Vermutlich haben die Verlagsgeschäftsführer der Rheinischen Pest die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie feststellen mussten, was ihre Bosse da eingekauft haben: der General-Anzeiger (GA) hat noch keine Paywall? Ogottogott, wissen die in Bonn immer noch nicht, wie digitaler Kapitalismus funktioniert? Naja, Bonn wird von allem Guten und Bösen immer ein paar Jahre später erreicht.
Samstag teilte mir die Webseite des GA plötzlich mit, ich hätte schon “19 von 20” Artikeln gelesen, die sie mir zu schenken bereit seien. Ich dürfte weiterlesen, wenn ich ihnen meine Daten schenke. Das Geschäftsmodell auf dem Weg von Pressefreiheit zu Big-Data-Handel. Und noch viel mehr dürfte ich lesen, wenn ich Geld dazugebe. Verleger sein bedeutet, Informationen und Meinungen verknappen, ihre Verbreitung an alle bekämpfen. Denn wie sollen sie sonst davon reichwerden? Kann mann so machen. Kapitalismus funktioniert so. In unserer neuen Zeit haben Städte, deren lokales Medienmonopol den Gesetzen des Systems auf diese Weise folgt, ein Strategieproblem: so wie die Zeitungen dieser Informationsfreiheitsprohibition verschwinden auch die Städte aus der globalen digitalen Wahrnehmung. Das Ruhrgebiet und Köln sind von ihren lokalen Pressemonopolen bereits weitgehend digital verschlossen worden. Ihr “Ansehen in der Welt”, oder gar nur in unserer Republik, wird dadurch gewiss nicht besser, dass sie öffentlicher digitaler Wahrnehmung entzogen werden. Die “Funke-Mediengruppe” mit einem Helmut-Kohl-Anwalt im Besitzerclan wird von mir keinen Cent bekommen, nur weil ich gerne wüsste, ob der Neubau meiner ehemaligen Schule in Gladbeck voranschreitet. Dann muss ich halt mit Freund*inn*en telefonieren.
Oder nehmen wir als gewichtigeres Beispiel dieses Interview des GA mit Norbert Reinkober, Geschäftsführer unseres Verkehrsverbundes VRS. Es ist ein klassischer Fall von lokalpolitisch wichtigen Informationen, auf die alle Bürger*innen im Bereich des VRS ein Recht haben. Denn sie bezahlen den Mann mit ihren Steuern und ihren Fahrausweisen. Es gibt kein verfassungsgemässes Recht für Milliardäre, denen Zeitungsverlage gehören, diese Informationen für sich zu horten. Nur mit den Fragen des Journalisten, den sie (hoffentlich anständig) bezahlen, kämen sie nicht weit.
Die deutschen Zeitungsverleger haben vor deutschen Gerichten erstritten, dass Städte nicht selbst Journalismus veranstalten dürfen. Selbst dann nicht, wenn in ihrem Gebiet Zeitungen verschwinden, nur noch ein Verleger ein Monopol besitzt. Und in nicht wenigen Landkreisen ist es bereits US-amerikanisch: die Lokalpresse ist ausgestorben.
Diesen Weg gehen die deutschen Zeitungsverlage. Auf Papier werden sie nicht mehr gekauft. Und online machen sie selbst das Licht aus. Der GA vertraut darauf, dass es halt in Bonn ein paar Jahre später ist.
Auf lange Sicht heisst das: die Öffentlichkeit unserer Stadt wird selbst dafür sorgen müssen, dass es nach dem Ableben des General-Anzeigers in schätzungsweise 20 Jahren noch Lokaljournalismus gibt. Ein UN-Standort wird sich sein Verschwinden nicht leisten können. Da die Stadt es nicht selbstmachen darf, müssen es Bürger*innen machen, frei von Machtausübung und Zensur durch lokale Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Wenn die Demokratie in unserer Gesellschaft erhalten bleibt und bleiben soll, liegt es nahe, dafür staatsferne öffentlich-rechtliche Organisations-, mglw. Stiftungsstrukturen (Geld ist ja genug da) zu schaffen. Eine kleine Stadt mit grossen Hochschulen bietet beste Voraussetzungen dafür, dass das gut werden kann.
Ich hätte auch noch einen Hinweis für die was-mit-Medien-Branche, so weit sie ehrlich an unabhängigem Journalismus interessiert ist: mein privates Medienbudget ist begrenzt. Mein Einkommen liegt aktuell unter dem deutschen Durchschnitt, meine Bereitschaft fürs Informiertwerden zu bezahlen liegt eher drüber. 100 € im Monat sind bei mir nicht zu holen, eher 50. Die könnt Ihr haben, wenn Ihr gemeinsam eine Flatrate für alle anbietet, in der nicht Ihr die Gatekeeper (dt.: Türsteher) seid, sondern ich. Desgleichen für Streamingdienste, von denen ich noch keinen abonniert habe, und es zu heutigen Konditionen auch nicht tun werde. Der Deal ist also: Ihr kriegt meine Daten nur, wenn Ihr mich selbstbestimmen lasst, was ich lese und sehe. Wenn Ihr das steuern wollt, gibts keine Daten geschenkt, nicht von mir. Schafft Ihr nicht? Euer Pech.
Müssen wir halt die Plattformen vergesellschaften, die Spielregeln demokratisch bestimmen – das wird “Gesetze” genannt – und Euch erlauben, da Euren digitalen Verkaufsstand hinzustellen. Ein klassischer Fall, in dem sich die EU nützlich machen könnte.
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