Wie wir regiert werden / Glücksspielmafia missbraucht die Kinder
Altmeister Bertrand Tavernier gehört zu den besten Regisseuren, die unser Nachbarland Frankreich hervorgebracht hat. Mein Lieblingswerk aus seiner Fabrikation ist “Que la fête commence…” (dt.: Wenn das Fest beginnt), eine treffendere Geschichtsschreibung, als sie die meisten Historiker*innen zustande bringen (nur sehr selten im deutschen TV, noch nicht mal mit eigenem Wikipedia-Eintrag). Mit dem unvergesslichen Philippe Noiret in der Hauptrolle. Vorgestern präsentierte ARTE ein gegenwartsbezogenes Spätwerk von Bertrand Tavernier: “Wildes Treiben am Quai d’Orsay”, leider ohne Mediathekangebot, aber mit einer Wiederholung am Montag um 14 h (programmieren Sie Ihre Videosoftware!).
Es geht um nicht weniger als die Frage, wie wir regiert werden. Manches ist in Frankreich anders, aber vieles auch ähnlich. Deutsche Regierungskunst habe ich in NRW und in Bonn live erlebt. Von der Kunst in Hauptstadtberlin verfüge ich über zahlreiche Augenzeug*inn*enberichte. Auf dieser Basis kann ich bestätigen: ein Film lebt von dramaturgischer Verdichtung, aber ja, so ist es. Alle Typen, die bei Tavernier vorkommen, könnte ich mit Klarnamen aus meiner Erinnerung versehen. Mein Schreibtisch, und noch mehr der von Roland Appel, sah exakt genau so aus, wie in Taverniers Quai d’Orsay. Selbstverständlich gibt es auch kulturelle Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland: in Frankreich wird mit mehr Pathos geschwätzt; die französischen Büros und Regierungsgebäude sind ungleich schöner. Und das Essen ist – noch – wichtiger. In Taverniers Inszenierung ist aber bereits zu erkennen, wie seine Relevanz und die Lust absteigen und verloren gehen. In dieser Schlüsselszene spielt die wunderbar verhuschte Jane Birkin als Nobelpreisträgerin eine tragende Nebenrolle. Unbedingt ansehen – Spass und Ernst zugleich.

Glücksspielmafia – sie ist überall

Jeder Fußballgucker beim Pay-TV weiss, dass die Glücksspielmafia das Fußballbusiness schon in ihre Westentasche gesteckt hat. Alle lassen sich aushalten, wie der als zukünftiger Boss des Fußballkonzerns aus dem süddeutschen Raum ausgeguckte Versager der WM von 2002 (und Ersatzspieler von 2006), aber auch ganze Vereine, Ligen und sogar die das Produkt verkaufenden Medienkonzerne. Es ist widerlich zu sehen, wie sie sich alle von diesen kriminellen internationalen Netzwerken aushalten lassen. In jeder Halbzeitwerbepause wird mir speiübel, wenn ich in meiner Fußballkneipe von denen besendet werde. Auch Internetportale von Vereinen, Ligen, DFB und Zeitungsverlagen sind absolut schmerzfrei darin, direkte Verlinkungen zu solchen kriminellen Vereinigungen zu installieren. Bei mir erzeugt das Terrorismusfantasien.
Darum bin ich der bildundtonfabrik (btf) mit ihrem Frontclown Jan Böhmermann sehr dankbar, dass sie sich gestern diese Bande mal vorgenommen hat. Denn selbstverständlich sind sie längst Big Player in der boomenden Branche der Computerspiele. Und selbstverständlich ganz vorne beim Missbrauch und Süchtigmachen der Kinder. Die hiesige demokratische Politik ist sogar so korrupt, für sie scheunentorgrosse Gesetzeslücken gebaut zu haben. Das kann nach meinen persönlichen Erfahrungen nicht ohne Lobbyauftrag passiert sein. btf hat es auf “lustig” inszeniert und von Böhmermann aufführen lassen – aber es ist um Schlechtwerden.
Die einstige Studentenfirma ist zu einer fett-profitablen Sache geworden. Neben dem ZDF gehört nun auch Netflix zur Kundschaft, für das sie hier in Bonn-Ippendorf was drehen. Kein Neid. Lieber solche, als andere.

Und heute, 20.15 h

Der grosse Bierbichler mit seinen “Zwei Herren im Anzug” (TV-Erstausstrahlung)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net