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Grundrechte verwirklichen – Freiheit erkämpfen!

Eine kleine, aber wichtige politische Jugendorganisation hat heute Geburtstag: Die JungdemokratInnen/Junge Linke oder Deutsche Jungdemokraten.
21 Jahre lang waren sie Jugendorganisation der linksliberalen Weimarer Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 36 Jahre waren sie mit der FDP liiert, seit nun 37 Jahren sind oder waren sie parteiunabhängiger politischer Jugendverband. Heute vor 100 Jahren wurden in Berlin die Jungdemokraten gegründet – das stimmt nicht ganz, denn sie nannten sich damals noch “Reichsbund demokratischer Jugendvereine”.  Erst 1922 benannten sich die Bayern als erster Landesverband in “Jungdemokraten” um. Die wechselvolle Geschichte dieses kleinen, kämpferischen Verbandes nachzuzeichnen, ist das Anliegen des Buches “Grundrechte verwirklichen-Freiheit erkämpfen”, das Michael Kleff und der Autor mit 63 Co-Autor*innen herausgeben und das gestern im “Academia”-Verlag (NOMOS) erschienen ist. Der DLF berichtet, dass es kein rein historisches Interesse ist, das die Autoren antreibt, sondern politsche Einmischung für sozialliberale Politik.

Gründung nach durchzechter Nacht

Aber schon die Gründung verlief ziemlich “undogmatisch”-eben jungdemokratisch, die Reichsbahn hatte lediglich etwa 60 von 100 Delegierten rechtzeitig nach Berlin gebracht und so wurden die Diskussionen um Satzung und Aufruf vertagt, nur Max Wiesner zum kommissarischen Vorsitzenden des Reichsbundes gewählt. Das zweite Treffen fand dann am 18. Juli 1919 statt, wegen einer gut durchzechten Nacht eröffnete die Sitzung mit 1 1/4 Stunden Verspätung und es nahm eine heftige Debatte über die Altersgrenze ihren Lauf, in der manche für 20 Jahre, andere für 40, höchstens 30 Jahre stritten, Ernst Lemmer mit der bemerkenswerten Begründung für 40, weil die Jungsozialisten durchschnittlich so jung und politisch so harmlos wären, solle man das anders machen. Es gab keine Einigung und wie später üblich beschloss man, dies der Basis zu überlassen, jeder Kreisverband solle darüber selbst entscheiden. Euphorisch wurden anschließend Aufruf und Satzung verabschiedet und man vergaß in dieser Stimmung sogar, den Vorstand zu bestätigen, der blieb einfach im Amt.

In den kommenden Jahren entwickelten sich die Jungdemokraten zur linken und auf liberale Prizipientreue pochenden Stimme in der DDP, deren Stern in Weimar sank, weil man – so die Jungdemokraten – nicht konsequent genug links- und sozialliberale Politik verfolgte. Die Jungdemokraten kämpften für den Frieden, für Abrüstung und Aussöhnung mit Frankreich – der Friedensnobelpreisträger von 1926, Prof. Ludwig Quidde, spielte als Mentor und Unterstützer der Jungdemokraten eine wichtige Rolle, ebenso wie der Gewerkschafter und Arbeiterführer Anton Erkelenz, mit Friedrich Naumann Gründer der DDP. Noch 1926 verkündete der Reichtagsabgeordnete und DJD-Vorsitzende Ernst Lemmer, er sei “in erster Linie Jungdemokrat und erst in zweiter Linie Mitglied der DDP-Reichtstagsfraktion”, um zwei Jahre später gegen die Beschlüsse von Jungdemokraten und Partei für die Finanzierung des Panzerkreuzers A zu stimmen – nachdem SPD und DDP im Wahlkampf mit der Parole “lieber Kinderspeisung statt Aufrüstung” Erfolg hatten. So kam es zum ersten Eklat und Rücktrittsforderungen gegen Lemmer, vor allem durch den Hamburger Radikaldemokraten Erich Lüth sowie die “Echo”-Herausgeber*innen Dr. Julie Meyer und Otto Stündt aus Nürnberg.

