In Beuel – bei Pufferküssern – im “Klimapopulismus”
Die leidgeprüften Pendler*innen der Strassenbahnlinie 62 wissen es schon lange: es wird gebaut. Einerseits wird – gefühlt – an den Bonner Strassenbahnlinien mehr gebaut als gefahren. Andererseits: besser, es wird gemacht, als nicht. Wenn das jedoch dazu führt, dass die Bauarbeitertrupps für ihre Baustelle den Bahnhof Beuel komplett unzugänglich machen, wie z.B. am heutigen späten Vormittag – dann hat es wohl wieder an anleitendem und planendem Personal gefehlt. Gewiss war wieder niemand zuständig: die Baufirma nicht, die Stadtwerke nicht, und auch kein Amt der Bonner Verwaltung. Am frühen Nachmittag war ein Bretterübergang gelegt, und zwar genau dort, wo die wenigsten Pendler*innen langgehen: vor der Tür des Bahnhofsgebäudes (die meisten gehen, auch wegen der Barrierefreiheit an den Seiten vorbei). Nehmen wir es als Solidaritätsakt für den bedauernswerten Zeitschriftenhändler im Beueler Bahnhofsgebäude. So viel Bewusstsein zu vermuten, dürfte eine vollkommene Überschätzung sein. Aber ich bin ja nett zu Malochern.
Pufferküsser – ich kenne welche persönlich, habe es selbst nie so weit gebracht. Fahrplanauskünfte geben sie wie Kopfrechner*innen auswendig; Lokomotiven kennen sie persönlich; in freien Stunden stehen sie auf Brücken oder Bahnsteigen und können unersättlich dem Verkehr in Bahnhöfen zusehen. Gelegentlich, bei sowas war ich in den 80ern dabei, fahren sie von Stilllegung bedrohte Bahnstrecken ab – damals gab es ausserdem noch Bahnhofsgaststätten, in denen wir, wie an verlorenen Orten, absteigen und verschwindenden Sozialmilieus zuschauen konnten. Arno Luik, als ehemaliger Stern-Mitarbeiter heute wohl der sachkundigste und wortgewaltigste wutbürgerlich schreibende Pufferküsser, hat in Andreas Kleber wohl den amtierenden deutschen Meister der Pufferküsser getroffen. Die Herren wissen die Fahrzeiten längst vergangener Jahrzehnte so gut auswendig, dass sie uns vorrechnen, dass die Bahn trotz milliardenteurer ICE-Prestigeinvestitionen für uns Fahrgäste langsamer statt schneller wird. Da hilft es nur, Eskalationskunde zu werden.
Samuel Decker/oxiblog schreibt über die Karriere der diskursiven Allzweckwaffe “Populismus” in der Klimadebatte. Hier hat nach Meinung von Protagonisten der Grünen die Diskussion um die Fahrpreise bei der Bahn “klimapopulistische” Züge angenommen. Nicht jeder rhetorische Schuss ist ein Volltreffer …. Deckers strategische Überlegungen sind. vielleicht in ihrer Begriffswelt, aber in ihrer inhaltlichen Substanz nicht wo weit entfernt von dem, was die Bundesumweltministerin Svenja Schulze umtreibt, die neuerdings Anhänger in der Spiegel-Redaktion (nur Print, heute beim Arzt gelesen) hat. Ob ihr viele Genoss*inn*en darin folgen? Alle Grünen werden es auch nicht sein. Deckers Überlegungen zu parteiübergreifenden Bündnissen halte ich für richtig; nur wirken sie heute noch allzu theoretisch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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