Beueler-Extradienst

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Get Suicide done!

Herzlichen Glückwunsch zum Wahlsieg von Boris, liebe Briten! Zwar haben – zählt man die abgegebenen Wählerstimmen zusammen – von Euch gestern etwa 52% gegen den “Brexit” gestimmt, haben sich die Tories über alle Wahkreise insgesamt nur um 1,2% verbessert, aber zum Glück habt Ihr ja dieses urdemokratische, den falschen Wählerwillen sofort korrigierende Mehrheitswahlrecht, bei dem die Minderheitenstimmen leider immer unter den Tisch fallen. Nun wird endlich alles gut, der liebe Boris kann Euch endlich in die Freiheit führen, Ihr müsst nicht mehr 350 Millionen Euro täglich an uns Europäer bezahlen und davon wird Euch der charismatische Führer Boris ganz schnell 40 neue Kliniken bauen, 50.000 Pfleger*innen und 20.000 neue Polizist*innen einstellen und Wohlstand sowie Millionen neue Arbeitsplätze schaffen! Das Empire wird in neuem Glanz erstrahlen, wenn Ihr erst Eure Kolonien wieder bekommt, Hongkong, Singapur, Kenia und vielleicht sogar Indien und Rhodesien wieder zu Britannien gehören werden, Birma nicht zu vergessen. Diese lästigen polnischen Handwerker-Schmarotzer, spanischen und griechischen Putzfrauen und Butler werden aus dem Straßenbild Londons endlich wieder verschwinden.

Freiheit für die Finanzindustrie

Auch die bulgarischen und rumänischen Leiharbeits-Sklaven, für die Ihr heute noch mit teuren englischen Pfund zahlen müsst, werden bald heimkehren und vielleicht durch echte Sklaven aus den Kolonien ersetzt. Die könnte Euch dann Armutsreiseunternehmer Rees-Mogg beschaffen, der seine Firmen in der EU in Sicherheit gebracht hat. Für fast umsonst, vielleicht freie Kost und Logis, wird sich bald jeder britische Haushalt endlich einen oder mehrere Hausangestellte leisten können. Aber zunächst wird Euch als erstes Onkel Donald Trump ein tolles Handelsabkommen mit den USA schenken – denkt er doch immer an sich zuletzt.  Ihr seid als Steueroase, wo seine Unternehmer wie etwa Onkel Dagobert endlich ihre Gewinne in einem richtigen Börsenpielplatz maximieren können, auserwählt! Was ist schon Malta für die Russenmafia, Panama für die europäischen Konzerne, die Isle of Man für Kleinkriminelle, wenn endlich vor der Haustür Europas ein deregulierter US-britischer Finanz-Flugzeugträger ankert, wo nach Herzenslust und nahezu steuerfrei gezockt werden kann? Wo neue Finanzprodukte, die den internationalen Reichtumstransfer ohne kommunistische Ideen wie eine Finanztransaktionssteuer täglich frisch aus den Gehirnen der endlich von allen engstirnigen Skrupeln der EU befreiten Finanzindustrie sprudeln können? Herrliche Zeiten der Freiheit kommen auf Euch zu.

Die EU hat auf ein von ihr befreites Britannien schon lange gewartet. Gerne wird sie Euch nach dem Austritt noch viel günstigere Konditionen, Steuerfreiheit und Freihandel für Eure Finanzprodukte und Versicherungen gewähren und Euch von den engstirnigen Verbraucherschutznormen herzlich gerne ausnehmen. Das gilt natürlich auch für die vielen tollen Produkte, die Eure “nationale” Industrie herstellt, wie die Ford-Motoren, den VW-Bentley, den BMW-Mini, sowie alle Formel 1 Boliden ausser Ferrari, Toro Rosso und Sauber. Euer Führer Boris hat angekündigt, dass Britannien das “grünste Land in Europa” werden wird, und da wird es doch Zeit, dass nicht mehr nur Millionäre wie Lewis Hamilton Formel 1 fahren, nein, dem Formel 1-Boliden kommt neben dem 2,5t-Batteriemonster die Rolle des kleinen, leichten und ökologischen Hybridautos der Zukunft für Jedermensch zu – Hauptsache freier Markt!

