Jan Stich beschreibt in der aktuellen Jungle World anschaulich („Wie wir schlemmen wollen“), dass die Gastronomie sich in einem ähnlichen Umbruch befindet, wie der Einzelhandel. Clevere Netzinvestoren nehmen sie mit Lieferdiensten in den Schwitzkasten. Nur wenige haben es nicht nötig, deren “Service” nicht in Anspruch zu nehmen; die meisten zahlen das Schutzgeld, in dieser Branche “Provision” genannt.
Die meisten Eckkneipenwirte glauben bis heute, das Rauchverbot habe ihnen den Garaus gemacht. Das kann schon deswegen nicht sein, weil der Gesamtumsatz seit seiner Einführung beständig und überproportional gestiegen ist. Ein hübsches Detail: Gastronom*inn*en können jetzt Telefonzellen erwerben, in die sie telefonierende Gäste stellen können; unklar bleibt, ob die von aussen abschliessbar sind 😉 Die alte Eckkneipe am Leben zu erhalten, erfordert soziokulturelle Sonderbegabungen, über die z.B. Kamel Bsissa, Betreiber des El Horizonte am Adenauerplatz offensichtlich verfügt. Er hat ein überwiegend trinkendes Publikum, zum Teil spiel- und alkoholabhängig, zu anderen Teilen Professoren, aktive und ehemalige Fußballer, alle Klassen, auf engstem Raum, friedlich beieinander – und bei Konflikten gibt es nur einen Chef, der nötigenfalls auch von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Das geht, auch ökonomisch – und ist harte Arbeit.
Tatsächlich überträgt sich, von solchen seltener werdenden Ausnahmen abgesehen, die Klassengesellschaft, wie sie draussen im wirklichen Leben existiert, immer mehr ins Gastgewerbe. Billig-Billig-Essen kann nur noch über Massenfabrikation verabreicht werden. Gutes preiswürdiges Alltagsessen? Tja, das müssen Sie wohl in ihrer Betriebskantine erstreiten. Der Mittagstisch im Beueler Momo-Bistro, mit dessen Waren- und Zubereitungsqualität ich ausserordentlich zufrieden bin, kann kaum noch Hauptgerichte unter 10 Euro anbieten.
Das ist dem deutschen Publikum mehrheitlich “zu teuer”. Deutsche sind beim Essen geizig, und lassen sich das Fell bei den Getränkepreisen über die Ohren ziehen. In Frankreich oder Italien, finden wir als Tourist*inn*en die Menüpreise zu hoch (wenn sie es nicht sind, ist in der Regel das Essen schlecht), dafür wird der Wein viel näher am Ladenpreis serviert. Naja, und die mehrstündigen Siestas am Mittelmeer verstehen wir ja bis heute nicht. Der Klimawandel wird es uns beibringen.
An dieser Stelle hatte ich an mir bekannten Beispielen bereits Bonner Handmade-Gastronomie gelobt. Leichtes Leben hat die nicht. Das Mademoiselle hat sich in Endenich jetzt vergrössert, mit Fläche und Angestellten. Ein Abenteuer. Das Pastis dagegen erstickt am Erfolg. Das Publikum strömt mittags in wachsender Zahl. Als dann der Koch erkrankt ausfiel, schrammte der Betrieb nur knapp am Erstickungskollaps entlang. Denn hochqualifizierte Köch*inn*e*n laufen nicht auf den Strassen rum und warten auf Angebote. Wer keine Convenience auf- und heissmachen will, der/die muss immer zu lernen bereit sein, und braucht Liebe und Lust für diese heisse Arbeit. Und das bei Gästen, so schon oft im Momo-Bistro erlebt, die verständnislos und hektisch reagieren, wenn ihnen erklärt wird, dass hier nicht mit Mikrowelle gearbeitet wird. Das Pastis denkt darüber nach, sich kleiner zu setzen, um die kulinarische Quailität nicht opfern zu müssen.
Zeit ist Reichtum, viele haben das nicht. Darauf baut die Lieferdienstmafia. Ein weiteres Instrument, mit dem der Kapitalismus die Menschen ausquetscht – die Kund*inn*en wie die prekären Mitarbeiter*innen.
Letzte Kommentare