von Michael Kleff und Volker Perthes
Ausgelöst durch ein Deutschlandfunk-Interview von SWP-Direktor Volker Perthes, dessen verkürzte Zusammenfassung durch den Sender (nicht mehr im Netzangebot) der Musikjournalist Michael Kleff als Verharmlosung ansah, entwickelte sich zwischen beiden eine E-Mail-Kontroverse, die sie mir freundlicherweise erlaubt haben zu dokumentieren. Wir alle drei haben unsere politische Jugend in den 70er und 80er Jahren in den Jungdemokraten verbracht. Martin Böttger
Lieber Volker,
ich nehme an, Du verfolgst die Entwicklung in den USA. Trump ist vier Tage im Amt und hat schon ordentlich Hand angelegt bei der Zerstörung der noch vorhandenen demokratischen Strukturen im Land. Edogan und Putin lassen grüßen. Europa und die Deutschen schweigen.
Beste Grüße
Michael
Lieber Michael,
mir scheint, die Deutschen und andere Europäer wissen einfach noch nicht, wie sie aus Trump „Sinn machen“ sollen. Unterschiedlichste Theorien kursieren: Die Institutionen werden ihn einhegen; er wird groß scheitern; ihm wird das Strohfeuer gelingen, dabei aber wird er die USA nachhhaltig schwächen und die internationale Ordnung oder was davon übrig ist unterminieren … Am deutlichsten, was die ideologisch-politische Ausrichtung angeht, war in der Tat die Bundeskanzlerin in ihrer Glückwunschbotschaft.
Ich bin vorsichtig mit dem Faschismus-Begriff, obwohl es in der Rhetorik Trumps durchaus Anklänge gibt, nicht zuletzt die ständige Beschwörung der „Bewegung“. Das ist dann tatsächlich eher Mussolini als Berlusconi (Unterhalter). Vielleicht übersehen wir ja auch Dinge, aber die bisherigen Aktionen (es sind natürlich nur paar Tage) verlangen m.E. andere Begriffe: Keystone XL, Androhung von Strafzöllen für Autobauer in Mexiko und Kündigung von TPP ist kruder ökonomischer Nationalismus (wobei die Kündigung von TPP wahrscheinlich sogar bei einigen linken Globalisierungskritikern gut ankommt), und im Mexiko-Fall schlimmste „beggar-thy-neighbour“-Politik. Dass ein aggressiver Kurs gegen China und Kündigung des TPP nicht kohärent ist, scheint auch klar, aber „coherence is not an American policy value“, wie ich gelernt habe.
Lass mich gern wissen, was wir hier übersehen, und wo Du meinst, dass deutsche/europäische Stimmen wirklich laut werden müssten, ohne nur Lautsprecher zu sein. Wir würden ja gern auch Einfluss nehmen nicht nur unsere Frustration posaunen.
Herzliche Grüße über den Teich,
Volker
Lieber Volker,
ich weiß, man/frau sollte vorsichtig mit Begriffen sein. Aber legen wir doch einfach einmal ein paar Kriterien an, die doch wohl für Faschismus gelten:
starker und anhaltender Nationalismus
Geringschätzung der Menschenrechte
Identifizierung von Feinden/Sündenböcken als vereinigende Sache
Vorrang des Militärs
wachsender Sexismus
Besessenheit von der nationalen Sicherheit
Religion und Regierung sind miteinander verflochten
unternehmerische Macht wird geschützt
gewerkschaftliche Macht wird unterdrückt
Geringschätzung Intellektueller und der Künste
Besessenheit von Verbrechen und Bestrafung
….
Und nun schauen wir uns an, was Trump und seine Mannschaft machen und was sie geplant haben. Ich weiß nicht, ob in Deutschland darüber berichtet wurde, dass z. B. fast alle untergeordneten Behörden “Maulkörbe” erlassen bekommen haben. Sie dürfen nichts mehr erklären, keine neuen Inhalte auf ihre Website setzen usw. Bei der EPA ist angeordnet worden, sofort alle Genehmigungen und Zahlungen einzustellen. Die spanischsprachige Version der Website des Weißen Hauses ist abgeschaltet worden. Stichworte wie “civil rights”, “women´s rights” oder “climate change” sind dort nicht mehr aufzurufen. Die Demonstrationsrechte sollen eingeschränkt werden (z. B. sollen Autofahrer, die Demonstranten überfahren, die Kreuzungen blockieren, straffrei bleiben, wenn sie es nicht absichtlich tun – no comment!). Die Liste lässt sich fortsetzen. Trump braucht gar keinen Gülen, um genau das zu tun, was Erdogan in der Türkei macht.
Was gerade passiert, hat Dorothy Thompson schon 1935 beschrieben. Sie war von 1925 bis 1935 Leiterin des Berliner Büros der New York Evening Post.
Sie schrieb: “No people ever recognize their dictator in advance. He never stands for election on the platform of dictatorship. He always represents hirmself as the instrument of Incorporated National Will. … When our dictator turns up, you can depend on it that he will be one of the boys, and he will stand for everything traditionally American. And nobody will ever say ‘Heil’ to him, nor will they call him ‘Führer’ or ‚Duce‘ [Mussolini’s title]. But they will greet hirm with one greatuniversal, democratic, sheeplike bleat of ‘Okay, Chief!”
Und übrigens: Thompson von 1928 bis 1942 mit dem Schriftsteller Sinclair Lewis verheiratet. Der hatte 1935 den Roman It Can’t Happen Here (dt. Das ist bei uns nicht möglich) veröffentlicht. Darin zeigt er das Entstehen faschistischer Strukturen auf. Es kann eben doch passieren. Jederzeit. Überall.
Zusammenfassung des Inhalts:
Im bürgerlichen Milieu des kleinstädtischen liberalen Verlegers Doremus Jessup wird 1935 einhellig die Meinung vertreten, dass das was in Deutschland und in Italien passierte hier nicht möglich sei. Er beobachtet jedoch die immer offener zutage tretenden chauvinistischen Züge der Kapitalisten seines Bekanntenkreises und vor allem die Stärkung faschistischer Bewegungen. Schließlich setzt sich ein Kandidat, Bercelius Windrip, durch und kandidiert auch für das Präsidentenamt, er wird gewählt und – nicht überraschend – werden seine demagogischen Wahlversprechen nicht umgesetzt, dafür werden Arbeitslager eingerichtet für Arbeitslose, kritische Stimmen kommen in die bald zu errichtenden Konzentrationslager, die Ordnung in Städten und Provinzen wird von einer paramilitärischen Einheit kontrolliert, eine allgemeine nationale Aufrüstung findet ebenso statt wie Verfolgungen von Minderheiten. Doremus, inzwischen hat er seine Verlegerrolle aufgegeben, kommt ins Konzentrationslager, weil er kritische Flugschriften verteilt, überlebt, flieht ins Exil und setzt sein Leben mit dem Kampf gegen das Regime fort.
In diesem Sinne beste Grüße
Michael
Die Links wurden zum besseren Verständnis nachträglich redaktionell eingebaut.
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