Tolle Arbeitsplätze für…

Aber nicht nur die britische Automobilbranche wird vom Brexit profitieren, auch andere Industrien werden nach dem Brexit vor einer neuen Blüte stehen: Vielleicht werden dank Führer Boris bald wieder Bergleute in die Kohlegruben einfahren, wie es Euer Vorbild Onkel Donald in den US-Midwest-Staaten verwirklicht hat, vielleicht dürft Ihr auch seine Kohle in Euren Kraftwerken verfeuern. Und sein Fracking-Gas wird dafür sorgen, dass Ihr Euer Nordseegas im Meeresboden lassen oder an die Ukraine verkaufen könnt, während sich die Gewerkschaften freuen werden, wenn auch die Heizer auf die Elektroloks der britischen Bahn zurückkehren. Mit den Segnungen und hohen Gewinnen einer endlich prosperierenden Wirtschaft nach dem Brexit werden auch Schulen saniert und langsam an die Standards der teuren Privatschulen der Mitglieder der Tory-Partei (aber nicht zu nahe) herangeführt.

Vor allem die Fischer werden durch den Brexit eine sagenhafte Renaissance ihres Berufsstandes erleben: Befreit von der EU und ohne störende Fangquoten werden sich nun die Fischbestände explosionsartig vervielfachen – allein durch den Anblick der Frisur des Premierministers. Kabeljau, Hering und Krabben zu tausenden von Tonnen werden vor den EU-Kuttern flüchten und begierig darauf warten, nur von britischen Trawlern gefangen zu werden. Weltweite britische Fish&Chips-Ketten werden daraufhin McDreck und Böser King aus den Fußgängerzonen, Autobahnraststätten und Zugrestaurants Europas und der Welt vertreiben.

…eine leuchtende Zukunft

A propos Trawler – die Grenze zwischen der EU und Britannien soll ja – zumindest bis zum Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich und seinem Beitritt zur EU – zwischen Irland und Britannien verlaufen. Boris Johnson meint, dass es dadurch keine Grenzkontrollen geben wird. Wie aber, wenn das die EU angesichts der tollen Waren, die Britannien exportieren und fleißigen wie billigen Hausangestellten, die Britannien aufgrund bilateraler Handelsabkommen auf der ganzen Welt anwerben wird, das dann neidvoll ganz anders sieht?

Natürlich wird dann allein die EU daran schuld sein, wenn es zwischen Nordirland und Irland eine Grenze, ein Wiederaufflammen der Kämpfe mittelalterlicher Religionskriege und nationalistischer Dumpfköpfe gibt. Nicht etwa Erlöser Boris, der Britannien, wie er heute morgen erklärte, nun “in eine leuchtende Zukunft führt” und auch “sofort damit beginnt”. Liebe Briten, endlich seit Ihr wieder auf Augenhöhe mit den Richtigen, statt Euch mit Kretins wie Merkel oder Macron herumschlagen zu müssen. Recep Tayyp Erdogan so heißt es, strebt statt der Aufnahme in die EU nun die Mitgliedschaft im britischen Empire an. Chinas Parteichef Xi prüft, so ist zu hören, Euch Euer ehemaliges koloniales Viertel in Peking zum Rückkauf anzubieten und Queen Elizabeth, verlautet aus gut unterrichteten Kreisen, denkt bereits darüber nach, eine Piratenflotte auf den Weltmeeren auszurüsten. Get it endlich done!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Gernot G. Herrmann

    Lieber Roland,
    Häme ist verständlich, aber nicht angebracht. Man muss auch verlieren können, und wir Europäer haben verloren. Weil wir offensichtlich die Vorteile der EU, Frieden in Europa (klammern wir mal Nordirland, Jugoslawien und die Ukraine aus), Reisen ohne Grenzkontrollen und Geldumtausch (ja,ja, die Briten haben ihr Pfund behalten) und Erasmus nicht ausareichhend insbesondere jungen Leuten vermitteln konnten. In UK und anderswo. Hohe Arbeitslosigkeit, mangelhafte Sozialpolitik, hohe Einkommensunterschiede, eben gerade kein europäischer Bildungsraum mit Anerkennunng der erworbenen Qualifikationen und und und machen europamüde. Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und nicht zuletzt Frankreich lassen grüßen.
    Und was hätte man denn in UK wählen können, um für remain zu stimmen (außer der SNP). Die Liberals? Für eine sozialere EU?
    Wenn in UK das Verhältnis Pfund zu DM (bei Eintritt ca. 1 Pfund = 9 DM, heute ~ 1 Pfund = 1 Euro) immer schlechter wird, die Autoindustrie an VW, BMW verkauft wird und die Arbeitslosigkeit noch höher als die Preissteigerung ist, soll am da nicht auf die Idee kommen, dass die neoliberalen Regelungen in der EU daran zumindest einen Anteil haben?
    Und warum soll es denn UK nach dem Austritt schlechter gehen als Norwegen, der Schweiz, Japan, Kanada. Schaun mer mal.

    Ja, schaun mer mal, ob wir das europäische projekt noch retten können, samt Klimapaket. Retten können gegen die Kasczinskis, die Orbans, aber auch die Schäubles, Herrn Scholz, Macron. Ich mache mir echt Sorgen.

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