Wie gefährlich sind maschinelle Beatmungen? – Während Corona galten maschinelle Beatmungen und das Ecmo-Verfahren oft als Heilmethoden. Eine neue Studie zeigt jedoch: Die Sterbezahlen sind auch außerhalb der Pandemie erschreckend hoch.
„Wir haben alles getan, konnten ihn aber leider nicht retten.“ Diesen Satz hören Angehörige auf deutschen Intensivstationen häufig. Er wirkt für beide Seiten tröstlich, weil er die Ausschöpfung moderner intensivmedizinischer Möglichkeiten signalisiert und so den Angehörigen einen Funken Trost vermitteln kann. Der gesunde Menschenverstand ist etwas robuster verankert und lässt zumindest Zweifel aufkommen. Geht es doch darum, nicht „alles“, sondern das Angemessene und Erfolg Versprechende zu tun.
Die vorangehende Eskalation der Behandlung folgt gerade auf den Intensivstationen nicht selten einem Automatismus, dem schwer Einhalt zu gebieten ist. Hat man sich einmal zur Verlegung auf eine Intensivstation entschlossen, so wird der Wunsch des Patienten und auch der Angehörigen in vielen Fällen vorweggenommen, dass alles getan werden soll. Hierzu gehören im intensivmedizinischen Repertoire vor allem die Intubation mit maschineller Beatmung.
Diese Beatmungsform macht eine Ruhigstellung (Sedierung) des Patienten, meist als künstliches Koma bezeichnet, zwingend erforderlich. Der Patient kann nicht mehr essen, trinken oder kommunizieren. Neben der künstlichen Ernährung werden nach dem Start der invasiven Beatmung in nahezu hundert Prozent der Fälle kreislaufstützende und andere Medikamente erforderlich, ebenso wie die körperliche Vollpflege. Die Belastung der Pflegenden und der Angehörigen in solchen Situationen ist groß, körperlich für die einen, emotional für beide Seiten. Der Gesprächsbedarf wächst, der Intubierte aber kann nicht mehr mitreden.
Verschlechtern sich unter der Beatmung die Werte des Gasaustausches (Sauerstoff- und Kohlendioxidwerte) weiter, so bleibt als Ultima Ratio nur die extrakorporale Oxygenierung/Ecmo. Bei diesem Verfahren wird durch eine Maschine das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und Kohlendioxid entzogen. Einer der Spezialisten dieses Verfahrens ist Professor Christian Karagiannidis.
Studie von Karagiannidis: erschreckend hohe Sterbezahlen
Als Erstautor einer vor wenigen Tagen hochrangig publizierten Arbeit stellen er und seine Mitautoren das vorangehend geschilderte intensivmedizinische Vorgehen und damit ein Standardverfahren der Medizin durch erschreckend hohe Sterbezahlen jetzt infrage. Dies ehrt die Autoren.
Die ausgewerteten Datensätze berücksichtigen alle in Deutschland vom Beginn des Jahres 2019 bis zum Ende des Jahres 2022 in 1395 deutschen Kliniken beatmeten Patienten ab dem 18. Lebensjahr, insgesamt 1.003882 Patienten.
Die Gesamtsterblichkeit aller Menschen unter Beatmung (vorwiegend invasiv mit Tubus und seltener nichtinvasiv mit Maske) betrug im Mittel 43 %, unter alleiniger invasiver Beatmung 53 %. Die Sterblichkeit steigt deutlich an mit dem Alter der Patienten, gipfelnd in einer Sterblichkeit von 59 % im Alter über 80 Jahre. Die geringste Sterblichkeit findet sich erwartungsgemäß in der Altersgruppe von 18-59 Jahren mit immerhin noch 28 %. Die Menschen über 80 Jahre wurden mit einer Rate von über 1000 pro 100.000 Einwohner mit Abstand am häufigsten beatmet. Anders formuliert, wurde die Gruppe mit den schlechtesten Aussichten auf Überleben am häufigsten beatmet. Berücksichtigt man die Sterbezahlen des Statistischen Bundesamtes, so findet man unter den jährlichen Toten jeden Zehnten an der Beatmungsmaschine. Kommt es zum Einsatz der Ecmo, steigt die Sterblichkeit je nach Verfahren auf 74 bis 80 %.
Bei der Diskussion der Daten sagte ein guter Bekannter, Arzt und Unternehmer: Eine 50:50 Chance ist kein seriöses Angebot. Das Angebot einer medizinischen Leistung mit einer durchschnittlichen Sterblichkeit von 43 % kostet die Solidargemeinschaft nach Angaben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) 6 Milliarden Euro pro Jahr.
Der Blick vieler Kollegen auf die Sterblichkeit und auch die ökonomischen Aspekte der Intensivmedizin ist ein anderer als bei dem zitierten Bekannten. Oft hören wir die Aussage, ohne uns und ohne Beatmung wären die anderen Menschen auch gestorben. Eine solche Haltung signalisiert nicht den Willen zur Verbesserung.
Tatsächlich ist die invasive Beatmung allein eine über viele Jahre geübte klinische Praxis und wurde nie gegen ein anderes Verfahren bzw. abwartendes Verhalten getestet. Dies allein festzustellen, ruft angesichts eines so fest im intensivmedizinischen Repertoire verankerten Verfahrens schon Empörung hervor. Was an der Faktenlage nichts ändert.
Die Beatmung ist kein Heilverfahren
Der Gedanke, die Beatmung sei ein Heilverfahren, würde also zur Genesung der Lunge beitragen, ist wohl weitverbreitet und wurde insbesondere während der Pandemie suggeriert. Tatsächlich ist jede Form von Beatmung, gleich ob invasiv über Tubus oder nichtinvasiv über Maske (NIV) in allererster Linie nur eine Unterstützung der Atemmuskulatur. Die Heilung einer Lungenentzündung wird durch Beatmung selbst nicht beeinflusst. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass eine Beatmung, insbesondere mit hohen Sauerstoffkonzentrationen, die Lunge sogar zusätzlich schädigt.
