Münchner Konferenz: kein Interesse an UNO und OSZE
„Wer sammelt die Scherben auf?“ Unter dieser Titelfrage sollte bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz laut Direktor und Moderator Wolfgang Ischinger darüber diskutiert werden, „wie wir die Kernstücke der internationalen Ordnung bewahren können“. Die Bilanz nach drei Tagen Diskussion ist ernüchternd und erschreckend: für die globalen und die gesamteuropäischen „Scherben“ UNO und OSZE interessierte sich auf dieser Konferenz fast niemand mehr. In den Reden westlicher TeilnehmerInnen kamen sie überhaupt nicht vor. Russische und chinesische RednerInnen sammelten diese „Scherben“ zwar auf und hielten sie hoch, warfen sie mit ihren konkreten Aussagen etwa zur Rolle ihrer Länder in den Konflikten in der Ukraine oder im Asiatischen Meer aber wieder auf den Boden.
Die US-amerikanischen und die europäischen KonferenzrednerInnen befaßten sich nur noch mit der „Scherbe“ NATO sowie ganz am Rande mit der „Scherbe” EU. In scharfem Kontrast zu den allseits mit großem Pathos formulierten Bekenntnissen und Treueschwüren zur NATO oder zur „westlichen Wertegemeinschaft“ standen dann allerdings die Äußerungen zu sämtlichen konkreten transatlantischen Konfliktthemen wie Handel, Autozölle, Northstream 2-Pipeline, Nuklearabkommen mit Iran oder Truppenpräsenz vs. Abzug in Syrien und Afghanistan.

Gespenstischer US-Vizepräsident

Geradezu gespenstisch war der Auftritt von US-Vizepräsident Mike Pence, der die Weltführerschaft einer seit Antritt der Trump-Administration angeblich politisch und militärisch gestärkten USA reklamierte und offen die Unterordnung der Europäer bei den genannten Konfliktthemen einforderte. Mit seiner Behauptung, Iran bereite einen „neuen Holocaust“ vor, verharmloste der US-Vizepräsident zudem einmal mehr den realen Holocaust und verhöhnte dessen sechs Millionen Opfer. Nach dem Münchner Auftritt dieses christlichen Fundamentalisten und eifernden Ideologen kann die Welt nur hoffen, daß Donald Trump seine erste Amtszeit durchhält und – sollte er 2020 wiedergewählt werden – auch die zweite.
Dominiert wurde diese Konferenz einmal mehr von wieder um ein Jahr gealterten weißen Männern, die zu Beginn ihrer Reden gerne daran erinnern, daß sie schon in den 60er Jahren bei der „Wehrkundetagung“ dabei waren, dem Vorläufer der heutigen Sicherheitskonferenz. Sie behaupten zu Beginn ihrer Reden zwar, sie hätten die neuen globalen Herausforderungen wie den Klimawandel und die Veränderung der geopolitische Gemengelage seit Ende des Kalten Krieges verstanden, begeben sich dann aber wieder in die ideologischen und politischen Schützengraben dieses Krieges.
In dieser Runde war Bundeskanzlerin Angela Merkel noch die vergleichsweise differenzierteste und klügste Rednerin. Doch eines sollte nach ihrer Rede auch klar sein: die Aufkündigung des INF-Mittelstreckenvertrages durch die USA „haben die Europäer alle mitgetragen“ (Merkel). Damit sind die Europäer auch mitverantwortlich für alles, was an nuklearen Aufrüstungsmaßnahmen in Europa erfolgen wird, sollten sich Washington und Russland bis Anfang August nicht noch auf eine seriöse Überprüfung ihrer bislang unbewiesenen gegenseitigen Vorwürfe verständigen. Für eine entsprechende Bereitschaft gab es in München leider noch keine Anzeichen.
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Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.