Die 15-jährige Inge Meysel redete gegen die Todesstrafe

Zum Bruch zwischen Jungdemokraten und DDP kam es dann im August 1930. Nachdem ihr langjähriger Vorsitzender Ernst Lemmer im Mai endlich zurücktrat, fusionierte er am 30.7.1930 gemeinsam mit dem DDP-Vorsitzenden Koch-Weser putschartig die DDP mit dem autoritären, antisemitischen “Jungdeutschen Orden” zur “Staatspartei”. Selbst Theodor Heuss sprach damals von einem “Putsch”.
Gegen die große Zahl von jüdischen Intellektuellen bei den Jungemokraten und in der DDP wie Heinrich Mann, Thomas Dehlers Frau Irma Frank, Dr. Julie Meyer, Inge Meysel, – die hielt ihre 1. Rede gegen die Todesstrafe 1925 im Alter von 15 bei den Jungdemokraten –  Helmuth von Gerlach, Georg Anschütz u.v.a. war das ein unglaublicher Affront. Die meisten Jungdemokraten waren entsetzt und gründeten am 3.8.1930 die “Unabhängigen Demokraten” mit Prof. Ludwig Quidde als Vorsitzendem.

Weimarer Parallelen zu 1982

Die Wahl im September 1930 wurde zum Desaster für die DDP/STP mit 3,8% (zuvor 4,8%) und nur noch 20 Reichstagsmandaten, der “JungDo” trennte sich wieder von der STP, noch vor der konstituierenden Sitzung des Reichstages. Viele Jungdemokraten gründeten im November 1930 die Radikaldemokratische Partei, die aber wegen der heraufziehenden Nazi-Erfolge und Katastrophe der Weimarer Demokratie keine Bedeutung mehr bekam und 1931 und 1932 notgedrungen zur Wahl der SPD aufrief – Anton Erkelenz, war inzwischen zur SPD gegangen und die fünf DDP-Reichstagsabgeordneten 1932 gelangten nur durch eine Listenverbindung mit der SPD ins Parlament. – Interessante Parallelen zur “Wende” 1982 und danach.

Nach dem Krieg: Nazis in der FDP

Die Jungdemokraten, die sich 1947 wieder gründeten, standen weit rechts von den Weimarer Jungdemokraten. 1953-55 gab es in der NRW-FDP die “Jungen Adler” eine Kinderorganisation, die von ehemaligen HJ-Führern dominiert wurde. In NRW, Niedersachsen und Teilen Hessens waren ehemalige SA-Leute in der FDP tätig, wie z.B. Euler, wie Burkhard Hirsch berichtet. Jungdemokraten und der liberale Studentenbund LSD bekämpften diese Kräfte, Baden-Württemberg und Hamburg bleiben linksliberale Hochburgen gegen nationalistische Teile der FDP. Günter Verheugen schreibt in seinem Beitrag, er “fühlte sich am falschen Ort und wollte lieber ein Bier trinken gehen”, als die Kölner Judos mit vielen anderen 1961 zum Herrmannsdenkmal gekarrt worden waren, wo Erich Mende eine schneidige, revanchistische Rede hielt – aber dann sprach ihn ein gewisser Gerhart Baum an und erklärte ihm die Lage…

Wende zur sozialliberalen F.D.P.

Was folgte, war der Aufbruch und die Wandlung der FDP von der rechten Blockpartei neben der CDU zur sozialliberalen F.D.P. der Freiburger Thesen. “Die Auffassung, dass Liberalismus und Privateigentum an Produktionsmitteln in jedem Fall identisch seien, gehört zu den Grundirrtümern der jüngsten Geschichte, die in unserer Zeit fortleben.” schrieb Karl-Hermann Flach 1971 in “Noch eine Chance für die Liberalen”.  Als die Jungdemokraten 1971 das antikapitalistische “Leverkusener Manifest” beschlossen titelte die “Süddeutsche Zeitung”: “Die FDP hat ihre Jugendorganisation wieder.” Als sie 1980 beschlossen, die FDP sei “eine Agentur der Kräfte, denen wir die Macht abnehmen wollen” waren sie hinsichtlich der Spendenaffäre von Graf Lambsdorff und dem rechten Flügel der FDP geradezu prophetisch.

