Bei der Schweizer Parlamentswahl erringen die Grünen einen historischen Wahlsieg. Das hat die Partei ihrer Präsidentin zu verdanken.
In der Stunde ihres bislang größten Erfolges agierte Regula Rytz auffällig zurückhaltend, fast schon zaudernd. Am Sonntag saß die Präsidentin der Schweizer Grünen (GPS) in der Elefantenrunde des Fernsehens. Dreimal musste die Moderatorin nachfragen, ob die GPS nach den erdrutschartigen Zugewinnen bei den Parlamentswahlen nun auch einen Sitz im Berner Bundesrat, der siebenköpfigen Regierung des Landes, beanspruchen. „Der Bundesrat, wie er heute zusammengesetzt ist, passt nicht mehr, seine ökologische Kompetenz und der ökologische Veränderungswille müssen gestärkt werden“, antwortete Rytz schließlich.
Seit April 2016 steht die 1962 in Thun geborene Vollblutpolitikerin an der Spitze der GPS. Rytz war treibende Kraft, die Partei nach einem missglückten Wahlkampf im Jahr 2015 wieder aufzurichten. Seit 2017 erzielen die Grünen unter ihrer Führung bei lokalen und kantonalen Wahlen teils deutliche Zugewinne. Das konsequente Eintreten der Partei für Maßnahmen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung, für eine ökologische Verkehrswende und den Ausstieg aus der Atomenergie, aber auch für mehr innergesellschaftliche Gerechtigkeit, macht sich bezahlt. Für Rytz heißt politisches Engagement „sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß, für die Menschen und für die Natur“.
Paradigmenwechsel in Bern

Ihr politisches Engagement begann die studierte Geschichtslehrerin 1994 im Parlament ihres Heimatkantons Bern. 2001 bis 2004 war sie Zentralsekretärin des Schweizer Gewerkschaftsbundes, von 2005 bis 2012 gehörte sie der Berner Stadtregierung als Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün an. Rytz war verantwortlich für die erfolgreiche Umsetzung von Großprojekten wie dem Umbau des Bahnhofsplatzes – trotz heftigen Gegenwinds von der rechtsnationalen Schweizer Volkspartei und bürgerlichen Mitteparteien.

Rytz setzte einen Paradigmenwechsel in der Berner Verkehrspolitik durch: Über 81 Prozent der StadtbewohnerInnen haben inzwischen ein Abonnement für das dichte Netz an Straßenbahnen und Bussen – doppelt so viel wie im Schweizer Durchschnitt. 53 Prozent der Haushalte in Bern verzichten auf ein Auto. Auch der Fahrradverkehr wurde erheblich ausgebaut. Die unter Rytz erfolgte Verkehrsberuhigung durch zahlreiche Tempo-30-Zonen, die Aufwertung des öffentlichen Raumes und der Ausbau von Tagesschul- und Kitaplätzen führten zu einer Renaissance des städtischen Lebens.

Mit dieser Erfolgsbilanz wurde Rytz 2011 und erneut 2015 mit glänzenden Resultaten in den Nationalrat gewählt. Als Kandidatin für einen der beiden Berner Kantonssitze im Ständerat erhielt sie am Sonntag die zweitmeisten Stimmen nur knapp hinter dem sozialdemokratischen Bewerber. Nun muss sie in die Stichwahl. Für viele wäre Rytz die beste Wahl für einen Sitz in der Regierung, sollten sich die Grünen für eine Kandidatur entscheiden. Ob sie tatsächlich antreten würde, will Rytz aber erst nach innerparteilichen Konsultationen beantworten.

Dieser Beitrag st eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.