Rechtsradikale Menschenhasser sind nach dem 2. Weltkrieg nicht verschwunden. Angesichts der Katastrophe, die sie der Welt bereitet hatten, haben sie ihre Sichtbarkeit ausgeschaltet. Sie versteckten sich. Habe ich nicht gewusst. Bin ich nicht dabeigewesen. Eilfertig schlüpften sie in die Rolle konservativer Demokraten, die sich bei Wiederaufbauwundern hervortaten. Im Kommandieren waren sie schon immer ganz stark, Herrenmenschen halt. Hauptsache kein Sozialismus. So entstand die BRD.
Als über 20 Jahre später eine radikale Minderheit von jungen Erwachsenen dagegen rebellierte, sahen die Ersten ihre Zeit gekommen und vitalisierten die NPD, mit “ansehnlichen” Landtagswahlergebnissen; nur knapp scheiterten sie 1969 an der 5%-Klausel. Ausgerechnet die Wahl, die Willy Brandt zum Bundeskanzler machte, hätte um ein Haar zum ersten Mal wieder bekennende Nazis ins westdeutsche Parlament gebracht. So versteckten sich ihre (schlaueren) Vertreter in den demokratischen Parteien. In der Essener und NRW-FDP habe ich noch einige von ihnen persönlich kennengelernt.
Seitdem haben es bei Landtagswahlen immer wieder Rechtsradikale ins Parlament geschafft, mit zweistelligen Ergebnissen, schon lange bevor der Osten dazukam – Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Westberlin, also imgrunde überall. Zum Glück zerlegten sie sich meistens selbst. Sie zeigten aber: der gesellschaftliche Bodensatz von Menschenhass war immer da. Er fühlte sich nur allein, isoliert, mut- und aussichtslos. Und das Letztgenannte hat die AfD mit ihrer Gründung und anschliessenden Rechtsradikalisierung umgeschaltet. Alles, was sich wg. des “Ansehens Deutschlands in der Welt” verschämt versteckt hatte, ist nach der vorgeschalteten “Entkrampfung” durch Rot-Grün (1998-2005, mit erster deutscher Kriegsbeteiligung 1999) mit dem “Sommermärchen” 2006 (gekaufte Fußball-WM in Deutschland) als Topping, wieder da: sichtbar, unverschämt, hemmungslos, als wäre es nie weg gewesen. War es ja auch nicht.
Deutschland ist mit dieser “Normalität” Teil eines globalen Backslashs der Rechten, die in einem letzten Todeskampf der geordneten Welt unter der Herrschaft des Alten Weissen Mannes gegen die globale Vermischung und Unordnung kämpft. Der rechte Rand der herrschenden Klasse gegen sich selbst.

Es ist kein Spiel

Es wäre eine Chance. Wenn liberale und linke Demokrat*inn*en sie erkennen. Politik ist kein Spiel. Wenn wir ein Hinspiel verlieren, machen wir das im Rückspiel wieder wett? Seit der Erfindung und Ausbreitung der Atomwaffen funktioniert das nicht mehr. Die sich ausbreitenden Erkenntnisse zum Klimawandel erlauben diese Praxis ebenso wenig. In den meisten Ländern der Welt gäbe es klare Mehrheiten gegen den in zahlreiche Regierungen vorgedrungenen Menschenhass. Dafür wäre es erforderlich, dass die Demokrat*inn*en es schaffen, sich von ihrer neoliberal-systembedingten Egomanie zu emanzipieren. Diskurse, Meinungsaustausch, Interessenabgleich, Prioritäten, Zusammenarbeit für das Wichtige. Gesellschaftlich heisst das: Bürgerliche und Prekarisierte müssen zusammen ins Bündnis – gegen die, die die Welt / das Land allein beherrschen wollen.
USA: Trump wäre schlagbar. Durch ein Bündnis der Liberalen mit den Überflüssigen für den Aufbau eines Sozialstaates: mit dem Programm von Warren und Sanders gäbe es eine grundlegende Alternative zum Trump-System. Und eine Mobilisierung, die eine notwendige Bedingung dafür ist, diesen gefährlichen Präsidenten abzuwählen.
UK/Grossbritannien: deutsche Berichterstatter*innen versuchen die hiesige Öffentlichkeit mit der Erkenntnis einzulullen, Johnson liege “vor Labour”. Johnson liegt aber nie vor Labour + Libdems. Ja, aber das Mehrheitswahlrecht, sagen die Neunmalklugen. Na und: dann müssen Labour und die Libdems (und Grüne, und Schottische Nationalist*inn*en und Sinn Fein in Nordirland) miteinander über ihre Wahlkreiskandidaturen reden. Sie müssen nur wollen. Geht nicht gibts nicht.

Parteienanhang wird flüssig – eine Lehre für künftige Wahlsieger*innen

Und hierzulande? Seit gestern wissen die rot-rot-grünen Parteien, wie flüssig Umfragen und erst recht Wähler*innen*stimmen sind. Ostdeutschland ist in dieser Hinsicht dem Westen voraus. Es wird auch den Westen immer stärker prägen. Vergleichen Sie nur mal das gestrige Thüringen-Ergebnis mit dem kürzlichen zur Europawahl, vor nur einem halben Jahr. Die Linke hatte nicht halb so viele Stimmen wie gestern, sogar dramatische Verluste zu 2014, die Grünen lagen noch über 8 (also auch keine Bäume im Himmel, wie in Grossstädten).
Entscheidend – und potenziell mobilisierend – ist das reale Angebot, das Wähler*inne*n gemacht wird. Gibt es eine glaubwürdige Identität von Politik und Personen? Gibt es eine realistisch erreichbare Erfolgsperspektive? Was ist der Nutzwert für die Bürger*innen? Diese Fragen sind bei Bodo Ramelow und Benjamin Hoff in den klügsten Händen, die die Linke in unserem Land derzeit im Angebot hat. In ihrem Zwergstaat üben sie schon mal an einer schwierigen Aufgabe. Tatsächlich ist sie viel, viel grösser, und nicht durch Held*inn*en zu lösen. Sondern nur durch gesellschaftlich verankerte politische Diskurse und Bewegungen. Sie schieben konservative und rechtsliberale Demokrat*inn*en vor den Knoten, den der nichtdoofe Claus Leggewie gestern in seinem Essay über die USA so formulierte: “Letztlich hängt das Überleben der Demokratie am meisten ab von der – ein starker Begriff – Einkehr der politischen Rechten. Wie vor gut 100 Jahren steht sie an der Wendemarke, an der sie entweder erneut in den offenen Faschismus abgleitet oder sich mit der liberalen Moderne versöhnt.”
Ich empfehle: von Portugal lernen. Nicht von Spanien.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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