Er verwandelte Worte und Gedanken in Bilder – Abschied von Hans-Georg „Aldi“ Aldenhoven (1960-2023)
Wenn es jemanden gab, der das Gesicht der ila geprägt hat, dann war es Hans-Georg Aldenhoven, den alle nur Aldi nannten. Über mehr als 20 Jahre hat er nahezu jede Titelseite der ila gestaltet und war in der Zeit unser aktivster und produktivster Layouter. Als er Ende der Achtzigerjahre zur ila kam, war er in der linken Szene Bonns bekannt wie ein bunter Hund. Wann immer es für eine Veranstaltung einer Initiative ein Plakat oder ein Transparent zu machen gab, hieß es, „Fragen wir doch Aldi“. Natürlich wurde erwartet, dass er das umsonst machte. Ganz selten hat er mal für eine solche Arbeit etwas Geld bekommen, etwa wenn er den Grünen die großen Bühnentransparente für ihre Parteitage entworfen oder ein Plakat für eine Großdemo der Friedensbewegung gezeichnet hat.
Er wusste durchaus, dass seine Arbeiten gut waren, aber er sah sich nie als Künstler, sondern verstand sich als Teil einer politischen Bewegung, in deren Aktionen und Kämpfe er sich mit seinen Entwürfen einbrachte. Deshalb hat er die Grafik auch nicht zu seinem Beruf gemacht. Er konnte sich wohl nicht vorstellen, seine Fähigkeiten der Werbebranche zu verkaufen. So absolvierte er neben seiner politischen Arbeit ein Architekturstudium in Köln, das er erfolgreich abschloss. Er arbeitete zunächst in einem größeren Architekturbüro, dann in einem kleineren, machte sich schließlich mit seiner Partnerin Wia Gerlund selbstständig. Diejenigen, die mit ihm als Architekt zu tun hatten, fanden ihn kreativ, zuverlässig und waren mit einer Arbeit zufrieden.
Als sich das bunte links-alternative Milieu (das sich selbst gerne als linksradikal bezeichnete) der Achtzigerjahre mit seinen Gruppen, Plena und vielfältigen geselligen Aktivitäten am Ende des Jahrzehnts langsam auflöste und mehr und mehr Zusammenhänge wegbrachen, orientierte sich Aldi hin zur ila, einer der wenigen Gruppen in der Bonner Szene, die damals weitermachten. Im Jahr 1984 war er mit einer Solibrigade in Nicaragua gewesen. Danach hatten wir ihn mehrmals angesprochen, ob er nicht bei uns mitmachen wollte.
Zunächst hatte er gezögert, weil Lateinamerika außer dem Nicaragua-Aufenthalt in seinem Leben keine Rolle gespielt habe. Schließlich kam er doch, auch weil seine damalige Partnerin in der ila aktiv geworden war.
Er meinte jedoch sofort, Redaktion und Schreiben seien nicht so sein Ding, er würde bei der Layoutgruppe einsteigen. Das war einerseits ein enormer Gewinn für die ila, andererseits habe ich immer bedauert, dass er nicht schreiben wollte. Denn das konnte er sehr wohl. Die wenigen Texte, die ich von ihm las, waren von präziser Beobachtung gekennzeichnet, politisch und stilistisch gut und vor allem äußerst ironisch und humorvoll. Das war auch in seiner Persönlichkeit ein Charakterzug, den alle, die mit ihm zu tun hatten, an ihm schätzten.
Auf charmante Art ernstgemeintes Lob
Auch ohne formale Hierarchien war er in Layoutfragen in der ila die Autorität. Alle, die dabei mitmachten, fragten ihn stets, ob Bildauswahl oder -anordnung, die sie sich überlegt hatten, passen und gut aussehen würden. Meistens sprach er dann auf seine charmante Art ein ernstgemeintes Lob aus, oder er schlug gewisse Korrekturen vor, wie das ein guter Chef eben tut (was aber in selbstverwalteten Betrieben ohne Chefs oder Chefinnen viel zu selten passiert). Wenn jemand frustriert war, weil sie/er überhaupt keine passende Illustration oder kein geeignetes freies Foto für einen Artikel fand, griff er auch schon mal zu einem seiner stets mitgebrachten Bleistifte und zeichnete eine zu dem Text passende Karikatur.
Zu den vier monatlichen Layouttagen kam er jeweils nach einem langen Arbeitstag aus seinem Büro und blieb dann bis Mitternacht oder länger in der ila. Er konnte ganz still arbeiten und dann fröhlich strahlen, wenn er mit einem Entwurf zufrieden war oder wenn Ralf, der bis heute die Entwürfe aller Layouter*innen am PC umsetzt, seine Ideen aufgriff und oft noch das entscheidende Detail beisteuerte, das Aldi wirklich zufrieden machte. Aber ebenso, wie er konzentriert vor sich hin arbeiten konnte, war er bei den Layouts auch ein begnadeter Unterhalter, der wunderschön bildhaft erzählen und – was im Rheinland eher selten ist – aufmerksam zuhören und die Gedanken anderer Gesprächsteilnehmer*innen aufgreifen konnte. Dabei hat er gerne und viel getrunken. Die meisten von uns haben lange nicht verstanden oder die Augen davor verschlossen, dass der Alkohol irgendwann sein Treibstoff war, ohne den er nichts mehr machen konnte.
