Hier würde der BVB gerne mitspielen. Bemerkenswert, wie sich dort US-amerikanisches und chinesisches Anlagekapital ganz friedlich verbindet. Die Hybris der Fußballkonzernvorstände in Deutschland ist unbegrenzt, insbesondere bei denen westfälischer Herkunft. Es macht sie ganz geil, mit US-amerikanischen und chinesischen Milliardären und feudalistischen Betreibern arabischer Frauengefängnisse auf den gleichen Events der Fußballmafiaorganisationen Uefa (zu dieser hier eine Analyse vom Stellvertreter des Fußballgottes auf Erden, Tom Theunissen) und Fifa parlieren zu dürfen. Der Fußball, und die, die ihn lieben, gerät dabei in die Rolle eines Instruments, eines Mittels zu diesem Zweck – und die Fans zu atmosphärischer Petersilie.
Das ist es, was Ultras so am modernen Fußball hassen. Ökonomisch hat der moderne Fußball das Problem, das die unermesslichen Mengen Kapital eine immer weitere Beschleunigung seiner Umwälzgeschwindigkeit verlangen. Hatte er in der jüngeren Vergangenheit den Charakter eines Spielzeuges für Oligarchen, die damit für sich selbst einen sympathischen Imagetransfer erreichen wollten, befinden sich das Business jetzt im Übergang zu harten Renditeobjekten.
Weil die Unmengen an Kapital so wenig Anlageobjekte mit Superrenditen finden, haben sie sich u.a. das Entertainment des Fußballs als fettes Wachstumspotenzial ausgeguckt. ManCity ist da nur eine Spitze des Eisberges.
Da kann der BVB der Gegenwart nicht mitspielen. Aber Verein und Konzern haben keine klare alternative Strategie. Gerne wollen sie ganz oben dabei sein. Es ist aber nicht zu schaffen. Nicht im traditionellen Fußball. In dem werden Talente mit der nötigen Behutsamkeit aufgebaut. Technische und körperliche Fertigkeiten werden geduldig ausgebildet und verbessert. Zusätzlich wird an Teamfähigkeit und -geist gearbeitet, selbstverständlich mit allen Konflikten, die das birgt. Um auf diesem Weg eine Spitzenmannschaft aufzubauen, braucht es normalerweise eine Kontinuität von 2-5 Jahren – vorausgesetzt nur die Besten arbeiten zusammen daran, notwendig nicht hinreichend! Diese Option auf Kontinuität wird vom aktuellen Fußballturbokapitalismus derzeit radikal abgeschafft. Für den ist ein dickköpfiger fussballverliebter Fachmann und Menschenfreund Lucien Favre eine skurrile Persönlichkeit von gestern.
Einen 19-jährigen Superscorer auf die Bank setzen, aus mutmasslich teampädagogischen Gründen – wie kann er nur? Weiss der Mann nicht, was das kostet?
Seit 6 Wochen arbeitet Favre ohne den Schutz von Zorc und Watzke, ist medial zum Abschuss freigegeben. Dann kam meine Borussia und verlor zweimal hintereinander (Liga und Pokal) im Westfalenstadion, hintertrieb auf diese Weise seinen fest eingeplanten Rausschmiss. Jetzt müssen es die Schwächlinge von der kapitalgepamperten Grossmaul-Hertha aus der sog. Hauptstadt schaffen. Eine TV-Moderatorin im WDR lästerte gestern: “Der Klinsi kann bestimmt auch einen Flughafen bauen.”
In der Mannschaft hat sich diese Abschussfreigabe rumgesprochen. Die können ja lesen. Jeder Spieler als mittelständischer Unternehmer mit zu versorgender Grossfamilie und einer Kohorte an “Berater”firmen hinten dran, rechnet für sich individuell, welche vorteilhaften und nachteiligen Perspektiven das eröffnen könnte. Mit diesen gedankenbeladenen Köpfen soll noch eine Teamleistung entstehen? Das wäre ungefähr so, als wenn die SPD eine Wahl gewinnen sollte.
Es ist nicht nur der Fehleinkauf Mats Hummels alles schuld, und Favre schon gar nicht. Es ist eine völlig missratene unprofessionelle Unternehmensführung von restlos überforderten westfälischen Selbstüberschätzern.
Besser für guten Sport läuft es im Schatten des Medien- und Kapitalinteresses. Ich bin sicher, der Fachmann Favre wäre dort auf einem Vorstandssitz gleich neben Hans Meyer jederzeit willkommen. Borussia Mönchengladbach hat weniger als die Hälfte des Jahresumsatzes, nur ein Fünftel vom Fußballkonzern aus dem süddeutschen Raum, und ist trotzdem seit 6 Wochen Erster. Dort herrscht Realismus, vom Vorstand bis zu den starken Jugendmannschaften. Klar, der 1. Platz wird nicht bleiben. Wenn sie entthront werden, dann vielleicht am Samstag vom SC Freiburg. Gäbe es eine schönere Pointe?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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