Nicht die Jungdemokraten, sondern die FDP verließ 1982 den politischen Liberalismus und die JD trennten sich per BDK-Beschluss, waren seither parteiunabhängige Jugendorganisation, die sich erst in den 2010er Jahren intern völlig zerstritt. Nicht zu vergessen sind jedoch die Erfolge der Jungdemokraten, – auch ohne Partei – die im “deutschen Herbst” 1977 den Buback-Nachruf nachdruckten und zur Rechtstaatlichkeit mahnten, die die Demos 1979 gegen AKW und 1981-83 die Friedensdemonstrationen gemeinsam mit anderen Linken Organisationen und den entstehenden Grünen im Bündnis organisierten.

Volkszählungsboykott 1987 – das waren die Jungdemokraten

Sie waren es, die 1987/88 mit dem “Koordinierungsbüro gegen den Überwachungsstaat” in Bonn bundesweit die Volkszählungsboykott-Initiativen koordinierten und dafür sorgten, dass dieser Protest friedlich verlief. In den 90er Jahren machten sie durch Sprüche wie “Maria hättest Du abgetrieben, der Papst wär uns erspart geblieben” von sich reden, die die katholische Kirche provozierten und wofür sie zum Teil skandalöse Strafurteile auf sich nahmen. Derweil erstritten die ehemaligen Jungdemokraten Baum und Hirsch Urteile gegen den “Großen Lauschangriff” und die “Vorratsdatenspeicherung” vor dem Bundesverfassungsgericht.

Judos blieben konsequent, führten am Karfreitag “Das Leben des Brian auf und brachten so das bayerische Feiertagsgesetz vor Gericht zu Fall – und ihre z.T. barbusige Demonstration gegen die Re-Militarisierung unter Rot-Grün anlässlich der Rekrutenvereinigung im Bendlerblock 1999 brachte ihnen eine Brandmarkung durch Otto Schily im Verfassungs”schutz”bericht ein – was für eine bürgerrechtliche Auszeichnung!

Ehemalige Jungdemokraten heute

Heute sitzen vier ehemalige Jungdemokraten im Deutschen Bundestag, mit Claudia Roth und Wolfgang Kubicki zwei Vizepräsidenten, darüber hinaus Matthias W. Birkwald und Pascal Meiser bei den “Linken”. Benjamin Hoff, Heike Werner und Malte Krückels sind Regierungsmitglieder in Thüringen, bis vor kurzem war Klaus-Peter Murawski Staatsminister und rechte Hand von Winfried Kretschmann. Dass es ein Bedürfnis gibt, linksliberale und radikaldemokratische Politik weiter zu entwickeln, scheint in der Luft zu liegen. Das “Generationentreffen” 2019 findet vom 31.5.-2.6. im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn statt. Hierzu lädt die “Radikaldemokratische Stiftung e.V.” in Gründung ein.
Roland Appels DLF-Interview hier nachlesbar.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Burkhard Gutleben

    Ein paar Anmerkungen zum Kapitel »Weimarer Parallelen zu 1982«: das Desaster von 2 Sitzen für die DStP gab es erst im November 1932, die »frische« Staatspartei kam 1930 noch auf 20. Und die fünf Abgeordneten über die Listenverbindung mit der SPD gelangen 1933 bei der letzten halbwegs freien Reichstagswahl. Damals war die SPD noch daran interessiert, den traurigen Rest der linksliberalen Wählerschaft repräsentiert zu sehen.1982/83 hatte sie eine andere Strategie, wie Appel selbst im Interview sagt: »Die SPD wollte ausdrücklich nicht, dass es eine linksliberale eigenständige Partei gibt.« Daher hat sie die namhaften Linksliberalen absorbiert und der Gegengründung Liberale Demokraten nur einen »Neuanfang der Namenlosen« übrig gelassen…

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