Nach meiner Lektüre der SZ-Geschichte über Jamie Oliver machte ich mir was Gutes zu Essen. Nichts Weltbewegendes, Pasta mit was drauf. Beiläufig bemerkte ich – huch, ist ja ohne Fleisch. Die Zwiebelmettwurst vom Bentheimer Schwein beim Metzger im Beueler Momo war Samstag schon alle; die kommt bei mir sonst immer dazu, köstlicher als Omas Frikadellen! Dennoch habe ich an Zutaten, die als “ungesund” gelten, nicht gespart. Vor einigen Wochen hatte ich ein – in Chemnitz abgefülltes – Meersalz entdeckt, mit dem ich umgehe, wie sonst mit gutem Wein oder Schokolade. Ich kann nicht davon lassen, und verwende es verschwenderisch. Ebenso wie die gesalzene Butter. Butter kommt bei mir an fast alles Selbstgekochte. Weil es mir schmeckt.
Zum Essen gabs einen jungen Rotwein von Fanny Tisseyre aus Ornaisons in Südwest-Frankreich. Fanny ist befreundet mit einer Ex-Arbeitskollegin von mir, bei der hier in Beuel sie vor einiger Zeit eine wahnsinnig publikumsüberfüllte Weinprobe gab. Nun hat die Weinbranche ja sehr erfolgreich die “Nachricht” in die Welt gesetzt, dass im Rotwein irgendwas wahnsinnig Gesundes drin sein soll, das, in Massen genossen, unser Leben verlängern soll. Wer glaubt das nicht gern? Aber wo hört massvoll auf und fängt masslos an? Eine Frage an den Weingenuss, die kontrovers diskutiert wird, seit es Menschen gibt.
Warum erzähle ich Ihnen das? Weil es uns nur schmeckt, wenn wir uns ganz im Sinne Adornos von den Deutungsangeboten der Industrie und der von ihr bezahlten Wissenschaft befreien. Nach der Lektüre der SZ-Story über den Missionar und Multimillionär Jamie Oliver fand ich diesen Text von Uwe Knop/telepolis, der als Ernährungswissenschaftler sein eigenes Fach frontal angreift, und vermutlich absolut richtig liegt. Schön zeigt er, dass die Ursache für fehlernährte Kinder – gesamtgesellschaftlich gesehen – u.a. der obszöne Reichtum Olivers und ihre eigene Armut ist. Olivers Geschäftsmodell wie das zahlreicher Ernährungsberater*innen ist genau darauf gebaut. It’s the economy stupid!
Wir sollten beim Essen und Trinken nicht auf Andere hören und uns dabei das Hirn zermARTErn (“Orthorexie”!). Es ist eine Erfindung der Evolution, dass Kinder auf Süsses positiv und auf Bitteres negativ reagieren. Weil es in ihrem Lebensstadium gut für sie ist. Wenn sie selbstbewusst und ichstark aufwachsen können, wird sich der Geschmack selbstständig und individuell weiterentwickeln. Irgendwann wird Bitteres schmecken und Süsses bisweilen als zuviel empfunden. Und bei jeder*m anders. Hören wir auf, Millionen von Kinder für krank und hässlich zu erklären (und auch uns selbst). Nur wer sich selbst liebt, kann das Leben (und den “Sex des Alters”) geniessen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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