Ulrike Heiders aktuelles Buch besprochen von Dieter Bott (mit kurzer Leseprobe)
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ARNO WIDMANN veröffentlicht seine kritiken und analysen u.a.in der
“berliner zeitung” und der “frankfurter rundschau” ,- er hat die
politische autobiografie von ULRIKE HEIDER-
als sie 2001 mit dem titel “KEINE RUHE NACH DEM STURM” erschien, als
ihren überragenden beitrag zum verständnis der “anti-autoritären
bewegung” in der bundesrepublik hervorgehoben-
u.a.wegen ihrem vorbehaltlosen willen zur klarheit und
wahrhaftigkeit.-auch gegenüber sich selber und dem eigenen milieu
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ihre glänzend geschriebene und gründlich recherchierte moral- und
sittengeschichte des 20.jahrhunderts “VÖGELN IST SCHÖN” – die 2014 im
berliner “rotbuch verlag” für 15 euro veröffentlicht wurde, gehört
meiner meinung nach zur “politischen bildung” auf jeden lehrplan —
dem hoffnungsvollen nachwuchs als ansporn – und den ins establishment
aufgerückten befriedeten 68er real-politikern zur erinnerung an ihren
aufgegebenen non-konformismus-
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“zur sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt” – ULRIKE HEIDER
analysiert die geschichte der 60er, 70er und 80er jahre und im 2. grossen
abschnitt die zeit — “vom kuschel-sex zur schmerzlust” ,
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die sie in ihrem neuen buch wieder aufgreift mit der lebensgeschichte
ihres früh an aids verstorbenen künstler-freundes ALBERT LÖRKEN und den
von ihr kunstvoll integrierten berichten über ihre recherchen
vergegenwärtigt – sein foto ist auf seite 17 zu sehen – walter grimm und
rosa von praunheim bei HOMOLULU auf seite 157-
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zwei bunte zeichnungen von albert lörken schmücken das liebevoll
gestaltete ungeschönt geschriebene buch, wir begegnen den
aktivisten der “roten zelle schwul” – RotZschwul- aus der frankfurter
szene und auch dem traditionellen selbstverständnis der “homoxuellenaktion westberlin” -HAW-,-
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ULRIKE HEIDER ruft die “hot spots”, provokativen aktionen und die
politischen hoffnungen und auseinandersetzungen von damals zurück ins
gegenwärtige bewusstsein, – alles das, was den karnevalistischen
paraden am “christopher street day” heutzutage kaum noch anzumerken ist-
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“DER SCHWULE und DER SPIESSER” –“provokation, sex und poesie in der
schwulen-bewegung”—-254 seiten für 18 euro – ist als handlicher und schön
gestalteter band nr 76 in der bibliothek “rosa winkel” 2019 im
männerschwarm-verlag, berlin erschienen
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am 1.und 22.november 2019 beginnt ULRIKE HEIDER ihre lese-reise in
BERLIN -und am 7.november stellt sie ihr buch in WIEN vor—
genaues siehe unten–
weitere termine können bei ihr und ihrem verlag angefordert werden-
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als ich 1971 allein vom wohnheim an der bockenheimer wARTE gegenüber
ins frankfurter studentenhaus ging, um mir rosa von praunheims eben
angelaufenen und bahnbrechenden film anzusehen–
“NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS “—-sondern die verhältnisse! –
dachte ich an die schlange vor der kasse, und dass mich vielleicht
jemand angrapschen würde—– nicht wirklich –aber ich hatte keinen
umgang mit schwulen und wusste nicht einmal, dass mein frankfurter
SDS-genosse GÜNTER AMENDT, den ich zu einem vortrag über
“kriegsdienst-verweigerung” nach BORKEN – nordhessen in mein
heimatstädtchen eingeladen hatte, schwul war,
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günter amendt konkurriert im frankfurter tanz-schuppen “aquarius” mit
wolfgang thiemicke –seite 18 bis 22—und dass unser frankfurter rudi
dutschke–HANS-JÜRGEN KRAHL –s.40-42– -wie der anarchistische anwalt
rainer demski s.15-18 u.64-66 –und martin dannecker-104-111– nicht
nur ein begnadeter anti-autoritärer redner und links-radikaler
theoretiker war, sondern ebenfalls schwul, war mir ahnungslosem nicht in
den sinn gekommen–s.31-damals – vor über 50 jahren-
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1971 residiert die erste schwule wohngemeinschaft frankfurts in der
bergerstrasse, bornheims einkaufszelle. als einzige frau verkehrt ulrike
heider in dieser wohnung “und wurde zu geselligen abenden mit essen und
musikalischem programm eingeladen. der opern-eleve gab dann brechts
seeräuber-jenny oder opernarien zum besten
.danny (lewis,der US-emigrant)spielte gitarre und sang lieder von bob
dylan….weder einer klavierlehrerin noch verschiedenen schulmusikern
war es gelungen, mir den zugang zu ernsthafter musik zu vermitteln, jetzt
wurde ich zur opernliebhaberin, etwas für jemanden wie mich zur
damaligen zeit fast absurdes.nicht nur weil die bürgerlichkeit dieses
vergnügens zum himmel stank, sondern auch weil auf den fahnen der
anti-autoritären protest-bewegung HEDONISMUS statt ROMANTIK stand,
diesseitiger genuss statt jenseitiges sehnen.
