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Wie man eine Kampagne macht

Nein, ich bin kein Lungenfacharzt, ich verstehe nichts von der Physik des Feinstaubs und bin kein Allergologe. Das alles muss ich auch nicht sein, um mich zur aktuellen Sau, die durchs mediale Dorf getrieben wird, zu äussern. Ich habe mal eine Volkszählungsboykott-Kampagne konzipiert und erfolgreich durchgeführt. Ich bin heute in der Erwerbsarbeit Unternehmensberater und kenne die Methoden des “Nudging” und “Spin-doctoring” zur Steuerung öffentlicher Debatten, die meine Berliner Kollegen auch kennen. Was muss ich tun, wenn ich heute ein Thema “setzen”, die öffentliche Meinung manipulieren will?

  1. Ich suche mir einen unverdächtigen “Experten” – besser noch ein Netz von Mitstreitern. Er oder sie müssen seriös auftreten, unverdächtig sein, keinesfalls auf der “Payroll” oder in der Nähe der Interessenvertreter zu finden sein, die den Auftrag geben, das Thema zu setzen oder den öffentlichen Diskurs verändern wollen. Rhetorische Dominanz ist wichtiger als inhaltliche Substanz. Eitelkeit nicht unerwünscht.
  2. Ich suche Medien oder Politiker oder beides, die das Thema aufzugreifen bereit sind. Ich treffe sie unverfänglich und deute an, was ich “gehört habe”, was demnächst an “spannenden neuen Themen” zu erwarten ist.
  3. Ich versuche nicht, einen Bericht in einem Fernsehmagazin wie “Frontal 21”, “Monitor”,”Report” oder anderen zu initiieren, die recherchieren viel zu sorgfältig. Am besten ist eine Talkshow, das ist kommerzielle Unterhaltung, bei der die Quote wichtiger ist, als der Informationsgehalt. Frank Plasberg ist die erste Adresse. – Dann Maischberger. Die seriöseren beiden Damen haben dann schon keine Chance mehr, das Thema nicht aufzugreifen.
  4. Die “Bild” Zeitung – unerlässlich für das Platzieren “alternativer Fakten”.
  5. Einfache Botschaft – nichts mit komplizierten Fakten und Statistiken, besser dagegen – an den “gesunden Menschenverstand” appelliert und “einfache Antworten” auch auf komplexe Probleme müssen geboten werden.
  6. Ein “kritische Masse” (Marx sprach mal von “verelendeten Massen”) heute sind nur noch Menschen nötig, die sich vernachlässigt oder zu kurz gekommen FÜHLEN und nach einem “wahren Schuldigen” suchen.
  7. Eine solide vorbereitete (a-)soziale Medien-Kampagnenstelle mit oder ohne bots.

Ach ja, in der Regel bedarf es, um so etwas strategisch zu planen einer Agentur, von denen es bundesweit eine dreistellige Zahl gibt und eine hübsche Summe Geld. Schließlich müssen Strategiepapiere, Argumentationshilfen, – keine Drehbücher, die könnten durchgestochen werden – fomuliert und vorbereitende Gespräche mit Pressestellen, Fachabteilungen der Ministerien geführt werden, Bürgerinitiativen, – echte oder ge”fake”te angesprochen werden – die ja alle vorbereitet werden müssen, dass da etwas kommt – natürlich völlig sachlich und unauffällig – ein halbes Jahr Vorlauf hat so etwas schon.

Dann kann es losgehen!

Wieso erinnert mich die aktuelle Diskussion über angeblich so fragliche Feinstaubwerte gerade jetzt daran? Es begann bei Plasberg. Die “Bild”-Zeitung griff es “wie zufällig” auf. Das Thema ist uralt, völlig ausdiskutiert, die politischen Entscheidungen sind vor Jahren gefallen. Warum, fällt es einem Professor und hundert seiner Kollegen erst jetzt auf, dass an den Grenzwerten etwas nicht stimme und nicht vor ein, zwei, vier Jahren? Da war alles schon bekannt.

Könnte das damit zu tun haben, dass die Autokonzerne, die bei der Einhaltung von Grenzwerten betrogen haben, von ihrer Verantwortung ablenken wollen?

