Gestern in den frühen Morgenstunden riss in Kabul wieder einmal eine Bombe – diesmal im Diplomatenviertel – über neunzig Menschen in den Tod und legte Gebäude und ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. Die Zahl der Verletzten ist unabsehbar. Hatte der Bundesinnenminister hatte noch im Frühjahr die demonstrativen und unnötigen Abschiebungen von abgelehnten Flüchtlingen aus Afghanistan mit der Behauptung grechtfertigt, Kabul sei sicher und die Zurückgeschobenen müssten ja nicht in unsichere Provinzen reisen. Diese ohnehin auf tönernen Füssen stehende Behauptung hat sich nun als absurd erwiesen. Die Gesetze sehen vor, dass Menschen nicht in Länder abgeschoben werden dürfen, in denen Gefahr für Leib und Leben besteht.
Das Auswärtige Amt warnt seit gestern deutsche Staatsbürger dringend vor Reisen nach Afghanistan: “Wegen immer wieder und in vielen Landesteilen aufflammender Kämpfe zwischen afghanischen Sicherheitskräften und vor allem den Taliban, aber auch dem regionalen Ableger des sogenannten Islamischen Staats, ist die Sicherheitslage in großen Teilen des Landes unübersichtlich und nicht vorhersehbar. Reisende können daher jederzeit und ohne selbst beteiligt zu sein in lebensbedrohende Situationen geraten. Außerdem kann es landesweit zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.”
Für Afghanen gilt das nicht. Mit einer brutalen Aktion holte am gleichen Tag eine bewaffnete Hunderschaft der bayerischen Polizei einen zwanzigjährigen ausreisepflichtigen Flüchtling aus dem Schulunterricht in Regensburg. Polizisten prügelten dabei auf Schüler, Eltern und Lehrer ein, die sich dieser unmenschlichen Aktion widersetzten. Diese Aktion war nicht nur ekelhaft, sie war geplant. Ganz nebenbei: Möglicherweise müssen die Menschen, die sich dabei der Polizei aus humanitären Gründen entgegen gestellt und Zivilcourage gezeigt haben, nun nach dem gerade von der großen Koalition beschlossenen Gesetz “Zum Schutz von Polizeibeamten” schlimmstenfalls mit Gefängnisstrafen rechnen.
Das alles interessiert Thomas de Maizière offensichtlich nicht. Seine Reaktion war zwar die Verschiebung des für gestern abend geplanten Abschiebefluges, an dem auch der Schüler aus Nürnberg teilnehmen sollte: Sein Kommentar dazu übertraf aber alles bisher von dieser Bundesregierung da gewesene an Zynismus und Verachtung gegenüber Flüchtlingen: Nach dem Anschlag, so der Innenminister, gebe es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Botschaft anderes zu tun, als den Vollzug dieser Verwaltungsaufgabe. Kaum zu glauben. Das ist eine Diktion der Gefühllosigkeit, der Unmenschlichkeit, die man auf Wahlplakate der “christlichen” Parteien drucken möchte. Sie macht deutlich, wo die Praxis der Asylpolitik inzwischen angekommen ist. Sie vollzieht bereits nach, was bisher nur AfD, Rechtsextremisten und Neonazis fordern: Zweierlei Maß bei der Bewertung von Gefahren und zweierlei Maß bei der Wertschätzung von Menschenleben. Widerlich.
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