. Im Gegenteil – überall, wo westliche Staaten sich zurückziehen, springt Peking ein und nutzt die Gier lokaler Politiker.
„Korruption spielt bei all diesen Projekten eine Rolle. Investitionen sind ja prinzipiell gut, nur die Projekte rentieren sich oft nicht“, sagt Imran Furkan vom Thinktank Verite Research. Vieles, wie der Flughafen von Hambantota, ergebe nur politisch, nicht aber ökonomisch Sinn. „Die Chinesen denken und agieren langfristig“, sagt Furkan. Hinzu kommen ökologische Schäden. Der Flughafen liegt in einem Vogelbrutgebiet, außerdem brechen Elefanten immer wieder auf das Gelände ein. „Westliche Staaten verleihen das Geld verantwortungsvoller.“
Die gegenwärtige Schulden- und Wirtschaftskrise Sri Lankas erhöht den chinesischen Druck nur weiter. Die hohen Kreditraten an China beschleunigten all dies. „Derzeit schrumpft die gesamte Wirtschaft hier. Wir brauchen einen Schuldenerlass und hoffen, dass China zustimmt“, sagt Ex-Minister Ranawak. Bisher will China aber lediglich neue Kredite vergeben.
Und wenn nicht? Dann könnte das, was inoffiziell eh schon in Chinas Hand ist, auch offiziell „konfisziert“ werden. „Eine Verpachtung wie im Fall des Hafens ist auch bei anderen Projekten denkbar“, meint Furkan vom Thinktank Verite.
Am 24. Mai erscheint von Philipp Mattheis „Die dreckige Seidenstraße – Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt“ im Goldmann-Verlag. Dieser Text ist ein leicht veränderter Auszug daraus. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.
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