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auch am liebesleben meiner freunde nahm ich anteil und wurde zur
insiderin der schwulen szene. alles erfuhr ich nun, was kaum ein
heterosexueller zeit-genosse wusste, vom anonymen sex auf den “klappen”,
von den löchern zwischen den kabinen der herrentoiletten, von der pirsch
im park und den strichern am bahnhof.
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ich erfuhr auch von der syphilis, die die ganze wohngemeinschaft gehabt
hatte, von polizeirazzien und rockeranschlägen auf der klappe, von
zerbrochenen freundschaften, gekündigten jobs und verzweifelten
theraphieversuchen. von eltern schliesslich, die ihre söhne enterbt
hatten und vom heimlichen schwulsein so manches prominenten.
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mehr und mehr identifizierte ich mich mit diesen mutigen jungen
menschen, die zu ihrem aussenseitertum standen, die offen über
sexualität sprachen, ihren eltern reinen wein einschenkten und sich
bedenkenlos auf der strasse küssten.
“frauen,die bei männern keinen erfolg haben,hängen immer mit schwulen
rum” so der kommentar meiner mutter,nachdem sie mich in der pause einer
opernpremiere in begleitng meiner freunde gesehen hatte.
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andere nannten mich “schwulenmutti” oder “tumu”, “tuntenmutti”. nach
anfänglicher kränkung beschloss ich, eine tugend aus meinem neu
erworbenen stigma zu machen und nannte mich provokativ “faghag”
-schwuchtelhexe- die extrem negative bedeutung dieses etiketts für eine
abstosend hässliche, meist dicke frau war mir damals noch unbekannt,
in jedem fall aber lohnte es sich, von spiessern und homophoben linken
diskriminiert zu werden, denn die neuen freunde waren die besten, die ich
j gehabt hatte. sie waren dankbar für meine platonische zuneigung, taten
mir jeden erdenklichen fallen,nahmen mich ernst und suchten meinen rat
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wie anders waren sie doch als die meisten der politgenossen, die sich –
bis hin zu den anarchisten – mit ihrer selbstgeforderten gleichheit der
geschlechter schwer taten. auch wussten die leute aus der bergerstrasse
meine femininen kleider und hochhackigen schuhe zu schätzen, mit denen
ich in der jeans, T-shirt und parka tragenden linken szene aneckte.
anders als die meisten links engagierten frauen meiner jugend gefiel ich
mir in meinem damenhaft eleganten stil. ich könnte diese schwäche nie
überwinden und wurde deswegen immer wieder kritisiert und verlacht.”-s.38-
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1. November 2019 in Berlin
Buchladen Eisenherz (Moderation Joachim Bartholomae)
Motzstraße 23
10777 Berlin
20:30 h
7. November 2019 in Wien
Buchladen Löwenherz (Moderation Veit Schmidt)
Berggasse 8
1090 Wien
19:30 h
22. November 2019 in Berlin
Buchladen Schwarze Risse (Moderation Marco Kammholz)
Gneisenaustraße 2
10961 Berlin
20:00 h
Links wurden nachträglich eingefügt. Rechtschreibung und Interpunktion der Leseprobe entstammen der Abschrift des Autors und sind nicht mit dem ausgedruckten Buch identisch, entnommen mit seiner Genehmigung aus einer E-Mail an seinen Freund*innen*eskreis
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