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Recht auf analoge Teilhabe

Das fordern die Nerds, die am meisten von Digitalisierung verstehen (und lieben)

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wären nie auf die Idee gekommen, die Ausübung von Grundrechten an technische Voraussetzungen zu knüpfen. Die gegenwärtigen digitalen Voraussetzungen haben einen wichtigen Zusatzeffekt: sie erleichtern die Beherrschung der Beherrschten, sowie ihre Ausraubung mittels ihrer persönlichen Daten und hinterlassenen digitalen Spuren.

Diejenigen Nerds, die am meisten Ahnung von der Digitalisierung der menschlichen Welt und ihrer Kommunikation haben, weil sie das Digitale lieben und sich oftmals persönlich in ihre Details eingegraben haben (nicht nur in Kellern und Garagen), die also über eine vergleichsweise hohe digitale Souveränität verfügen, engagieren sich am meisten für das Recht auf Analog.

Grundsätzlich und historisch betrachtet wäre das eigentlich die originäre Angelegenheit tatsächlicher Liberaler, also solcher, denen die Bürger*innen*rechte quasi auf die Stirn geschrieben waren. Tja, das ist lange her. In der heutigen BRD und den meisten reichen kapitalistischen Ländern sind sie ausgestorben. Die US-Demokraten – ein Bild des von den Silicon-Valley-Milliardären abhängigen Elends; ein früherer Chef der britischen Liberals ist heute Lobbyist für Zuckerberg. Die Milliardäre laufen aber auch mit fliegenden Fahnen zu Trump über. Sie lieben nicht die Freiheit, sondern die Macht.

Es gibt sie, die Widerstandsnester. Der Verein Digitalcourage lies die Bonnerin Karin Schuler und den Kieler Thilo Weichert ein Gutachten anfertigen: “Ein Recht auf analoge Teilhabe – Freiheit vor Digitalzwang – Praktische und rechtliche Aspekte”. Gute Arbeit. Da es sich ja um keine Streamingserie handelt, nehme ich die politische Schlusspointe gerne vorweg:

“Die Diskussion über ein Recht auf analoge Teilhabe hat begonnen. Es ist wichtig, die einzelnen relevanten Sachverhalte konkret zu erörtern. Diese Sachverhalte sind gemäß dem bestehenden rechtlichen Rahmen zu bewerten. Dabei wird offensichtlich, dass es eine Vielzahl von Lebenssituationen gibt, bei denen Digitalzwang herrscht und dass Menschen, die digitale Medien nicht nutzen können und wollen, diskriminiert werden. Dies kann und muss durch einfachgesetzliche Regulierung eingehegt werden. Angesichts der immer weiter zunehmenden Digitalisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche und der damit einhergehenden zunehmenden Diskriminierung durch Digitalzwang ist es darüber hinausgehend geboten, ein umfassendes und übergeordnetes Recht auf analoge Teilhabe normativ festzuschreiben.”

Es gibt sie noch, die Vernunft. Und hier können Sie unterschreiben.

Einen zusammenfassenden Bericht von Martin Schwarzbeck/netzpolitik gibt es hier: Es gibt ein Recht auf eine analoge Alternative – Ein juristisches Gutachten klärt, in welchen Fällen digitale Dienstleistungen auch analog angeboten werden müssen. Es kommt zu dem Schluss, dass ein Verbot von Digitalzwang ins Grundgesetz gehört.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Dr. Hanspeter Knirsch

    Auch ohne die Verankerung im Grundgesetz halte ich den faktischen Zwang zur Nutzung einer bestimmten Technologie bei der Geltendmachung von fundamentalen Teilhaberechten für verfassungswidrig. Unter dem Deckmantel von Modernisierung und Entbürokratisierung werden Schritt für Schritt Menschen von staatlichen Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn sie sich nicht bestimmter Technologien bedienen können oder wollen.
    Die Ausübung des für das Funktionieren des Rechtsstaats unabkömmlichen Anwaltsberufs ist seit 2018 von der Nutzung des sog. besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) abhängig. Diese m. E. grob verfassungswidrige Einschränkung der Berufsausübung ist politisch zu keiner Zeitproblematisiert worden.
    Bei der sog. digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung ist ein strenger Maßstab anzulegen, wenn es um die Ausübung von Teilhaberechten geht. Das Problembewußtsein dafür ist nach meinem Eindruck sehr gering ausgepägt.

    Super, dass der Extradienst das Thema aufgegriffen hat.

    Dr. Hanspeter Knirsch

  2. w.nissing

    und wo ist mein Bargeld? Das ist mindestens genau so wichtig. Oder wollt ihr bei eurem nächsten Hamsterkauf von Toilettenpapier auch die Hosen runter lassen vor euren digitalen Wegelagerern.
    Done… aber sie könnten ja wenigstens pro forma eine Postadresse angeben hihi

  3. Christian Wolf

    Hmm, es sind nicht die „digitalen Nerds“ die es lieben, die klicken nur rum was sich auf Facebook/TikTok etc. bietet. Schlimmer sind die kompetenzbefreiten Verwaltungskomiker zum Beispiel hier in Bonn, die eine Sammlung von PDF-Dokumenten für Digitalisierung hält. Zugegeben, die Kiddies am Smartphone bekommen das hin, Tante Gerda läuft dann eben zum Amt um genau das gleiche zu tun: ausfüllen, unterschreiben und abgeben. Digitalisierung meint nicht, alte Abläufe von Papier ins Netz zu hängen. Es müssen Schnittstellen zur Vereinfachung geschaffen werden, da sind keine Verwaltungsakrobaten gefragt, die nach der Schulung zu Win95 es als intellektuelle Herausforderung sehen, eine Excel-Tabelle zu erstellen. Gefragt sind Informatiker, die diesem müden Kern in den Verwaltungen sagen, was, wie, wo zugearbeitet werden muss, damit es für Bürger und Verwaltung anschmiegsamer wird – und für Tante Gerda gibt es eine Ausfüllhilfe, dann aber nicht als PDF, sondern persönlich – so viel Zeit, wird dann frei…

  4. Wolfgang Hillermann

    Ein (Kassen)Arzt ohne Computer bekommt keinen Lohn.

    weil:

    Die Abrechnung muss digital sein.

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