Videoüberwachung bei der Berliner S-Bahn – Unser Autor wollte datenschutzrelevante Details zur Kameraüberwachung bei der Berliner S-Bahn herausfinden. Ihn erwartete eine Recherche-Odyssee.

Sie sehen aus wie kleine Ufos mit Stacheln obendrauf. Die Stacheln sollen Tauben davon abhalten, sich draufzusetzen, denn die Ufos fliegen nicht. Sie sind fest in Berliner S-Bahnhöfen beispielsweise am Gesundbrunnen, am Ostkreuz und in Schöneberg montiert. In ihnen befinden sich augenscheinlich mehrere Kameras, vermutlich vier, vielleicht sind sie sogar beweglich.

Wie viele von ihnen im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft angebracht wurden und ob jetzt, wo diese vorbei ist, ihr Rückbau geplant ist, wollte ich wissen. Darüber hinaus, was es mit der blauen Folie auf sich hat, die seit kurzem einige der neu angebrachten Überwachungskameras überzieht. Konkret wollte ich wissen: Wie viele Kameras gibt es derzeit bei der Berliner S-Bahn? Wie viele waren es 2020, wie viele 2015 und wie viele 2010? Darüber hinaus wollte ich in Erfahrung bringen, ob eine Gesichtserkennung möglich und geplant ist und wie lange aufgezeichnetes Videomaterial gespeichert wird.

Immerhin gab es bereits einen umstrittenen Versuch zur automatischen Gesichtserkennung durch Kameras und Computer am Berliner Bahnhof Südkreuz, dessen ursprünglich für sechs Monate geplanter Testlauf auf zwölf Monate verlängert worden war und im Juli 2018 endete. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ging seinerzeit davon aus, dass die Videoüberwachung flächendeckend und landesweit an Bahnhöfen und Flughäfen genutzt werden könnte. Kritiker sahen schon damals die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt und warnten vor einem Überwachungsstaat.

Eine Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder kritisierte bereits im März 2017, dass der Einsatz von Videokameras zur biometrischen Gesichtserkennung die ohnehin schon vorhandene Problematik derartiger neuer Überwachungsverfahren verschärfe, mit denen „abweichendes Verhalten“ erkannt werden soll. Ihr Einsatz könne die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören. Wörtlich hieß es in der Erklärung: „Es ist kaum möglich, sich solcher Überwachung zu entziehen oder diese gar zu kontrollieren.“

Viele Fragen, wenige Antworten

Meine Fragen zur Videoüberwachung haben also eine gesellschaftspolitische Brisanz. Wie ich feststellen musste, hatten die involvierten Stellen aber große Mühe, sie zu beantworten. Mich erwartete eine regelrechte Odyssee.

Die Pressestelle der Berliner S-Bahn riet mir auf telefonische Anfrage, mich direkt an die Deutsche Bahn zu wenden. Die sei zuständig, die Berliner S-Bahn gehöre zur Deutschen Bahn.
Ein Pressesprecher der Deutschen Bahn teilte mir im August zunächst mit: Diese „Informationen stehen uns zurzeit nicht zur Verfügung“. Auf Nachfrage versicherte er aber immerhin: „Wir melden uns, sobald die von Ihnen gewünschten Informationen vorliegen.“

Schließlich erfuhr ich von ihm, dass bis Ende 2024 die Zahl der Videokameras in Bahnhöfen auf rund 11.000 ausgebaut werden soll. Heute seien schon rund 2000 Kameras mehr im Einsatz als 2020 – mehr als jemals zuvor. Weiter sagte der Sprecher der Bahn: „In Summe sind heute bereits rund 10.000 Kameras an rund 800 Bahnhöfen installiert.“ Tendenz weiter steigend. Nur: Die Zahlen beziehen sich auf die Deutsche Bahn insgesamt. Ich hatte aber nach den Berliner S-Bahnhöfen gefragt.

Dafür wusste der Pressesprecher, was es mit der hellblauen Folie auf sich hat, mit der seit kurzem einige der neu installierten Videokameras auf Berliner S-Bahnhöfen überklebt sind, beispielsweise am S-Bahnhof Schöneberg und am Ostkreuz. Dabei „handelt es sich um neu angebrachte Kameras. Diese müssen noch feinjustiert und ausgerichtet werden. Bis sie in Betrieb genommen werden, bleiben sie mit Folie abgehängt.“ Mit anderen Worten: Sie sind noch nicht „scharf gestellt“. Darüber ist der Sprecher offensichtlich informiert, während er die Zahl der Kameras in ihnen und auch die Anzahl der Videokameras an Berliner S-Bahnhöfen, die bereits in Betrieb sind, nicht kennt.

