In vielen Fankurven hängt ein grossen Transparent solchen Inhalts. Die meisten, die es im TV sehen, verstehen es vielleicht nicht. Darum im folgenden einige Erklärversuche. Der moderne Fußball ist der, wie er heute ist. Hart und realistisch, ein Männersport, mit dem sehr viel, sehr sehr viel Geld bewegt wird (und Macht, s. #meetoo). Schwul werden die Männer immer erst, wenn sie mit dem Fußballprofidasein aufgehört haben; das ist durch zahlreiche Autobiografien, Spielerfrauen und Spielerkinder erwiesen 😉 Aber darum geht es in diesem Fall ausnahmsweise mal nicht.

Die Oligarchen dieser Welt nutzen den modernen Fußball zum Imagetransfer und zur Geldwäsche, zum Netzwerken mit Politik und Business. Die VIP-Logen sind die neuen Handelszentren der Weltwirtschaft. Da ist der moderne Fußball mächtig stolz drauf. Die grössten und wichtigsten Teile des modernen Fußballs gehören dem mächtigsten Medienoligarchen, dem Australier und US-Bürger Rupert Murdoch. Aber der stirbt bald. Leon Blavatnik würde gerne seine Nachfolge antreten, der den Vorteil hat, in den USA und Russland über gute Bekannte zu verfügen. Aber auch die Russen und die Araber, die sich schon weitgehend der Fifa bemächtigt haben (die darum von der US-Justiz militant bekämpft wird) und die Chinesen werden es beim Zuschauen nicht belassen.
Der moderne Fußball ist Geopolitik. Immerhin: unsere Bundeskanzlerin weiss Bescheid.

Viele von uns haben darauf keinen Bock mehr. Fußball soll Spass machen, die wichtigste Nebensache der Welt bleiben. Die Geldsummen, die er bewegt, machen das unmöglich. Aufmerksam macht, dass die Zuschauerzahlen im Stadion im Mittelklassebereich der Bundesliga bereits zurückgehen. Die Zuschauerzahlen beim Bezahlsender Sky, der (fast) alle Spiele live zeigt, werden vom Sender streng geheim gehalten, dafür aber zwischen ihm und der DFL intensiv ausgetauscht. Weil diese Zahlen wohl extrem auseinanderklaffen zwischen den Fußballvereinen und den Unternehmens- und Milliardärsspielzeugen Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und Leipzig, gibt es immer wieder öffentliche Debatten um die Verteilung der TV-Milliarden.

Jetzt ist das aktuelle Geschäftsmodell des modernen Fußballs durch den Rechtsstaat bedroht. Der ehemalige Torwart von Mainz 05, mit denen uns Gladbacher Borussen eine Fanfreundschaft verbindet, will nach dem allgemein in Deutschland geltenden Arbeitsrecht behandelt werden. Das findet der moderne Fußball skandalös und existenzgefährdend. Warum eigentlich? Warum soll, wer für einen mittelständischen Konzern schuftet und mit Mitte 30 arbeitsunfähig wird, soziale Ansprüche, die wir alle und unsere Eltern uns hart erkämpft haben, verlieren? Jeder DFL-Verein ist heute – mindestens – ein mittelständischer Konzern. Da ist kein Mitleid angebracht.
Müller hat seinen Prozess vor dem Bundesarbeitsgericht verloren. Doch der moderne Fußball hat schon gezittert. Vor dem Europäischen Gerichtshof könnte das nächste Bosman-Urteil drohen.

Fußballer müssten sich dann entscheiden, ob sie so werden wollen, wie Aubameyang. Oder wie Müller. Wir Fans wären für Müller. Wir Gladbacher lieben bis heute auch Ter Stegen. Der geht den anderen Weg. Wie trauern aber heute noch Stranzl hinterher; und werden Stindl nach der WM nur für sehr viel Geld hergeben. Ach so, das gibts dann nicht mehr. Ja, dann soll er doch bleiben und Jugendliche ausbilden. Oder später einmal Max Eberl beerben.

In Mönchengladbach haben sie vor Weihnachten beim Heimspiel gegen den HSV gepfiffen, als die 18-jährigen im Mittelfeld bei einer 1:0-Führung vor dem Halbzeitpfiff Rückpässe spielten. Im Westfalenstadion haben sie Sonntag auch gepfiffen, weil 17-18-jährige das Tor noch nicht optimal trafen (0:0 gegen VW Wolfsburg). Max Eberl hat sich medienwirksam darüber erregt, was er doch mitgeschaffen hat. Das waren nicht die Fans, die gepfiffen haben. Es war das Tennis- und Eventpublikum, das zahlungskräftig Sitzplätze bezahlen kann und was geboten kriegen will. Der moderne Fußball wollte die ins Stadion locken. Die Fans dagegen sind ihm lästig, schlechte laute Umgangsformen, Forderungen stellen, mitbestimmen wollen, Überidentifikation, manche politisieren sogar (gegen Rechtsradikale, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie, gegen Montags- und Sonntagssppiele, für Fanprojekte etc.), wo es doch nur um ein gutes Geschäft geht. Was für eine Nerverei.

Der moderne Fußball in Deutschland will sogar die WM-Titelverteidigung verhindern. Der DFL-Spielplan wird nicht an sportlichen Gesichtspunkten, Gesundheitsinteressen der Spieler oder gar Faninteressen orientiert, sondern an Murdochs TV. Wer zahlt, bestellt die Musik. Günstiger Nebeneffekt wäre, wenn platte Spieler in Russland an der Titelverteidigung scheitern. Hat nationaler Fußball überhaupt noch eine Bedeutung in der Globalisierung? Die Fifa wird doch sowieso demontiert. Und die Nationalmannschaft bindet unnötig öffentliche Aufmerksamkeit (und Euros), die doch noch gut auf die Konzernmühlen umgeleitet werden können, wenn die Grenzen des Wachstums schon in Sicht sind.
Wer braucht dann noch den DFB? Wer braucht Amateure? Sitzen doch sowieso lieber vor der Glotze. Da gehören sie auch hin, im modernen Fußball.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net