Damit, dass sich CSU-Autolobbyist Scheuer weigert, die Dieselfahrer vor deren Betrugspraktiken zu beschützen?

Damit, dass anstatt gegen die Verursacher der Misere vorzugehen, die Überbringerin der Botschaft – nämlich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) – angegriffen wird, weil sie auf Einhaltung von Gesetzen klagt?

Damit, dass man mit dem skandalösen Gesetz der GroKo “50 ist gleich 40” Mikrogramm Recht beugen wollte und nun befürchtet, vom Verfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof dabei gestoppt zu werden?

Damit, dass im Wahljahr der Europawahl eine Kampagne nicht schlecht wäre, die Grünen, die in Umfragen bei über 20% stehen und die bisher von der Diskussion “kalt erwischt” zu werden scheinen, als Verursacher hinzustellen, ihnen die Rolle des Sündenbocks zuzuweisen, die dem “Gesunden Menschenverstand” mit ihrem “Dirigismus” entgegenstehen? – Die Rolle ist ihnen schon zugewiesen, die Stichworte schon gegeben!

Wer kommt dagegen schon mit Fakten an?

  1. Am Donnerstag abend lief in “Plusminus” ein Bericht über Volkswagen, der bestätigte, dass alle Teile zur Umrüstung eines Euro 5 Golf auf Euro 6 im Regal liegen, passen, genügend Platz haben, nur nicht eingebaut, nicht einmal verkauft werden dürfen, weil VW das nicht will.
  2. Ich habe dasselbe bei meinem Fahrzeug festgestellt und kenne seit letzter Woche die Teile, die in “Brüdern” meines Fahrzeugs ab Februar 2015 eingebaut wurden, um es von Euro 5 auf Euro 6 zu bringen. Ich bekomme aber die Software nicht. Ich habe mir entgegen Martin Böttgers Rat Plasberg und Will angesehen und kein einziges neues Argument gehört, das widerlegt hätte:
  3. WARUM die Nachrüst-Teile, die schon längst vorhanden sind, weil sie in den USA von VW, BMW und Mercedes viel früher eingebaut werden mussten, hier nun nicht passen sollen oder Probleme bereiten sollen und Diesel-Euro 4 und 5 Besitzer deshalb alle teure, CO² schleudernde Benziner oder überteuerte E-Autos kaufen sollen?
  4. WARUM die strengen Werte in den USA für Fahrzeuge viel früher galten, obwohl soundso hohe Werte am Arbeitsplatz zulässig sind?
  5. UND WARUM die Grünen nicht schon längst eine Kampagne vorbereitet haben, mit der sie sich an die betrogenen Dieselfahrer wenden und ihnen beistehen, sich gegen Konzern- und Lobbywillkür zu wehren, anstatt diese “kritische Masse” den Einfachbotschaften und den Initiatoren eines strategisch eingefädelten Ablenkungsmanövers zu überlassen?
  6. Wer dahintersteckt? Keine Ahnung, das ist reine Spekulation, aber da Scheuer und sein Staatssekretär das “Wording” (Freiheitsbeschränkung, Dirigismus, EU-Bürokratie usw.) so übermotiviert beherrschen, würde ich auf die CSU tippen. Egal – es geht um Ablenkung und Inszenierung von Fake News.

Übrigens: Die Verschiebung des öffentlichen Diskurses 2015/16 gegen Flüchtlinge und Angela Merkels Politik hat – noch lange vor den Kölner Silvesterübergriffen – ebenfalls bei Plasberg und in “Bild” begonnen. Der Europawahlkampf ist eröffnet!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Dr.med. Heinz Stein

    Bei den Lungenärzten, die sich für eine solche Kampagne hergeben,
    muss man hinterfragen, in welcher Region diese tätig sind (wahrscheinlich eher nicht
    an verkehrsbelasteten Strassen) und ob nicht doch möglicherweise ein Interessenkonflikt besteht
    (Besitzer teuerer Dieselfahrzeuge ?).
    Ich bin Internist, der nie gegen die nicht zu leugnende Gesundheitsgefährdung seiner Patienten
    derartige Aussagen treffen würde .
    Dr.Stein

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