It‘s the economy, stupid! Es ist die Wirtschaft, Dummkopf! Keine Sorge, die ilas sind nicht plötzlich Bill Clinton-Fans geworden. Der gewann mit diesem Spruch 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Aber seine Erkenntnis hilft. Zu oft stellen wir uns unter Organisierter Kriminalität Gangsterbosse, Schießereien und Bling Bling vor (danke, Netflix!). Aber um Narco-Strukturen zu verstehen, brauchen wir auch schnöde Zahlen. Schließlich geht es hier um einen Markt.
Natürlich müssen wir über die Faszination der Gewalt sprechen, über das Versprechen des schnellen Geldes und über Männlichkeit. Aber auch über ein liberalisiertes Finanzsystem und mangelnde Bankenkontrolle, über Marktmacht und Demokratielücken, über Militarisierung und Kriminalisierung von Protesten, über Sozialabbau und Verelendung. Wie alles mit allem zusammenhängt – und welche wirklich effektiven Hebel es gibt – zeigen die Artikel dieser ila.
Der Kokainhandel ist einer der lukrativsten illegalisierten Märkte. Die Gewinnmarge ist schwindelerregend: Kostet das Kilo in Kolumbien 3000 Euro, sind es in Deutschland 80000. Deswegen bleibt es attraktiv, über viele Landesgrenzen hinweg Kokain zu schmuggeln, selbst wenn immer größere Mengen in europäischen Häfen aus dem Verkehr gezogen werden. Abwasseranalysen weisen darauf hin, dass heute mehr als dreimal so viel Koks durch Europas Nasen gezogen wird wie 2015.
Geschmuggelt wird das Kokain auf kreative Weise. Zum Beispiel in Bananenkisten der Marke Bonita. Die gehört zum Noboa-Konzern. Und dessen Besitzer ist der Vater des ecuadorianischen Präsidenten. Aber konkrete Verbindungen und Verantwortlichkeiten nachzuweisen, ist schwer. Die einzigen Aufzeichnungen über solche Geschäfte sind Chatprotokolle und Telefongespräche, und dafür müssen sich investigative Journalist*innen richtig reinhängen – und nicht selten ihr Leben riskieren.
In Ecuador gelang es 2022 dem Online-Medium La Posta aufzudecken, wie ein Verbindungsmann der albanischen Mafia Einfluss auf die Ernennung des Agrarministers in der Vorgängerregierung genommen hatte. Kurze Zeit später war besagter Verbindungsmann tot, Aufklärung Fehlanzeige. In Kolumbien konnte das Online-Medium Cuestión Pública belegen, dass ein Großteil des aus Kolumbien ausgeführten Kokains in Containern des dänischen Unternehmens Maersk transportiert wurde.
Doch solche konkreten Enthüllungen sind selten. Das macht es so schwierig zu unterscheiden, ob Staat, einzelne Politiker*innen, legale Unternehmen und illegale Akteure aktiv kooperieren oder einfach nur die gleichen Interessen verfolgen. Unkompliziert Geld waschen und in Steuerparadiesen parken zu können, dürfte ein weit geteiltes Anliegen sein. Den Staat zu militarisieren mit dem Vorwand, die Narcos zu bekämpfen, hat den netten Nebeneffekt, zivilgesellschaftlichen Protest im Keim zu ersticken und umstrittene Industrie- und Infrastrukturprojekte durchzusetzen.
In illegalen Ökonomien herrscht das gleiche Gesetz von Angebot und Nachfrage wie in legalen. In beiden versuchen Konkurrenten, sich gegenseitig auszustechen und die eigene Marktmacht auszubauen. In beiden werden Mechanismen genutzt, um Kosten zu senken. Bei legalen Ökonomien, solange Gewerkschaften und progressive Regierungen das nicht unterbinden, kann das heißen: outsourcen, Löhne drücken und aktive Kolleg*innen verfolgen, Protest kriminalisieren und auch mit rechtsextremen Paramilitärs zusammenarbeiten, die Menschen einschüchtern und töten – wir erinnern an den kürzlich verurteilten Bananenkonzern Chiquita. Weil es bei illegalen Ökonomien keinerlei rechtsstaatliche Mechanismen gibt, sind die Gewaltformen oft noch extremer, doch die Strukturen haben Parallelen. Und die Produkte sind austauschbar: illegalisierte Drogen, Avocados, Edelmetalle – und Menschen, zur Ware gemacht.
Welche Wege kann es aus dem Kreislauf von Illegalisierung, Gewalt, Militarisierung und noch mehr Gewalt geben? Da Kokain eine der lukrativsten illegalisierten Ökonomien ist, beschäftigen sich gleich mehrere Artikel mit der Frage: Was tun mit dem Kokain? Die Debatte, ob eine Legalisierung in Europa Teil der Lösung sein kann, wurde früher energischer geführt. Trotzdem sind sich im progressiven Spektrum die meisten einig: Legalisierung reicht nicht, aber ohne Legalisierung geht es nicht. Nur so kann das Elend der Abhängigen verringert und dem Handel der wirtschaftliche Nährboden entzogen werden. Aber: Wenn in Europa legalisiert würde, in den Amerikas jedoch nicht – mit wem würden europäische Unternehmen dann Geschäfte machen? Noch sind das Gedankenspielereien, denn ernsthafte Legalisierungsvorhaben werden aktuell nicht diskutiert. Beim Cannabis wurde in den Niederlanden und nun auch in der Bundesrepublik zwar der Konsum legalisiert, den Vertrieb kontrollieren jedoch weiterhin illegale Akteure.
Die interessanten Vorschläge kommen derzeit nicht aus Europa, sondern aus Lateinamerika. Einen davon stellen wir vor. Und wir wären nicht die ila, wenn uns nicht das große Ganze interessieren würde: Globale Kontrolle im Finanzsystem und eine Demokratisierung der Medien sind gut für uns als Gesellschaften – und ärgern die großen Wirtschaftsplayer. Egal ob legal oder illegal.
Dieser Beitrag ist die Übernahme des Editorials aus ila 480 Nov. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Einige Links wurden nachträglich eingefügt.
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