Nein, es ist nicht alles schlecht. Für mich überwog gestern das Positive.
Sonntagsmorgens mit der Bahn zu fahren, kann, vom frühen Aufstehen abgesehen, ein Vergnügen sein. Ausser ein paar Sportsüchtigen hier auf dem Rheindeich liegen um die Zeit fast alle noch in den Betten, stehen jedenfalls nicht auf dem immer noch zu kleinen Bahnsteig 2/3 des Bonner Hauptbahnhofes. Die regelmässigen, werktäglichen Nutzer der Mittelrheinbahn zwischen Bonn und Köln würden glauben, es sei ein Traum. Die Bahn fährt pünktlich, es gibt eine grosse Auswahl aus dem Sitzplatzangebot, und keine Überholung in Sechtem, Kalscheuren oder Köln-Süd.
In Köln Hbf. gibt es Gelegenheit beim Flanieren zum Umsteigebahnsteig noch einen kleinen Imbiss zu errwerben. Der ICE nach Dortmund kommt mit 5 Minuten Verspätung, der hintere Zugteil ist zugesperrt. Macht aber nichts, im vorderen gibt es ebenfalls ein reichhaltiges Platzangebot. So breite ich mich auf einem Doppelsitz auf, schlage die breite Sonntagszeitung auf und beisse in mein frisches Baguette-Brötchen. Bahnfahren kann ein Vergnügen sein. Mit der U-Bahn in Essen traf ich 10 Minuten vor der angekündigten Zeit am Zielort ein. Bundeswehrsoldaten, Fußballfans, Frauen- oder Männergesangs- oder Kegelvereinsaufkommen: 0!
Aber es war Sonntag. Für die Rückfahrt am Abend befürchtete ich das Schlimmste.
Sonntagabend – ich erwARTE das Schlimmste
Ich peilte in Essen Hbf. den IC um 22 h, den letzten umsteigefreien nach Bonn an. Der kam in der Vergangenheit immer aus Binz auf der Insel Rügen, einerseits touristisch aussergewöhnlcih empfehlenswert, andererseits meistens bei der Rückfahrt in den Westen sehr unpünktlich. Vor der Zeit am Bahnsteig verpasste ich knapp den verspäteten 21-Uhr-Zug, der mich nach Bonn hätte bringen können. Beim Studieren der Verspätungsmeldungen erspähte ich den 20-Uhr-Zug mit “100 Minuten Verspätung”. Wie praktisch doch alles eingerichtet war. Weil er völlig ausserhalb seines Fahrplanes (noch bis Frankfurt) fuhr, war er für einen Sonntagabend aussergewöhnlich entleert. Zumindest fürchtete ich, er werde, wie ich das in den letzten Monaten gewohnt war, auf der Strecke von der Fahrdienstleitung viel ausgebremst werden, weil die wenigen Fahrgleise zu ausgelastet wären. Nichts davon bei diesem, so eine Durchsage vor Düsseldorf, “106-Minuten-Verspätung”-Zug.
Ich griff mir den Zugfahrplan-Flyer von einem Nebensitz und wusste Bescheid: er kam aus Westerland!
106 Minuten Verspätung – aus Westerland!
Westerland ist für den Personenverkehr der Bahn derzeit, was vor einigen Monaten noch Rastatt für den Güterverkehr war: ein Desaster für das ganze Netz. Technische Überprüfungen haben ergeben, dass das Gleisnetz im Nordwesten Schleswig-Holstein in Laiendeutsch übersetzt am Ende ist. Das Schöne ist nun, dass die Hausinsel des Hamburger Millionär*inn*e*n und Milliardär*inn*e*n am Boden nur mit der Bahn erreichbar ist. Gut, die meisten von denen können sich einen Privatflieger leisten. Wenn die Bahn, wie jetzt, quasi nicht fährt, sind die Landebahnen auf dem schmalen Sylt aber wohl nicht ausreichend dimensioniert. Und vor allem: wie soll das Dienstpersonal zur Arbeit kommen?
Die Immobilienpreise auf Sylt werden so unendlich aufgepumpt, dass arbeitende Menschen sich dort einen Aufenthalt nicht mehr leisten können. Wenn sie aber auch nicht mehr zum Arbeiten anreisen können, bricht die milliardärsorientierte Sonderwirtschaftszone Sylt zusammen.
Es besteht Hoffnung, denn Hamburger Multimillionäre können gefährliche Wutbürger sein
In diesem Fall besteht also noch Hoffnung. Der Hamburger Bundesfinanzminister Scholz wird gewiss in Kürze bereit sein, Investitionen zur Sanierung der Schienenverbindung zur Verfügung zu stellen. Schliesslich ist es den Millionär*inn*en, die sich in der Hafen-City ein schickes Penthouse erworben haben, auch gelungen, Landstromversorgung für die Dreck verbreitenden anlegenden Kreuzfahrtschiffe durchzusetzen – wer will schon beim Rühreiverzehr auf seinem Balkon Schwermetalle zu sich nehmen? Sozial ist es die identische Zielgruppe, die eine funktionierende Sylt-Infrastruktur durchsetzen wird.
Manche rätseln ja, warum der Olaf sein schönes Wahlsieg-Hamburg freiwillig für eine Berliner Karriere verlassen hat. Der Total-Stromausfall am Hamburger Flughafen gestern nährt in mir den Verdacht: Olaf wusste zuviel.
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