Selbst in kritischen Phasen ist eine nichtinvasive Beatmung zumeist ausreichend, wenn überhaupt nötig. Sie hat den unschätzbaren Vorteil, dass der Patient wach und kooperationsfähig bleibt, spontan essen, trinken und sich bewegen kann. Der Betreuungsaufwand ist bei diesem Verfahren für Ärzte und Pflegende größer, erfordert einen höheren Grad an Beobachtung und Zuwendung als bei invasiver Beatmung mittels Tubus und erfordert auch entsprechende Erfahrung. Der intubierte und invasiv beatmete Patient ist hingegen vollständig von der Maschine abhängig; er braucht „nur als Körper“ noch Pflege von erfahrenem Personal. Der Betreuungsaufwand ist entsprechend geringer.
Es wundert nicht, dass in der aktuellen Studie die wesentlich geringere Sterblichkeit unter nichtinvasiver Beatmung (27% bei alleiniger Anwendung ebendieser) dokumentiert wird. Häufig wird der Einwand geltend gemacht, Patienten, die mittels nichtinvasiver Beatmung überleben, seien deutlich weniger krank als die invasiv Beatmeten. Hierfür gibt es aber keine Belege.
Der Verlauf wird grundsätzlich in erster Linie von der Grunderkrankung, etwa einer Lungenentzündung, bestimmt. Hier kommt es meist zu einer vorübergehenden Verschlechterung, die durch keine Form der Beatmung beeinflusst werden kann. Unter einer invasiven Beatmung aber wird eine solche Verschlechterung meist durch Veränderungen der Beatmungsparameter (Frequenz, Volumen), vor allem aber durch höhere Sauerstoffgaben „geschönt“, sodass einige typische Parameter dichter am Normalbereich sind. Dies ist aber reine Kosmetik und verschleiert eher den echten Verlauf der Erkrankung.
Dabei wird auch vergessen, dass die Lunge und andere Organe (auch das Nervensystem) sauerstoffempfindliche Organe sind. Hohe Sauerstoffkonzentrationen sind toxisch, Sauerstoff ist das typische Oxidans. Auf der anderen Seite besitzt der menschliche Organismus eine hohe Toleranz gegenüber einem Sauerstoffmangel. Diese zum Teil schon vor Jahrzehnten in vielen Untersuchungen erarbeiteten Erkenntnisse sind offensichtlich in Vergessenheit geraten.
Eine Vielzahl von Arbeiten zeigt, dass die Messung des Sauerstoffmangels im Blut allein kein geeigneter Parameter ist, um die Gefahr eines Sauerstoffmangels im Gewebe (gleich ob Hirn oder Herz) abzuschätzen. Dennoch wird im Alltag auf den Intensivstationen vor allem die sogenannte Sauerstoffsättigung (sehr leicht mit einem Fingerklipp zu messen) oder der Sauerstoffpartialdruck (im arteriellen Blut zu bestimmen) als entscheidender Parameter genutzt. Die medizinischen Leitlinien geben hier Zielwerte vor, die pathophysiologisch nicht begründet sind und daher zu unnötigen Beatmungen mit zum Teil schweren Komplikationen führen.
Der ökonomische Anreiz zur Beatmung
Die Daten aus der Publikation von Karagiannidis et al. werfen viele Fragen auf: Ist der Personalmangel oder die Personalausbildung schuld? Braucht es definierte Spitzenzentren? Brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion zum Sterben, zur Palliation oder zu juristischen Aspekten bei Therapiebegrenzung?
Es fehlen aber entscheidende Bausteine in dieser so notwendigen Debatte: Eine einmal etablierte Infrastruktur wird schnell zum Selbstzweck, vorhandene Betten werden gefüllt. Der ökonomische Trigger bei der gut bezahlten Beatmung ist groß und damit verführerisch. Es wundert angesichts vieler Fragen und Spekulationen aber vor allem, dass niemand die wissenschaftliche Frage stellt, ob alle Beatmungen unter pathophysiologischen Gesichtspunkten überhaupt notwendig sind bzw. ob die Parameter, die zur Indikation einer Beatmung herangezogen werden, die richtigen sind! Hier aber liegt das Problem, und hier bedarf es dringend einer neuen Betrachtung.
Weniger zu tun, ist aus verschiedenen Perspektiven (menschlich-ethisch, juristisch, medizinische Leitlinien) viel schwerer als proaktiv zu agieren. Dies gilt auch für die Vermittlung eines zurückhaltenden Therapiekonzeptes gegenüber Patienten und Angehörigen. Auf der anderen Seite zeigt die aktuelle Studie, dass der alte Satz kluger Ärzte immer noch Gültigkeit besitzt: When the machines start going the patient starts dying.
Thomas Voshaar war Ärztlicher Direktor am Krankenhaus Bethanien Moers und bis 2023 über 30 Jahre Chefarzt des Lungenzentrums. Er ist seit über zehn Jahren Vorstandsvorsitzender des Verbandes Pneumologischer Kliniken e. V. und stellvertretender Vorsitzender des Sokrates-Forums kritischer Rationalisten. Gerd Antes ist Mathematiker mit Fokus auf Lebenswissenschaften mit Tätigkeiten in der pharmazeutischen Industrie und im universitären Umfeld, vor allem an der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. Er war wesentlich an der Einführung der evidenzbasierten Medizin und der Gründung des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin und des Deutschen Cochrane-Zentrums beteiligt. Er schreibt ebenfalls für das Sokrates-Forum. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.
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