von Jürgen Repschläger
Die im Kern berechtigte Kritik von Nike Wagner hat eine große Schwäche. Sie ist zu pauschal. Die Intendantin des Beethovenfestes hatte “dem” Bonner Klassikpublikum einen altmodischen, rückwärtsgewandten, zur romantischen Kuscheligkeit neigenden Konzertkonsum vorgeworfen und mokiert, dass “die Bonner an sich” noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen seien. Dies so verallgemeinert allen Klassikliebhaberinnen vorzuwerfen ist ein Fauxpas. So plump ist der Vorwurf falsch und er bietet vollkommen unnötig Angriffsflächen, vor allem für diejenigen, die mit der Intendanz von Frau Wagner von Anfang an gefremdelt haben.
Das Bonner Klassikpublikum unterteilt sich, wie im Übrigen jedes andere Publikum auch, in Konservative und diejenigen, die neugierig und offen Neuem und der Zukunft zugewandt sind.
Wer alle als im Gestern verhaftet bezeichnet, tut nicht nur vielen Unrecht, sondern fördert auch Solidarisierungseffekte im gesamten Publikum und erschwert damit eine produktive Debatte.
Dabei ist am Umgang Bonns mit Beethoven im allgemeinen und Teilen der Bonner Kassikszene mit dem Beethovenfest im speziellen so einiges zu kritisieren.
2012 schrieb die damalige Ministerpräsidentin von NRW Hannelore Kraft als Schirmdame des Festivals im Grußwort des Festprogramms: “Es ist das Verdienst des Beethovenfestes den Komponisten vom hohen Sockel herunter auf ein menschliches Maß zurückgeführt und den bürgerlichen Mief aus dem Konzertsaal verbannt zu haben.”
Richtig! Aber seit der Diskussion um ein Festspielhaus und erst recht seit dem Beginn der Vorbereitungen auf das Jubiläum 2020 ist ein entgegen gesetzter Diskurs zu beobachten. Beethoven wird als angeblich “größter Sohn der Stadt” wieder gottgleich in schwindelerregende Höhen geschossen. Politik und Teile des eher konservativen Bürgertums wollen anscheinend an diesem Ruhm partizipieren. Und man kann offensichtlich nicht genug davon bekommen. So erklärt sich das Teile (!) des Publikums, der Politik sowie Vereine wie “Bürger für Beethoven” ihren Helden im Festival omnipotent vertreten sehen wollen und Elemente des Wagnerischen Programms als modernistisch, zu intellektuell und avantgardistisch abtun.
Genau hier trifft die Kritik von Nike Wagner ins Ziel. Es ist in der Tat provinziell, die eigene Bedeutung über die Projektionsfläche Beethoven erhöht sehen zu wollen. Beethoven soll quasi als Ersatzkanzler den , nach dem Hauptstadt-Ende so empfundenen Bedeutungsverlust, kompensieren.
Der Komponist wird aber nicht allein für die Eitelkeit des Bürgertums instrumentalisiert. Nicht nur Nike Wagner kritisiert die Kommerzialisierung, die Reduzierung Beethovens auf eine Marke. Nicht seine Persönlichkeit, sein Charakter und sein Werk stehen im Vordergrund, sondern seine Funktion als Objekt verkaufsfördernder Maßnahmen.
Es gibt kein Mittel, Beethoven vor solcher Leichenschändung zu bewahren und schwach ist die tröstende Hoffnung, Gott möge ihm seine Taubheit mit ins Grab gegeben haben, auf dass er von dem Reklame-Geschrei. das mit seinem Namen getrieben wird, verschont bleibe. Denn was würde der arme alles zu hören bekommen: “Bonn ist Beethoven weil….” oder “Beethoven ist Bonn weil….”
Diese Heldenverehrung und ihre durchsichtigen Motive hat Nike Wagner nie mitgemacht. Dafür wurde sie von den Konservativen abgestraft. Nun schießt sie zurück.
Auch wenn Frau Wagner, wie eingangs gesagt, zu pauschal kritisiert: Ich teile ihre Grundkritik und gehe noch etwas darüber hinaus. Ich kann es nicht besser sagen als der Musikkritiker Hans Heinrich Stuckenschmidt in der “Weltbühne” vom 22.3. 1927:
“Daß aber schließlich die bürgerliche Gesellschaft aus diesem unbürgerlichsten Musiker, diesem wirklichen Rebellen einen schlampigen Halbgott gemacht hat, ein leicht dämonisch angehauchtes Schoßhündchen, dessen Konterfei, von elenden Stümpern verewigt, in der guten Stube hängt, ist zuviel.” Im Mittelmeer ertrinken Menschen und im Konzertsaal probt der Kapellmeister zum dritten Mal den Trauermarsch aus der “Eroica”.
In meinen Augen hat sich Nike Wagner um Beethoven verdient gemacht, weil sie genau diese Bigotterie nicht mitgetragen hat. Beethoven selbst hat es nicht nötig in Schutz genommen zu werden. Seine Musik schützt ihn.
Der Autor ist Stadtverordneter im Rat der Stadt Bonn (Fraktion Die Linke).

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