Anwälte haben im Auftrag der Bundesregierung geheime Recherchen über Asylbewerber in der Türkei unternommen. Allein dieser Vorgang ist pikant: Seit wann ist es Aufgabe von Anwälten, in quasi detektivischer Arbeit für die Bundesregierung tätig zu werden, um Fakten über Betroffene von Verfolgung, Diskriminierung oder Drangsalierung unter einem Regime zu sammeln, das ohnehin offensichtlich jeden Tag die freiheitliche Demokratie und die Menschenrechte mit Füßen tritt? Das Regime Erdogan ist ein faschistoides, menschenrechtsverletzendes System, dessen Methoden der willkürlichen Verhaftung von Journalisten, Regimegegnern und Oppositionellen bekannt sind. Wieso ermitteln Anwälte gegen Verfolgte und nicht gegen dieses Regime?

Offensichtlich hat diese Bundesregierung Anwälte damit betraut, nicht die guten Gründe für die Flucht von Menschen aus der Türkei zu dokumentieren, die es gibt, um sich vor den Schergen der Erdogan-Diktatur in Sicherheit zu bringen, sondern es wurden individuelle Fälle geprüft und recherchiert, um ggf. Flüchtlingen nachweisen zu können, dass ihr Asylbegehren unbegründet sein könnte. Dies allein ist schon im Angesicht des autokratischen Systems Erdogan und seiner AKP fragwürdig. Geradezu zwielichtig ist es, dass diese Bundesregierung seit September von der illegalen Verhaftung eines von ihr hierzu beauftragten Anwalts weiss, und bisher nichts getan hat, um diesen Fall zu bearbeiten. Hinzu kommt, dass sie alles verheimlicht hat, sodass es erst durch journalistische Recherche an die Öffentlichkeit kam. Was hat sie also zu verbergen?

Diplomatische und digitale Inkompetenz 

Und was ist das für ein Risikomanagement? Wenn offensichtlich bekannt ist, dass diese Anwälte sich auf rechtlich unsicheren Terrain bewegen, ergibt sich doch die Frage, wieso sie mit Akten und Daten über verfolgte Personen hantieren, die sich der Verfolgerstaat durch ihre Verhaftung mühelos aneignen kann? Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Unfähigkeit dieser Bundesregierung, wenn im Zeitalter des Cloud-Computing und der digitalen Verschlüsselungstechniken Papierakten in die Hände eines Verfolgerregimes geraten. Jeder einigermassen zeitgemässe Mittelständler verschlüsselt seine vertraulichen Akten und gibt seinen Mitarbeiter*innen, wenn sie im Ausland wie China oder der Türkei Verhandlungen führen, nur elektronischen Zugang über gesicherte Leitungen, autorisierbar nur mit biometrischen Merkmalen. Würde eine solche Person verhaftet oder erpresst, würden Zugriffe sofort gesperrt, die Daten unzugänglich und unlesbar. Technisch kein Problem, selbst fürs Auswärtige Amt. Aber die Bundesregierung hat ja gerade in der vergangenen Woche erst einmal alle Minister zu Mitgliedern des “Digitalkabinetts” gemacht. Bleibt zu hoffen, dass die Minister jetzt erstmal das “International Certificate of Digital Literacy” machen, das Grundkenntnisse der IT vermittelt. Allein kollektive digitale Inkompetenz erklärt aber immer noch nicht, wieso Heiko Maas erst am Wochenende – fast drei Monate danach –  zwischen Tür und Angel bei der türkischen Regierung halbherzig interveniert hat. Wie weit geht die Kooperation mit Erdogans Schergen wirklich?

Der Auswärtige Amt im freien Fall

Wieso wird dergleichen nicht öffentlich, wieso nicht diplomatisch reagiert oder Sanktionen verhängt? Der Vorgang ist in seiner Art im 21. Jahrhundert einmalig. Die Zeiten, in denen in den 70er und 80er Jahren deutsche Diplomaten und das Auswärtige Amt mit den faschistischen Regimen in Chile (Pinochet) Argentinien und der Militärdiktatur Griechenlands kooperiert haben, einfach untätig blieben, oder z.B. bei Menschenrechtsverletzungen der “Colonia Dignidad” fest beide Augen zudrückten, schienen ein für alle mal vorbei. Das, was nun in der Türkei passiert ist, stinkt zum Himmel: Der deutsche Staat sammelt über Geflüchtete aus einem autoritären Regime vor Ort Material, das dabei in die Hände der Verfolger gerät. Dabei wird offensichtlich, dass die Bundesregierung nicht nur rechtlich zweifelhaft, sondern auch noch stümperhaft arbeitet. Politisch befindet sich das Außenministerium, einst geführt von politischen Schwergewichten wie Brandt, Scheel, Genscher, Fischer und Steinmeier derzeit im freien Fall.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net