Und er machte immer mehr. Als Gernot Wirth mit über 70 die ehrenamtliche Geschäftsführung und Finanzverwaltung der ila abgab, übernahm Aldi das, bastelte sogar über viele Monate nächtelang ein neues Verwaltungsprogramm, obwohl er bis dahin vom Programmieren keine Ahnung hatte. Vielleicht hätte er sich dabei, wie in anderen Punkten, professionelle Hilfe holen sollen. Aber das kam für ihn nicht in Frage. Seine Autonomie war ihm heilig.
Für mich war Aldi in der ila immer eine ganz wichtige Person, deren Rat ich oft suchte. Wir haben uns eine Zeitlang auch regelmäßig privat getroffen. Dann waren wir meistens „kulturell unterwegs“, wie wir es nannten. Das bedeutete, dass wir ins Theater oder in ein Konzert gingen. Wir waren altersmäßig nur einen Monat auseinander. Zu unserem 50. Geburtstag 2010 hatten die ila-Leute ein Überraschungsfest organisiert und eine Sonder-ila erstellt mit Beiträgen über uns, die sie heimlich geschrieben, gesammelt und – zum ersten Mal ohne Aldis Hilfe – wunderschön layoutet hatten.
Alzheimer
Irgendwann wurde Aldi anders. Er, der sonst so zuverlässig war, vergaß Termine oder zugesagte Aufgaben. Sowohl in der ila als auch in seinem Büro. Irgendwann teilte mir Wia mit, dass er, gerade mal Ende 50, an einer Form von Alzheimer litt. Sie meinte, wir sollten das wissen, obwohl ihr Aldi aufgetragen habe, dass niemand etwas davon erfahren solle.
Er übergab kurz danach – weil er zu viel zu tun hätte, wie er sagte – die ila-Finanzverwaltung an Gaby Kleinen. Die Geschäftsführung haben wir versucht, unter uns anderen aufzuteilen, was seitdem mehr schlecht als recht funktioniert. Anfangs kam Aldi noch zu den Layouts, dann immer seltener, bis er schließlich gar nicht mehr auftauchte. Angesichts seiner Erkrankung, kombiniert mit dem Alkoholproblem, schloss er sich immer mehr ab. Umgekehrt schafften wir es als Gruppe nicht, auf ihn zuzugehen und ihn weiter in unsere Aktivitäten einzubeziehen.
Er war zwar stets ein geselliger Mensch gewesen, hatte aber andererseits nie seine sozialen Kontakte gepflegt. Er war ja in der WG, im Job, im Chor, in der ila immer unter Leuten. Als er krank wurde, war dieses soziale Umfeld nicht mehr gegeben. Viele von uns empfanden vor allem Hilflosigkeit, mit der Situation umzugehen. Einige versuchten, den Kontakt zu halten, aber es war schwierig, vor allem wenn er oft nicht mehr telefonisch erreichbar war, weil er vergaß, sein Telefon aufzuladen, oder es nicht mehr fand. Gerade während der Pandemie war das fatal. Was er weiterhin liebte und pflegte, war die Musik. Er spielte sehr gut Klavier und auch Gitarre. Lange sang er auch noch in einem Chor, bis die Pandemie die Proben verhinderte. Danach fand er trotz Einladungen nicht mehr den Weg zurück. Wieder ein Stück wichtiger Struktur, das er verlor.
Bei meinem letzten Besuch Anfang September wirkte er sehr verwirrt und depressiv. Es war schwierig, mit ihm zu sprechen. Der erst wenige Wochen zurückliegende Tod von Wia, von der er zwar seit mehr als 15 Jahren getrennt war, die aber immer eine wichtige Kontaktperson blieb, nahm ihm ein weiteres Stück Struktur. Auch hatte er wenige Wochen zuvor aus seiner vertrauten Wohnung ausziehen müssen, was ihm sehr zusetzte. Zum Klavierspielen habe er auch keine Lust mehr, meinte er. Als wir aber auf länger zurückliegende Ereignisse zu sprechen kamen, wurde er plötzlich wieder lebendig und beschrieb etwa ganz engagiert das Problem der Wasserversorgung der Häuser, die er mit seiner Brigade 1984 in Nicaragua gebaut hatte. In solchen raren Momenten leuchteten seine Augen. Sonst blickten sie leer in die Ferne. Am 18. September ist Aldi in Sankt Augustin gestorben.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 469 Okt. 2023, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.
Anm. Martin Böttger: ich hatte nur in den Nullerjahren Gelegenheit mit Aldi an einem Onlineprojekt praktisch zusammen zu arbeiten. Das Projekt schlief irgendwann ein, was mehr an mir lag, und überhaupt nicht an ihm. Ein angenehmer konstruktiver und solidarischer Mitmensch, von denen es in dieser Stadt zu wenige gibt.
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