Seit Wochen hetzt die CDU/CSU im Stile der AfD durchs Land und fordert Verschärfungen der Asylpolitik, der Innenpolitik und Aufrüstung von Polizei und Verfassungsschutz. Mit auf der Liste stehen verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Forderungen, wie die biometrische Gesichtserkennung im Internet, erweiterte Überwachungsmöglichkeiten und eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen – wahrscheinlich auch verfassungswidrig. Ich rate immer jungen Abgeordneten,  dass es das allerwichtigste ist, dass sie die Geschäftsordnung des Parlaments lesen, bis sie sie in- und auswendig kennen. Das gilt natürlich auch für Landesregierungen im Bundesrat.

Nun hatte die Koalition nach kurzem Ringen letztlich ein etwas modifiziertes Sicherheitspaket vorgelegt, das am Vormittag des 18.Oktober 2024 seiner immer noch vorhandenen Zumutungen im Asylrecht mit einer Reihe von Gegenstimmen aus Reihen der Grünen und der SPD versehen – aber mehrheitlich beschlossen worden ist.  Das ging dann umgehend in den Bundesrat, denn wer in der Öffentlichkeit Panik macht, will deren Rückenwind auch nutzen, um Gesetze durchzupeitschen, ohne sie richtig gelesen zu haben. Das kennen wir seit der Schleyer-Entführung 1977 und den damals, ohne dass die Bundestagsabgeordneten den Gesetzestext kannten, beschlossenen Antiterrorgesetze zur Genüge. Alle folgenden Gesetzgebungswellen dieser Art mussten revidiert werden oder wurden vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.

Auf Friedrich Merz’ Kommando selbst ins Nirvana

Im Bundesrat traten sie nun – von den Fristen her außergewöhnlich – am Nachmittag des 18. Oktober 2024  an. Die wackeren Kämpfer für Rassismus und geschlossene Grenzen der CDU/CSU, um mal richtig auf den Tisch des Bundesrats zu hauen. Die schwarz-grünen Koalitionen der Länder NRW, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg konnten (oder wollten) dabei auch nichts verhindern, denn die üblichen Koalitionsklauseln im Bundesrat sagen ja: “Bei Dissens Nichtzustimmung im Bundesrat” – also konnten Grüne aus den Ländern, in denen sie mitregieren,  keine Zustimmungen erwirken, also brachten die CDU/CSU regierten Länder heute das Gesetzespaket, sofern die Sicherheitsgesetze betroffen sind, zu Fall. Toll. Meinten sie.

Wie die Lemminge in die eigene Jauchegrube gesprungen

Also lehnten sie das zweite Sicherheitpaket im Bundesrat ab. Allerdings scheint erst danach den CDU/CSU-Vertretern klar geworden zu sein, dass das einzige, was sie damit erreicht haben ist, dass sie genau diese Gesetze erst einmal verhindert haben. Damit treten sie nicht in Kraft und damit müssen sich CDU und CSU vorhalten lassen, Sicherheitsgesetze selbst aus ideologischer Verbohrtheit gefährdet und ihr Scheitern inkaufgenommen zu haben. Wenn die Ampel schlau ist, zeigt sie mit dem Finger darauf und auf die darin liegende Skrupellosigkeit von Friedrich Merz, der den Bundesrat als Oppositionsinstrument mißbraucht. Dass dabei einzelne Landespolitiker der Grünen, wie NRW-Justizminister Limbach, durch seine völlig unnötige und verfassungsrechtliche umstrittene Billigung der IP-Adressen-Vorratsdatenspeicherung sich als Steigbügelhalter betätigt haben, ist peinlich, aber mangels Relevanz kaum jemandem  aufgefallen.

Sicherheitspaket um Monate verzögert – Supergau für CDU

Denn ob die Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat überhaupt erfolgt und Erfolg hat, ist völlig offen. Zumal eins sicher ist: selbst wenn dieser tagt, geht das über mindestens zwei, wenn nicht mehr Monate. Und genau das, was CDU/CSU forderten, schneller und härter zu handeln, haben sie nun selbst torpediert. Das verdeutlicht nicht nur die fehlende Kompromissbereitschaft der CDU/CSU gegenüber der demokratischen  Mitte, sondern eine stümperhafte Einschätzung der Folgen eigener Strategie. Eine gewisse Sozialdemokratin aus Rheinland-Pfalz hat so etwas mit dem Wort “Bätschi!” kommentiert.  Das wäre aber zu einfach.

Merz ist eine Gefahr für dieses Land

Die CDU/CSU hat mit ihrer kompromisslosen Haltung im Bundesrat bewiesen, dass es ihr überhaupt nicht um die Sache, sondern nur um den Wahlkampfgag geht. Das ist gefährlich und unverantwortlich. Und das müsste vor allem in den schwarz-grünen Ländern dazu führen, dass die Grünen sich nicht instrumentalisieren lassen. Das bedeutet, die dortigen Gesetzesänderungen endlich mit der notwendigen verfassungsrechtlichen Sorgfalt und ohne Zeitdruck zu verhandeln. Denn der – das hat das Verhalten der CDU-Länder im Bundesrat gezeigt – ist ohnehin nur vorgeschoben, um den Koalitionspartner zu Zugeständnissen zu nötigen: Gesetzen zuzustimmen, die bei sorgfältiger Abwägungen gegen die Verfassung und richterliche Rechtsprechung durchzufallen drohen – es wäre ein Verfassungsbruch.

Zeitdruck ad absurdum geführt

Wenn das destruktive Abstimmungsverhalten der CDU im Bundesrat eines gezeigt hat, dann, dass es ihr um Knalleffekte, aber nicht um die Sache geht. Vielleicht ergibt sich jetzt, nach dem Desaster der Union im Bundesrat  die Möglichkeit, die ganzen Vorschläge der angeblichen “Sicherheitsgesetze” sorgfältig zu beraten, von Expert*inn*en aus der Wissenschaft und durch die Datenschutzbeauftragten bewerten zu lassen, und dann zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, die auch einer verfassungsrechtlichen Begutachtung stand halten.

 

 

 

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net