Es gab einen FC Arsenal vor Arsene Wenger. Das hat Nick Hornby in seinem epochemachenden Roman “Fever Pitch“, der später auch sehr ordentlich verfilmt wurde, beschrieben. Wenger kam zur Gründung der Kommerzmaschine Premier League und die Frage von Martin Krauss/taz, ob das als Ära zu bezeichnen ist, ist aus einem einfachen Grund mit Ja zu beantworten: Wenger hat England den “englischen Fußball” ausgetrieben.
Er war wahrscheinlich nicht der Erfinder, aber der Durschsetzer in der Alltagspraxis, eines Fußballs, der bis heute stilprägend für alle Weltklasseformate ist: schnelle Zirkulation des Balles durch Kurzpassspiel, und zwar per “One-Touch” pro ballführenden Spieler. Hier begann die Anforderung, dass ein Spieler schon bevor er den Ball zugepasst bekommt, wissen muss, was er als Nächstes mit ihm machen will. Im Vergleich: Peter Dietrich, Hacki Wimmer oder Berti Vogts erbeuteten mit hartem Defensivspiel den Ball vom Gegner und mussten ihn dann Günter Netzer, der gemütlich durchs Mittelfeld joggte, zuspielen. Gleichzeitig bewegten sich alle Gladbacher Mitspieler (Heynckes, Rupp, Peter Meyer) in freie Räume, um angespielt werden zu können. Als Netzer den Ball erhielt, hob er sein Haupt um zu sehen, welcher seiner Mitspieler sich in die günstigste Position bewegt hatte, und spielte dem den Ball zentimetergenau in den Lauf – Tor. Wie lang haben Sie gebraucht, um diese Passage zu lesen? Ungefähr so lange hat das in den 70er Jahren auch gedauert.
Ich verfüge über digitale Videoaufnahmen von beiden Äras. Der 70er Fußball wirkt in Echtgeschwindigkeit abgespielt heute wie Zeitlupe. Die neue Epoche begann exakt in den 90ern bei Arsene Wenger. Er hatte etliche französische Spieler geholt, um den englisch verseuchten Fußball auf der Insel zu kultivieren und zu modernisieren. Zu nennen sind hier Thierry Henry, Robert Pires, Patrick Vieira, auch Jens Lehmann, der hier den Höhepunkt seiner Karriere erlebte – und ein Holländer mit Flugangst: Dennis Bergkamp. Ich habe von ihm ein Tor gegen Newcastle auf Video, das davor und danach niemand mehr wieder gesehen hat. Es war die Kunst Wengers, solche verrückten Künstler zu Mannschaftsspiel motiviert zu haben, und ihnen zu helfen, sich ausgerechnet im Land des Klopperfussballs durchzusetzen. Das war wahrlich eine Ära.
Auch die Gründe, für die er heute von den Sesselpupser-Fans bei Arsenal verflucht wird (Kölner Fans, die nach einem Tor ihres FC im “modernen” Arsenal-Stadion zu doll jubelten – Polonäse etc. – wurden sofort verhaftet), wecken meine Sympathie: der Verein hat auch immer ordentlich Geld gehabt und ausgegeben, aber nie die Wahnwitzspitze erobert, wie seine wechselnden Konkurrenten, die jetzt natürlich in der Tabelle alle vor ihm stehen. Er hat ewigen Talenten wie Theo Walcott oder Jack Wilshere, die durch schreckliche Verletzungen hätten ruiniert sein können, die Treue gehalten. Er hat Cesc Fàbregas aus der Barca-Schule, aus dem Schatten von Xavi, Messi und Iniesta geholt und zum Durchbruch verholfen. Der Spieler kehrte später zu Barca zurück, und kassiert jetzt bei Abramowitschs Chelsea ab. Wenger liess sich nie von den Oligarchen-Besitzern seines Vereins zum Affen machen, wie es Thomas Tuchel jetzt in Paris blüht.
In den schlimmsten Gladbach-Jahren hat Monsieur Wenger den Fußballfan in mir am Leben gehalten. Ewiger Dank.

Lesen Sie ergänzend auch, was Andreas Rüttenauer über die Vorbereitungen zum Freundschaftsspiel Deutschlands mit Saudi-Arabien demnächst in Leverkusen (wo sonst?) herausgefunden hat.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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