von Ingo Arend
Was tun gegen rechts? Über kaum eine Frage streitet der Kulturbetrieb derzeit leidenschaftlicher. Reicht es noch, so das stete Memento, Ausstellungen zu eröffnen, Festivals zu besuchen oder neue Paul-Auster-Romane zu lesen, wenn gerade Demokratie, Europa und Menschenrechte geschleift werden?
Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans beschwor dieser Tage pathetisch den „Kairos-Moment“: Historische Aufgabe der Stunde sei es, so der sonst eher zurückhaltende Liebhaber des subkulturellen Faltenwurfs, die libertäre gegen die autoritäre Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Muss die Kultur also jetzt Aufstehen gegen rechts?
Nichts gegen Aktionen wie die „EcoFavela“, mit der sich das Hamburger Kampnagel-Theater vor zwei Jahren zur temporären Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte. Wie wohl sie ästhetisch hinter Christoph Schlingensiefs „Ausländer raus“-Container zurückfiel. 2000 hatte der Regisseur in Wien Asylbewerber in einen Big Brother-Container gesperrt und das Publikum über deren Schicksal entscheiden lassen. Dennoch ist vor dem Trugschluss zu warnen, Kunst und Kultur ließen sich als schnelle Einsatztruppe gegen den Rechtsruck einsetzen.
Ganz so einfach, wie die fröhliche Reinigungsfantasie, der Michel Abdollahi jüngst Gestalt verlieh, funktioniert der kommende Kulturkampf (vermutlich) nicht. Der überdimensionierte Schwamm, den der deutsch-iranische Künstler vergangenen Herbst in die Hamburger Hafencity gelegt hatte, sollte uns weismachen: Mit einem Wisch ist alles weg: Vom Rechtspopulismus bis zum Fremdenhass.
Schön wär’s. Aber auch die gut bestückte deutsche Museumslandschaft wird die Heerscharen von Armuts- und Klima-Flüchtlingen nicht aufnehmen können, die demnächst in den Norden aufbrechen dürften. Und dass Ausnahme-Kunst noch keinen politischen Erfolg garantiert, musste auch Wolfgang Tillmans erfahren. „Kein Mensch ist eine Insel“ die spektakuläre Plakataktion mit der der deutsche Wahlbrite gegen den Brexit mobil gemacht hatte, stoppte die Isolationisten nicht.
Natürlich kann Kultur einen Mentalitätswechsel befördern. Und wenn Berlins neuer Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert jetzt die berühmten „Abgehängten“ im Land „kulturell wieder zurückholen“ will, zeigt das, dass auch die Politik langsam begreift: Mindestens genauso wichtig wie die Leuchtturmkultur in den Metropolen ist die kulturelle Grundversorgung in der Peripherie.
Nur: Gerade weil Mentalitätswechsel lange dauern, darf man das ästhetische Kind eben nicht mit dem aktionistischen Bade ausschütten. Martin Roth hätte das Londoner Victoria and Albert Museum aus Protest gegen den Brexit nicht verlassen sollen. Christo sollte sein Over-the-River-Projekt in Colorado nicht dem Ärger über Trump opfern. Der Kunststreik, den die amerikanischen Artisten am Tag der Inauguration von Donald Trump ausriefen, war eine Schnapsidee.
Und der Westfälische Kunstverein sollte seinen Schauraum kommenden Freitag wegen einer AfD-Versammlung in Münster auf keinen Fall schließen. Vorbildlich dagegen das New Yorker MoMa: Wenige Tage nach Trumps Einreisebann zeigte eines der wichtigsten Kunstmuseen der Welt Werke aus den sieben Ländern, für die das umstrittene Dekret galt.
Anders als Roth, Christo und der Kunstverein reagierte das MoMa nicht mit Verweigerung, sondern nutzte die Kunst für ein starkes Statement. Nicht weniger Kunst, sondern mehr Kunst, lautet die Losung.
Natürlich ist sie kein Allheilmittel. Doch wer sie erlebt, der beginnt, anders zu denken. Die Kunst schärft den ästhetischen und demokratischen Eigensinn, gegen den die Demagogen und Autokraten am Ende machtlos sind.
Dieser Text ist eine Übernahme aus Ingo Arends Blog, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Ergänzender Hinweis von Martin Böttger:
Wie ambivalent es zwischen Kunst und politischer Indienstnahme zugehen kann, wurde selten deutlicher sichtbar, als bei Lady Gagas Superbowl-Auftritt. Er unterlag zahlreichen Zensurvorschriften seitens milliardenschwerer trumpnaher TV-Sender und Sponsoren. In Europa wurde ihre Interpretation von Woody Guthrie’s “This land is your land” als widerständig interpretiert, was bei Guthrie als Vermutung tatsächlich naheliegt. Es fehlten aber zwei wichtige Strophen, die von herrschenden US-Medien sehr gerne weggelassen werden:
There was a big high wall there that tried to stop me.
The sign was painted, said ‘Private Property.’
But on the backside, it didn’t say nothing.
This land was made for you and me.
…..
One bright sunny morning in the shadow of the steeple,
by the relief office I saw my people.
As they stood hungry,
I stood there wondering if God blessed America for me.
In Deutschland wies immerhin Christian Bos in der Berliner Zeitung darauf hin. Dank an Michael Kleff für den sachdienlichen Hinweis.
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