Zur Nutzung von Videoüberwachung und Speicherung des Materials wusste der Sprecher der Deutschen Bahn Allgemeines zu berichten: „Die Auswahl der Bahnhöfe des Videoprogramms treffen DB und Bundespolizei nach bahnbetrieblichen und polizeifachlichen Kriterien. Dabei spielen die Fahrgastfrequenz, die Anzahl von Zughalten und die polizeiliche Statistik eine zentrale Rolle. Aufnahmen werden nach maximal 72 Stunden gelöscht beziehungsweise dann von hinten sukzessive überschrieben.“

Wie lange werden Aufzeichnungen gespeichert?

Ich setzte meine Recherche bei der Bundespolizei fort. Diese teilte mir mit, dass sie an einzelnen Personenbahnhöfen direkten Zugriff auf die Videodaten habe, von anderen Standorten werden die Videoaufzeichnungen nach Anforderung übermittelt.

„An ausgesuchten Standorten“ betrage die Aufzeichnungsdauer bis zu 30 Tage. Auch wenn aus „einsatztaktischen Gründen keine weiteren Auskünfte“ erteilt werden konnten, steht diese Aussage der Bundespolizei im Widerspruch zu dem, was die Deutsche Bahn und der Berliner Datenschützer sagen.

Der Pressesprecher des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit geht nämlich ebenfalls von einer Speicherdauer von maximal 72 Stunden aus. Grundsätzlich sei die Videoüberwachung in öffentlichen Räumen – und dazu zähle auch der Nahverkehr – nur dann rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich sei. Über die Anzahl der Überwachungskameras an Berliner S-Bahnhöfen liegen dem Berliner Datenschützer übrigens keine Zahlen vor. Ihm ist auch nicht bekannt, wie sich ihre Anzahl verändert hat.

Von einem Sprecher der Berliner S-Bahn war später immerhin zu erfahren, dass jüngst neu installierte Kameras nicht zurückgebaut werden. Bei ihnen soll es sich um moderne Multisensor-Kameras handeln, mit denen man den Alltag am Bahnhof „aus Tausenden Blickwinkeln überschauen“ könne. Sein Kollege von der Deutschen Bahn ergänzte ganz zum Schluss noch: „Die Multisensortechnik ermöglicht Aufnahmen aus vier verschiedenen Blickwinkeln und damit, sofern erforderlich, einen Rundumblick von 360 Grad.“

Bis heute habe ich keine Antwort auf meine Frage nach der Anzahl der Überwachungskameras auf den Berliner S-Bahnhöfen erhalten, weder von der Deutschen Bahn noch von der Berliner S-Bahn. Der Pressesprecher der Berliner S-Bahn teilte mir immerhin mit: „Eine Gesichtserkennung findet nicht statt.“

Dies könnte sich bald ändern, denn am vergangenen Donnerstag (12. September) wurde ein Gesetzesentwurf zur „Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in erster Lesung im Bundestag diskutiert, der die polizeiliche Gesichtserkennung ausweiten soll. Dies kritisieren nicht nur Fans des 1. FC Union Berlin, sondern auch der Chaos Computer Club in Hamburg und die Berliner Datenschutzbehörde. Auf Nachfrage warnt deren Pressesprecher davor, dass biometrische Gesichtserkennung – insbesondere dann, wenn sie großflächig eingesetzt wird – eine Vielzahl von Unbeteiligten betreffe. Wörtlich sagt er: „Die Erhebung biometrischer Gesichtsdaten zur Identifizierung von Personen im öffentlichen Raum stellt einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und birgt die Gefahr einer unverhältnismäßigen Anwendung.“

In seinem mit „Zivilgesellschaft kritisiert Sicherheitspaket“ überschriebenen Statement vom 11. September 2024 kritisiert der Sprecher des Chaos Computer Club, Matthias Marx: „Die Bundesregierung … schwenkt in Rekordzeit von ‚Anonymität wahren‘ zu ‚alle biometrisch überwachen‘. Es gibt aber keine technischen Lösungen für soziale Probleme. Wenn dieser Gesetzesentwurf verabschiedet wird, dann genügt es nicht mehr, schöne Stellungnahmen zu schreiben und alle drei Jahre eine Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung zu organisieren. Künftig müssten wir dazu anleiten, Überwachungsmaßnahmen zu sabotieren und abzuschalten.“

Rumen Milkow, Jahrgang 1966, wuchs in Ostdeutschland auf. Er ist freier Autor, Journalist und Herausgeber. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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