Markus Söder, der sich gerne für seine vorbildliche Corona-Politik selbst lobt, hat gestern erklärt, die gesetzliche Impfpflicht in Einrichtungen der Pflege nicht fristgemäß umsetzen zu wollen. Als Grund gibt der Bayer an, dass er mit bis zu 15.000 Mitarbeiter*innen in der Pflege rechnet, die nicht geimpft sind und die die Verbände zu verlieren fürchten.  Das ist eine politische Kapitulation vor den Schwurblern und Impfgegner*inne*n, von denen die meisten im Westen in Bayern und Baden-Württemberg leben. Söder will sogar die Impfpflicht in Einrichtungen vorerst aussetzen, was im Gesetz nicht vorgesehen und auch nicht möglich ist.

Alte und vulnerale Gruppen im Stich gelassen

Denn zwar ermöglicht das Gesetz, in Einzelfällen von Sanktionen absehen zu können und bei Einzelpersonen Ausnahmen z.B. aufgrund von gesundheitlichen Gründen zuzulassen, aber eine generelle Aussetzung der Impfpflicht, wie sie Söder jetzt angekündigt hat, ist von der Gesetzeslage nicht gedeckt. Es ist unverständlich und schadet dem Ansehen der Demokratie und ihrer Institutionen, besonders in Bayern, wenn Regierungen sich weigern, geltende Gesetze ernst zu nehmen und durchzusetzen. Söder gibt damit die Garantenstellung des Staates gegenüber den zu schützenden Alten und vulnerablen Gruppen in der Pflege auf, die einen Anspruch darauf haben, gegen eine Corona-Infektion durch nicht geimpftes Personal in Pflegeeinrichtungen geschützt zu werden. Söder lässt zu, dass die Corona-Gegner sich rechtsfreie Räume erkämpfen. Das ist eine Form von unterlassener Hilfeleistung. Söder meint,  es müsse darauf Rücksicht genommen werden, dass Bayern, das so tolle Regeln hat, dass es immer wieder Corona-Patient*inn*en per Bundeswehr nach NRW, Rheinland-Pfalz oder Norddeutschland verschickt, befürchten muss, renitente Pflegekräfte abgängig zu verlieren. Aber deshalb die Impfpflicht als Regierung zu boykottieren, kann wohl nicht die Lösung sein.

CDU/CSU knickt vor Corona-Leugnern ein

Auch Friedrich Merz tönte heute ins gleiche Horn. Schon ein starkes Stück, dass CSU und CDU sich jetzt weigern, ein gemeinsam in Bundestag und Bundesrat von allen Demokraten beschlossenes Gesetz zu vollziehen. Das ist umso unverständlicher, als die Erfahrungen mit der einrichtungsbezogenen  Impfpflicht in Frankreich gezeigt haben, dass die vollmundigen Drohungen der protestierenden Pflegekräfte schnell zusammengebrochen sind.  Kaum Mitarbeiter*innen haben die Kündigung auf sich genommen oder das Gesundheitssystem verlassen. Mehr als die medizinische Fragwürdigkeit – es gibt keine Alternative zum Schutz der Impfung – stört die Zögerlichkeit Söders. Zudem sind inzwischen die von vielen Kritiker*inne*n favorisierten “Totimpfstoffe” verfügbar. Die Argumentation Söders und Merz’, die behaupten, eine Impfpflicht ab März wäre nicht mehr geeignet, die aktuelle “Omikron”-Welle zu brechen,  ignoriert, dass es genau gegen Omikron derzeit (noch gar) keine spezifische Impfung gibt, die Impfstoffe, die erst ab März/April zur Verfügung stehen, eine weitere Pandemiewelle im Herbst verhindern sollen. Außerdem retten sie bei ungeimpften auch jetzt Leben und nachhaltige Schäden durch welche Corona-Variante auch immer. Genau wie Söder soll es nicht gemacht werden, um zu verhindern, dass die Pandemie nicht wieder wie 2021 aufflackern kann.

Stimmen von Schwurblern?

Versucht die CDU/CSU etwa, in den bevorstehenden Landtagswahlen Stimmen von Schwurblern, Corona-Leugnern, Q-Anon-Verschwörungsanhängern, Anthroposophen und Esoterikern zurück zu gewinnen? Träfe das zu, wie passt das zur “Null Toleranz” Strategie gegenüber Kriminalität, wenn eine Landesregierung selbst Gesetze bricht? Söder setzt die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen wie auch seine eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Das ist kein vielversprechender Plan. das ist fahrlässig und opportunistisch. Für Markus Söder also typisch. Und irgendwie ganz anders, als die vollmundigen Ankündigungen von Friedrich Merz, er wolle “klaren Kurs halten” und damit die CDU-Stammwähler*innen wiedergewinnen. Aber Verantwortung übernehmen, wollen wohl beide nicht. Karl Lauterbach hat das richtige dazu gesagt, er setze: “auf Einsicht und Vernunft.” Etwas anderes bleibt wohl nicht, denn der Bund wird wohl nicht in Bayern einmarschieren wollen, weil die verfassungsmäßige Ordnung gefährdet ist.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net