Alle Parteien sollten (und werden!) das lesen. Es war noch vor Nahles in Auftrag gegeben worden, und wurde – Respekt! – gestern der ganzen Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben. Die Autor*inn*en Jana Faus, Horand Knaup, Michael Rüter, Yvonne Schroth und Frank Stauss haben im Auftrag der SPD eine bemerkenswerte Arbeit zur Analyse der Bundestagswahl 2017 vorgelegt.
Nebenbei: meine Hervorhebung der “alten Frauen” als Stütze Angela Merkels wird durch das vorgelegte Zahlenmaterial für 2017 bestätigt, aber in der Analyse nicht weiter bearbeitet.
Der Text hat aber bedeutsame Stärken. Er verzichtet darauf, ein Fähnchen in den rechten Wind zu hängen, fordert keine Anpassung der SPD-Flüchtlingspolitik an die AfD, beklagt zu Recht die permanente Sendung widersprüchlicher Signale. Er fordert im Bereich der Sozial- und Gerechtigkeitspolitik eine klare Linkswendung und gerät zu einer regelrechten Abrechnung mit der Agendapolitik von Schröder, Clement, Hombach und Müntefering. Letzterer wird andererseits und richtigerweise für sein gutes Handwerk im Wahlkampf 98 gelobt, das angesichts aktueller Missstände im SPD-Apparat zur Legende geworden ist.
Richtig betont wird die Notwendigkeit der Wiederbelebung von Bündnissen mit der Zivilgesellschaft, eine Aufgabe, die sich alle schmilzenden Parteien hinter die Ohren schreiben müssen. Liebe Grüne, liebe Linke, wenn die SPD damit tatsächlich ernst machen würde, müsst ihr euch Sorgen machen.
Allein: mir fehlt der Glaube, dass die SPD überhaupt noch in der Lage ist, die organisationspolitischen Vorschläge – selbst bei bestem Willen – noch umsetzen zu können. Die Problemanalyse deckt sich inhaltlich 110%ig mit dem, was ich in meiner Textreihe “Politisches Prekariat” beschrieben habe. Die daraus entstandenen Substanzprobleme machen aus meiner Sicht die organisationspolitischen Reformen, die die Autor*inn*en für die SPD fordern, unmöglich. Sie können es nicht mehr. Sie sind schon zu schwach.
Lehrbuchhaft, wenn auch nur stichwortartig, wird die strategische Bedeutung des “Framing“, der Sprache und politischer Begriffe benannt. Hier finden Willy Brandt und seine “Entspannungspolitik” Erwähnung. Ihre mögliche inhaltliche Fortsetzung und Weiterentwicklung als einstiger SPD-Markenkern bleibt unerwähnt. Eine sträfliche Lücke. Zumal die Autor*inn*en selbst Zitate liefern, mit denen die wachsende Verunsicherung der Menschen in diesem Politikbereich belegt wird. Ich muss zugeben: das beunruhigt mich am meisten. Dass die Spitze der sozialdemokratischen Intelligenz, die sich hier in meinen Augen positiv zeigt, das überhaupt nicht mehr auf dem Schirm hat.
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