Der Spiegel hat sein Interview mit Per Mertesacker hinter einer Paywall vermauert. Wir sind also auf Sekundär-Berichterstattung angewiesen. Wie die Schwulen Fußballer, die sich erst nach der Profilaufbahn outen, spricht er erst jetzt offen. Nur einmal war er verhaltensauffällig geworden, als er in einem Live-Interview nach einem knappen WM-Sieg gegen ein starkes Algerien den kritischen Interviewer anblaffte, was er denn ausser einem Sieg gegen einen starken Gegner noch wolle. Für deutsche TV-Journalisten sind afrikanische Nationalmannschaften bis heute Kirmestruppen, und mit Rassismus hat das selbstverständlich überhaupt nichts zu tun.
Die Berichterstattung über das Spiegel-Interview konzentriert sich auf die Bunte-Illustrierten-Aspekte: wie schlecht es dem armen Mann gegangen ist etc. Mertesacker hat aber auch einen politischen Blick. Der Fußball wird von Jugendlichen so angehimmelt, weil er, ähnlich wie die bekloppten Castingshows, in ihrem Blick eines der wenigen Schlupflöcher ist, um in unserer Gesellschaft noch über Klassengrenzen hinweg aufzusteigen. Meiner Generation wurde das noch mittels Schul- und Hochschulbildung verheissen. Diese Illusion haben heute die meisten nicht mehr.
Mertesacker weist nun zutreffend darauf hin – und auch ein Trainer wie Christian Streich lässt sich in seiner Arbeit davon leiten – dass 99% der jugendlichen Fußballer daran scheitern, eine erfolgreiche Profikarriere einzuschlagen. Nur 1% kommt durch. Darum beharrt der zukünftige Jugendcoach von Arsenal darauf, dass die Schule für die Kids die Hauptsache bleiben muss. Dann bräuchten sie nur noch eine Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, die ihnen gleiche Chancen ermöglicht.
Die getroffenen Strassenköter des Murdoch-Fußballsenders Sky bellten laut auf. Mertesackers Steinwurf hat sie getroffen.
Alina Schwermer/taz und Jan Christian Müller/FR haben verstanden.
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