Freitags ist der erfahrene Bahnreisende auf alles vorbereitet. Ich erreichte den Bonner Hbf. eine halbe Stunde vor der vorgesehenen Abfahrtszeit und erspähte auf der Anzeigetafel im wieder auffindbaren Hbf.-Gebäude zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigte 55 Minuten Verspätung. Der RE5 in meine Richtung Ruhrgebiet, der schon weg sein sollte, kam gerade erst mit 25 Min. Verspätung. Den gelang es mir zu ersprinten, unter Verzicht auf einen Zeitungskauf.
Im Gegensatz zu den Fernzügen sind die REs auch freitags nur “normal” gefüllt. Ein Sitzplatz für Einzelreisende ohne schweres Gepäck ist immer im Angebot.
Sollte ich nun in Duisburg Richtung Essen Hbf. umsteigen? Oder in Oberhausen Richtung Essen-Altenessen? Oder in Sterkrade auf den Bus Richtung Essen-Karnap? Ich wagte Letzteres. Reisende Richtung Wesel wurden unter Ausstossung schmutziger Flüche ebenfalls zum Aussteigen gezwungen. Wegen der Verspätung wurde der Zug hier bereits umgedreht, die Fahrgäste auf die folgende Privatbahn verwiesen.
Ich dagegen hatte Glück. Mein Bus war in 9 Minuten angekündigt und kam auch pünktlich. Die Linienführung geht einmal quer durch das schöne Bottrop mit einer Schleife durch die noch schönere alte Bergarbeitersiedlung Welheim. Seit 1993 steht sie unter Denkmalsschutz, und das ist ihr aufs angenehmste anzusehen. Sie ist nicht durch den terroristischen Individualgeschmack ihrer einzelnen Hausbesitzer verunstaltet, sondern Fassadenfarben, Dächer, Fenster, sogar die meisten Haustüren geben bis heute ein ansehnliches Ensemblebild. Im benachbarten Essen-Karnap, wo es ähnliche Kämpfe gab und gibt (gegen von unten in die Keller drängendes Wasser) ist das nicht so gut gelungen.
Nach gelungener Hinreise gab es auf meiner Rückreise ein neuartiges Problem. Ich erreichte den Essener Hbf. zu spät, schien aber im Glück. Der IC nach Bonn war mit 20 Min. Verspätung angekündigt. Ich hatte nur 10. Machte 10 Min. Zeit für einen Zeitungskauf. Am Bahnsteig angelangt wurden ebendiese 20 Min. angezeigt, der Zug hatte aber bereits Abfahrtskommando. Er war also früher, als angedroht. Das kannte ich so noch nicht, seit gefühlt 20-30 Jahren nicht. Also auch sowas passiert. 5 Minuten dahinter kam der Flixtrain. Der fährt, aussen frisch lackiert, innen mit alten D-Zug-Waggons, also nicht übermässig komfortabel und auch nicht übermässig schnell, dafür scheinbar extrem billig. Nur: DB-Fahrkarten gelten dort nicht. Ich nahm also einen IC eine Stunde später. Auffällig in Essen wie in Köln: die Bahnsteiganzeigen kommen dem tatsächlichen Zugverlauf nicht hinterher. Wenn Sie also, wie ich, beim Treppe hinaufstürmen hektisch auf die Anzeigetafel starren, und daran Ihr spontanes Einsteigeverhalten orientieren, können sie leicht im falschen Zug landen. Es gibt weder menschliche Ansagen noch von Menschen am Bahnsteig gesteuerte Anzeigen. Das ist alles weggespart. Sind es Individuen? Sind es Algorithmen? Funktionieren tuts jedenfalls nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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