Wer hat eigentlich als Letzte*r eine Wahl für die SPD gewonnen? Malu Dreyer? Olaf Scholz? Heiko Maas und Nils Schmid jedenfalls nicht. Maas als Spitzenkandidat brachte seine SPD im Saarland bei zwei Landtagswahlen von 44,4 auf 24,5% (2009). Schmid als Spitzenkandidat brachte seine Partei in Baden-Württemberg in einem vergleichbaren Zyklus (2011, 2016) von 25,1 auf 12,7%. Ob die weihnachtlichen Kommentare dieser Herren zwischen Washington, Paris, London und Moskau irgendjemand beeindruckt haben?

Maas und sein Subtext

Heiko Maas liess über die Weihnachtspause verlauten, atomares Wettrüsten in Europa sei “die falsche Antwort”. Hui, dachte ich beim Zuhören, das hätten wir in den 80ern als Friedensbewegung nicht besser sagen können. Aber hallo: das war eine Reaktion auf Putin, der Raketenrüstung androhte, als Reaktion auf den 1988 von Reagan, dem Friedensengel, und Gorbatschow in Kraft gesetzten und von Trump wieder gekündigten INF-Vertrag. Maas sprach vordergründig grundvernünftig, konstruiert im Subtext aber einen Sachzwang. Weder Trump noch Putin haben die Absicht nachzugeben, oder dem andern gar jesusartig eine zweite Backe hinzuhalten. Es kommt also vermutlich das, was Maas angeblich nicht will. Dann ergibt sich für die traurige SPD leider, leider ein Sachzwang für unsere Sicherheit: wir brauchen selbst Atomwaffen, damit uns die “starken Männer” in Ost und West überhaupt ernstnehmen. Trump demontiert das westliche Bündnis (=Nato). “Also” muss “Europa” (=EU) in die Lücke springen. Ärgerlicherweise tritt UK gerade aus. Bleibt als Atommacht nur noch das kleine innenpolitisch zerüttete Frankreich “übrig”. Da gibt es dann, wieder leider, leider, “keine Alternative” dazu, dass es von Deutschland stabilisierend umarmt werden muss, und dabei, welch ein Zufall, fällt eine gemeinsam-solidarische atomare “Verteidigungsfähigkeit” als Kollateralnutzen ab. Und “wir” sitzen endlich, endlich bei den atomaren Grossmächten wieder mit am Tisch. Die SPD, das Windfähnchen der deutschen Atom-, Rüstungs- und Maschinenbauindustrie und der damit verbundenen Grossmachtträume. Ihr letzter Existenzzweck.

Russlands Schwäche als deutsches Fenster der Atomwaffen-Gelegenheit

Wahlen wird sie so nicht mehr gewinnen. Diese Hoffnung hat sie wohl aufgegeben. Der größte SPD-Wahlsieg der Geschichte war der einzige, der mit Aussenpolitik gewonnen wurde. Die Bundestagswahl 1972 war ein Plebiszit über die Entspannungs- und Ostpolitik der damaligen sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel. Auch diese hatte das Ziel atomarer Mitverfügungsgewalt nie aus den Augen verloren, sah sich aber chancenlos, wenn die alte Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges fortgesetzt worden wäre. Das sieht aus Maas’ Perspektive, und derer, deren Interessen er hier vertritt, im Angesicht von Trump, einem geschwächten Russland und einer unter deutscher Regentschaft gewichtiger gewordenen EU “günstiger” aus.
Russlands Schwäche bietet sich dem Herrn Schmid als Fenster der Gelegenheit an, denen mal zu erklären, was “Demokratie und Menschenrechte” bedeuten. Auf die Belehrung haben sie dort seit 1992 gewartet. Schmid hat scheinbar politische Selbstverständlichkeiten geäussert, die sich leider nur an den real existierenden Problemen brechen. Seit Wolfgang Schäuble meinen Männer aus Baden-Württemberg, dass man in einem solchen Fall dem Ungehorsamen mit Strafen und Sanktionen die Richtung weisen muss. So tut auch der Wahlverlierer Schmid so, als handele es sich da um irgendein Land, das sich nicht an “die Regeln” hält.

Wenn nur noch Atom-Macht bleibt, wirds erst richtig gefährlich

Im konkreten Fall gibts da leider grosse Probleme die nicht nach den Schwäbschen Geschichten des Ossi Reichert zu lösen sind. Russland ist Atommacht. Und Russland kann ökonomisch nur existieren, wenn es seine reichen Rohstoffe gewinnbringend exportieren kann. Wenn es in die Enge getrieben wird, indem man ganz “friedlich” das Zweite verhindert, bleibt nur das Erste, die Atommacht. Die Erklärung der Herren Maas und Schmid, wie uns das sicherer macht, steht noch aus.
Gibt es bei 50-jährigen pubertäre Reflexe? Bei Männern offensichtlich: Ja! Mindestens schwerwiegende Minderwertigkeitskomplexe. Die Abgrenzung von den letzten öffentlich repräsentierenden SPD-Machos Schröder (Wahlsieger), Steinmeier (Wahlverlierer, aber Bundespräsident) und Gabriel (Troubadix) mag menschlich verständlich sein und kann als Ranschmeissversuch an die heute die Richtung bestimmenden Frauen gedeutet werden. Wer weiss, ob Maas noch im Amt wäre, wenn Nahles ihm im SPD-Präsidium nicht den Hals gerettet hätte. Respekt verschaffen sich die Jungs damit trotzdem nicht. Nirgends. Von den Damen Nahles und Schulze, die ich beide, wenn auch unterschiedlich gut, kenne, weiss ich, dass sie über Schröder schon lange weg sind, und andere, grössere Sorgen haben, als sich an den Jungs von gestern noch abgrenzen und profilieren zu müssen.

Wer sich hinter Paywalls äussert, kann auch mit einer Wand sprechen

Ich las heute morgen den FAZ-Text von Markus Wehner zu seinem Gespräch mit Nils Schmid. Die FAZ hat die Unart, solche Texte im Tagesverlauf hinter ihrer Paywall zu vermauern. Darum fehlen entsprechende Verlinkungen. Die zahlreichen Agentur- und Radiomeldungen bezogen sich alle auf Schmids FAZ-Gespräch. Politiker*innen, die mit ihren Äusserungen im Originalton ein grosses Publikum erreichen möchten und sich Souveränität gegenüber Medien wünschen, sollten genauer darauf achten, mit welchem Medium sie zusammenarbeiten, und wie dieses Medium mit ihrer Urheber*innen*schaft umgeht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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