Um eine Grüne Katastrophe in Bonn zu vermeiden, müssen Sie jetzt selbst Grüne*r werden (mit Update 17.10.)
In Bonn sind derzeit über 700 Menschen Mitglied bei den Grünen. Viel ist das nicht, mit einer “Volkspartei” hat das nichts zu tun. Ist aber doppelt so viel wie in den 90ern, als ich dem Kreisvorstand noch angehört hatte. Es ist normal – und nicht so verwerflich wie es klingt – dass es immer dann viele neue Mitglieder gibt, wenn Wahlsiege gefeiert und Koalitionen verhandelt werden: denn dann winken Karriereoptionen. Wer soll denn überhaupt Karriere machen, wenn nicht die, die das Volk dafür wählt? Darum mein dringender Rat: machen Sie jetzt mit! Das, was jetzt in Bayern passiert ist, das droht 2020 auch in NRW, also auch bei uns in Bonn zu passieren.
Die Grünen werden stärkste Partei im Stadtrat und stellen die*den OB*ine. Nun kenne ich die aktuelle Grüne Elite in Bonn weitgehend persönlich. Und muss Sie warnen: wäre gestern in Bonn Kommunalwahl gewesen, wäre das Ergebnis für unsere Stadt eine Katastrophe. Kommunalpolitiker*innen, das wissen die wenigsten, sind Amateure. Ihre Aufwandsentschädigungen sind so bescheiden, dass damit jedenfalls keine Familie zu ernähren ist. Entsprechend wenige leistungsstarke Menschen bewerben sich um solche Mandate. Diese Gewählten müssen dann aber die Führung einer Stadtverwaltung von in Bonn rund 5.000 Beamt*inn*en und Angestellten politisch organisieren. Und ich verrate Ihnen kein Geheimnis: die meisten können es nicht. Da machen wahlsiegende Grüne keine Ausnahme.
Die aktuelle Fraktionsspitze der Bonner Grünen stammt noch, wie ich, aus den politischen Bewegungen der 80er Jahre, und ist in diesem Denken auch stehengeblieben. Sie kann noch nicht mal mit einem 5-köpfigen Fraktionsbüro motivierend zusammenarbeiten – das habe ich persönlich getestet. Wie soll das dann mit 5.000 Leuten werden?
Eine zeitlang setzten zumindest kleine Sektoren der Grünen-Fraktion Massstäbe. Als Peter Finger als Fraktionschef und meine damalige Kollegin Petra Merz noch die Haushaltsberatungen organisierten, haben sie sich bei allen Fraktionen und auch in der Stadtverwaltung Respekt und Anerkennung verschafft. Das Königsrecht des Parlaments wurde erstmals in der kommunalen Parlamentsgeschichte Bonns adäquat ausgeübt. Die beiden wären zu ihrer besten Zeit die beste Besetzung für die Kämmerei selbst gewesen. Peter Finger musste dann jedoch in seinem Hauptberuf als Betriebsratsvorsitzender von Solwarworld eine veritable Konzernpleite begleiten, Petra Merz ihren Job aus gesundheitlichen Gründen wechseln (mehr zu Berufskrankheiten hier; das muss wissen, wer eine 5.000er-Verwaltung organisieren will). Seit die beiden nicht mehr können, ist dort, beim Königsrecht des Parlaments, eine grosse Leere. Auch und gerade bei den Grünen; es gibt nur eine Ausnahme im Sozialausschuss: der im Wortsinne sachkundige Bürger Manfred Becker.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil ich Ihnen was vorschlagen will.

Wählen Sie sich einen Montagabend, an dem Sie sich besonders hartgesotten und unverwundbar fühlen. Und schauen Sie sich um 18 Uhr im Alten Rathaus (Eingang Rückseite, Rathausgasse, I. Stock) eine Fraktionssitzung der Grünen an. Die sind öffentlich. Ich empfehle Ihnen nicht, zu sagen, das sei Ihnen hier empfohlen worden, obwohl: zum Hartgesottensein könnten Sie das zusätzlich verbuchen 😉
Dort werden Sie erleben, wie dünn die Suppe ist, die da gekocht wird. Das können Sie auch. Und wenn Ihnen das Leben in Ihrer Stadt eine Spur wichtig ist, werden Sie das anschliessend tun: sich selbst bei den Bonner Grünen um ein Mandat für die Kommunalwahl 2020 bewerben – tun müssen Sie das schon nächstes Jahr! Zu vergeben sind Stadtrats- und Bezirksvertretungsmandate (Bonn, Bad Godesberg, Beuel, Hardtberg); nach der Wahl ausserdem noch Mandate als sachkundige Bürger*in in den Fachausschüssen das Stadtrates (die werden von den Fraktionen vorgeschlagen und vom neuen Stadtrat gewählt).
Selbstverständlich können Sie sich an vielen anderen Stellen in unserer Stadt engagieren. Viele tun das. Der erfreulich grosse Teil unserer Republik, der sich gestern bei #unteilbar auf beeindruckende und schöne Weise gezeigt hat, darf die Parteipolitik nicht mehr den Parteien überlassen. Wir müssen “es” jetzt selbst tun. Update 17.10.: Matthias Greffrath hat es heute in seiner taz-Kolumne schön formuliert: “Die bittere Einsicht ist die, dass 100 Jahre nach der Erkämpfung der repräsentativen Demokratie nicht ausreichend viele Bürger bereit sind, für ein Durchbrechen der Mauer zwischen Bürgerwillen und seinen Repräsentanten ein Opfer auf sich zu nehmen: das Opfer an Lebenszeit.” Jetzt ist Gelegenheit für Sie persönlich, das zu ändern. (Update Ende) Für die Kommunalpolitik gibt es gesetzliche Fristen einzuhalten. Die, die Sie dort gewählt haben, können bis zur nächsten Wahl ausharren: 5 Jahre! Wenn Sie das hier gelesen haben, ist Ihr Weg zum Ausreden-Stakkato “Das habe ich nicht gewusst – Mir sagt ja keiner was – Auf mich hört ja keiner” versperrt. Ich habe Sie gewarnt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net