Katika Kühnreich ist der Burner bei CCC-Kongress in Leipzig, zu Recht. Sie präsentierte die Zwischenergebnisse ihrer Doktorarbeit unter dem Titel “Gamified Control” (Übersetzungsversuch: spielerische/verspielte Kontrolle). 349 Suchmaschinentreffer, die ersten Seiten in zahlreichen Sprachen vom CCC. Hier der SZ-Bericht, hier ihr Interview für Spiegel-online. Warum dieses Aufsehen? In erster Linie weil SZ-Autor Jannis Brühl und Sp-on Interviewerin Angela Gruber völlig falsch in ihrem Glauben liegen, bei uns sei oder werde es schon nicht so schlimm.

Was sich hier in China bereits abzeichnet, ist die mustergültige Ausführung dessen, was Marxist*inn*en früherer Jahrzehnte als staatsmonopolistischen Kapitalismus bezeichneten. Was den chinesischen vorteilhaft vom europäischen unterscheidet ist, dass er durch zentralstaatliche makroökonomische Steuerung – bisher – das Platzen von Blasen und millionenfache Verelendung vermeiden konnte, sondern nach der Überwindung des Traumas der Kulturrevolution (als Trauma vergleichbar mit Europas Verwüstung durch den deutschen Faschismus) eine überraschend stabiles ökonomisches und technologisches Wachstum realisieren konnte.
Nun schickt sich China an, die USA als führende ökonomische Weltmacht zu überholen. Die USA rüsten sich zu Tode, wie sie einst die UdSSR dazu provoziert haben. Die chinesische Führung scheint diese Lektion gelernt zu haben. China erobert die Märkte in Lateinamerika und Afrika scheinbar widerstandslos, weil es auf militärische und politische Aggressionen im Gegensatz zu den USA und der EU komplett verzichtet, und sein ganzes Aggressionspotenzial auf zivile ökonomische Strategien konzentriert.

Chinesische Technologien und Überwachungsphilosophien werden also über kurz oder lang auch uns überrollen. Dafür gibt es politische Ursachen, die auch in unseren eigenen Fehlern als Demokrat*inn*en zu suchen sind. Frau Kühnreich weist zutreffend darauf hin, dass die Maskierung der Technologien als sportähnliches Spiel (ich erinnere an die Begrifflichkeit des Adorno-Schülers und Extradienst-Gastautors Dieter Bott von der “Sportifizierung der Gesellschaft“, Dieter da ist sie!) sie wirksam und massenhaft verankern wird.

Die Gegenkräfte, also wir – was machen wir? Widerstand gegen solche Tendenzen gibt es politisch allenfalls bei Grünen und bürgerrechtlichen Resten der FDP, gesellschaftlich beim CCC, der re:publica, publizistisch bei netzpolitik.org und heise.de (inkl. telepolis). Die letzte Massenbewegung dieser politischen Art in Deutschland gab es vor genau 30 Jahren 1987 gegen die damalige Volkszählung. Schon damals kritisierte ich in einem Beitrag für die Freitag-Vorläuferin “Deutsche Volkszeitung” die durch juristisches Fachidiotentum unwirksame politische Sprache der liberalen Bürgerrechtsverteidiger*innen. Populistische Vereinfachungen sind für diese Akteur*inn*e*n pfui, und werden nicht mit Fingerspitzen angefasst; dann lieber unangreifbar Rechthaben. Hinzu kommt, dass sie sich nie bereit gefunden haben, einen Zusammenhang mit Klassengegensätzen (Übersetzung für Sozialdemokrat*inn*en und Grüne: sozialen Gerechtigkeitsfragen) wahrzunehmen und das gar in eine gesellschaftspolitische Strategie zu übersetzen.

Dieses Strategieproblem der 80er hat sich mit dem globalen ökonomischen Siegeszug des Neoliberalismus, mit dem kalifornischen Nerdphänomen und dem fulminanten Crash der Piratenpartei noch verschärft

Es wird also auch bei uns so kommen, wie Frau Kühnreich es uns aus China berichtet. “Widerstand” gibt es allenfalls im Kampf um globale Marktanteile zwischen China, den USA und der EU. Realistische liberale Reformpolitik wird gezwungen sein, diese Widersprüche gut zu erkennen und politisch auszunutzen, um kleine freiheitliche Geländegewinne zu erreichen.

Technologien kommen über die Mehrheit der Menschen, ohne dass diese kulturell dazu ausgebildet sind, sich ihrer sozial und demokratisch adäquat zu bedienen, sich ihr Leben durch sie bereichern zu lassen, wie es ein paar Dutzend sie beherrschenden und sie privatisierenden Oligarchen gelingt. Im optimalen Fall werden Generationen nach uns das Problem erkennen, und dagegen eine sozioökonomische Revolution versuchen müssen. Ein Grundrecht auf Privateigentum über meine Daten könnte in einem fernen Zeitalter ein Ergebnis sein. Wenn es gut läuft.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net