Als ich im neuen Jahr die Augen öffnete, erschien mir ein mit der Sonne besetzter blauer Himmel. Bonner*innen wissen ja: Beuel, die Sonnenseite 😉 Möge es was zum Charakter des Jahres bedeuten, schön wärs.

Das Fernsehen, die über-60-jährigen wissen noch, was ich damit meine, startet womöglich heute auch programmatisch ins Neue Jahr. Das CDF sendet ein weiteres “Traumschiff” für die Helmut-Kohl- und Dieter-Thomas-Heck-Generation (“geistig-moralische Wende” hiess das). Die ARD hat heute scheinbar einen Saarland-Tatort für die im Denken stehengebliebenen 68er. Wer 1968 18 war, ist 2018 68 Jahre alt, also Teil der Kernzielgruppe öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Wie naiv dagegen die jungen Leute beim Kongress des Chaos-Computer-Clubs. Was Stefan Krempl bei heise-online über die Abschlussrede berichtet, erinnert mich von der Performance her an meine Ministranten-Zeiten (1965-70). Vielleicht ist es doch gut, dass es in Deutschland in diesem Jahr zu den 200-Jahr-Feierlichkeiten eine Überdosis Marx-Erinnerungen geben wird. Das #metoo-Thema verspricht, zwangsläufig durch die gesellschaftlichen Fakten, langlebiger zu sein. Fortschritt wird es dabei sicher nicht durch familiäre Gemeinsamkeitsappelle und Glauben an das moralisch gute Argument geben.
Sondern durch Bekämpfung der aktuell herrschenden Machtverhältnisse. Telepolis-Autorin Ruth Berger verdeutlicht das heute in einem beeindruckenden, wenig theoretisierenden sondern ganz aus dem “prallen Leben” berichtenden Text. Wie so oft, ist hier eine Autorin vielleicht zu individualistisch-überkritisch mit ihren Geschlechtsgenossinnen. Auch hier könnte ein bisschen Marx gegen kritischen Individual-Furor und für radikaleren politischen Fortschritt helfen.

Rainer Trampert könnte ungefähr wissen, was ich damit meine. In der Jungle-World zieht er mal wieder eine stark autobiografisch geprägte Bilanz von ’68. Er hat mir dazu ein paar Lebensjahre eigenes-Erleben-Kompetenz voraus, auch in den K-Gruppen kannte er sich bestimmt besser aus. Dafür weiss ich besser Bescheid über die von ihm gescholtenen Reformist*inn*en. Meine, in der FDP, verzichteten 1982 aus eigenem Entschluss auf Karriereoptionen. Und auch bei den Grünen hat es Trampert sicher zu mehr Karriere gebracht, als die meisten von uns. Mit-Claudia-Roth-böse-sein mag für Seinesgleichen ein intellektuelles Gratisvergnügen sein. Trabrennpferdbesitz war bei mir jedenfalls nicht drin.

Besser auf Ballhöhe als Trampert ist der grosse Philosoph Friedrich Küppersbusch, beunruhigend, dass er heute erstmals nicht informiert, “was machen die Borussen?” (hier Teil einer Antwort zum abgelaufenen Jahr), dafür sagt er uns was zum Terrorismus, der uns leider nicht verlassen wird: “Gemeinsamer Nenner der blutigen Revue ist Verrohung – weit eher als ein eindeutiger ideologischer Gegner. In dieser Summe erweist sich Terror als stumpfe Waffe: Was wer wem damit sagen wollte, nebelt diffus über den Blutlachen. Wie jeder andere Psychopath hat der Terrorist Anspruch darauf, ordentlich Realität vor den Kopf geknallt zu bekommen. Der Terror sollte sich nicht an uns gewöhnen.”

Update nachmittags: zur weiteren Medienentwicklung und -politik hier die Worte zum Neuen Jahr von Lutz Hachmeister, dem zu diesem Thema vielleicht analytisch klügsten Kopf hierzulande. (Zusammenfassung; voller Wortlaut folgt hoffentlich in den nächsten Stunden)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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