ARTE zeigte in den letzten drei Wochen eine neunteilige Dokumentationsreihe aus der Küche des US-amerikanischen öffentlich-rechtlichen Minisenders PBS über den Vietnamkrieg. Sehr, sehr sehenswert, zum Teil immer noch anrührend. Warum sollte das heute immer noch angesehen werden? Der Vietnamkrieg war einer der letzten, über den besonders viel Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit gelangte. Er begründete so das Konzept des Embedded Journalism, mit dem die Kriegstreiber*innnen der Welt die Herrschaft über die Bilder wieder zurückeroberten. und eines der ersten Kriegsopfer wieder die Wahrheit wurde. Für den Vietnamkrieg waren die Bilder der Schlüssel, warum er beendet werden musste, durch eine rechte US-Regierung. Lynn Lovick und Ken Burns verzichten auf schwarz-weisse Gut-und-Böse-Zeichnungen. Dadurch gewinnt ihr Film aufklärerische Kraft.
Und die eingesetzte Musik ist – eine Seltenheit in heutigen Dokumentationen – absolut stilsicher und inhaltsbezogen eingesetzt. Sie erinnert an eine Zeit – ich war noch zu jung um das seinerzeit wahrzunehmen – in der zwar die Künstler*innen von der Industrie schrankenlos ausgebeutet und nicht selten in den frühen Drogentod bugsiert wurden, aber vieles in der damaligen Popmusik grosse poetische und politische Kraft hatte.

Somalia – Khat

Im Anschluss wurde ich von einem sensationell-informativen Werk überrascht, das mich radikal daran hinderte, den Weg zur Bettruhe zu finden. Ich kenne Khat bereits seit den 90er-Jahren. Damalige Untermieter des Grünen-Kreisverbandes in Bonn, eine somalische Exilorganisation, die zehn Monate Mietschulden anhäufte und dann spurlos verschwand (ihre zurückgelassenen Mitgliedsausweise habe ich persönlich bei mir im Garten verbrannt, um sie nicht in Geheimdiensthände fallen zu lassen), kaute ausgiebig Khat, und ich vermute, sie handelte zu Finanzierungszwecken auch ausgiebig damit. Unsere damalige Kreisgeschäftsführerin, seinerzeit mit einem Polizisten verheiratet, war sehr beunruhigt. Diese damalige Exilorganisation stellt heute die Spitze des international nicht anerkannten Landesteils Somaliland, hier schon erwähnt.
Nun finden sie einen prominenten Platz in einem Film, der die Khat-Verseuchung riesiger Regionen in Ostafrika zeigt. Der Anbau und der Handel mit Khat ist heute, noch mehr als damals in Bonn, Bedingung für die Existenz und den Aufbau einer Ökonomie. Da es keine Integration in andere Ökonomien gibt – Nichtanerkennung und internationale Isolierung, Kriegszerstörungen und -traumatisierungen – ist das eine logische Folge. Die leider massenhaft Menschen, überwiegend Männer, umbringt und Familien sowie andere soziale Zusammenhänge erbarmungslos zerstört. Das, was dieser Film zeigt, nennt mann hierzulande “Afrikapolitik”. Dass sich das rächen wird, ist für alle Lebewesen mit Verstand klar ersichtlich. Sudanesische Militärdiktatoren bekommen viele deutsche Millionen gezahlt, um Flüchtende aus diesem Elend von “uns” fernzuhalten, ganz wie die “libysche Küstenwache”. Passende Schimpfworte dafür zu finden, fällt mir schwer, denken Sie sich selbst welche aus.
Sensationellerweise wurde dieser erstklassige Beitrag vom WDR mitproduziert. Da frage ich mich, warum der Sender das nicht stolz und werbewirksam präsentiert. Arm.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net