Im nicht offiziell erklärten Krieg zwischen den USA und dem Iran hat sich das propagandistische Kriegsglück unerwartet scheinbar um 180 Grad gedreht. Hatten viele Kritiker, vor allem die Europäer, vor drei Tagen noch Donald Trumps völkerrechtswidrigen und politisch unsinnigen Mord am iranischen Geheimdienststrategen und Nr. 2 in der Staatsführung zu recht verurteilt, scheint Trump heute wieder obenauf zu sein. Was war passiert?  Nach einer Phase, in der vor Wochen im Iran noch Oppositionelle zu tausenden wagten, auf die Straße zu gehen fand aufgrund Trumps Drohnenangriff eine seit Jahren nicht mehr für möglich gehaltene Solidarisierung mit dem Mullah-Regime statt. Tränenerstickte islamistische Heuchler wähnten sich seit langem mal wieder sicher in der Masse hunderttausender Demonstrierender gegen die verhassten USA. Doch eine einzige Rakete brachte die Wende.

Während die Welt den Atem anhielt, auf welche Weise sich der Iran nun an den USA rächen würde, fanden zwei relativ begrenzte Raketenangriffe gegen Stellungen alliierter Truppen der USA, in Bagdad und Erbil statt. Von den Strategen des Iran scheinbar klug ausgedacht, denn die Ziele wurden gewarnt, die Angriffe reichten aus, um gegenüber den selbst aufgeputschten Massen eine beruhigend-propagandistische Wirkung zu entfalten und gleichzeitig den USA zu signalisieren, dass man sich nicht offen mit der US-Armee anlegen wolle. Trump nahm es erfreut zur Kenntnis, fühlte sich in seinem Handeln bestärkt und zeigte seinerseits Gesprächsbereitschaft, um gleichzeitig statt Verhandlungen die Sanktionsschraube nochmals weiter zu drehen. Damit treibt Trump den Iran weiter in den von ihm selbst vollzogenen Bruch des Atomabkommens, des letzten Gesprächsfadens und letzten gemeinsamen multilateralen Projekts mit der EU, das den Iran davon wirkungsvoll abhalten kann, Atomwaffen zu erlangen und dadurch den Nahen Osten in ein Pulverfass mit planetarischer Explosionsgefahr zu treiben.

Und dann wurde da eine ukrainische Passagiermaschine abgeschossen – durch eine iranische Rakete. Was bisher der Propagandakrieg ein 99%-Punktsieg zugunsten des Iran schien, drehte sich nun im Propagandarad um 100%. Trump agierte seltsam gemäßigt und sanft, indem er über Twitter vermutete, der Iran habe wohl unbeabsichtigt und irrtümlich die Maschine mit 176 Insassen abgeschossen. Drei Tage – drei Tage zuviel – leugneten die Mullahs, bis sie zugeben mussten, dass die ukrainische Boeing 737 von einer iranischen Rakete getroffen worden war. Was bei sofortiger Einräumung des Sachverhalts noch auf Verständnis getroffen wäre – schließlich musste der Iran in der Nacht seiner begrenzten Luftschläge mit sofortigen Gegenangriffen rechnen – geriet das Mullah-Regime nach dreitägiger Verleugnung, trotz Schuldeingeständnis, Versicherung, der Verfolgung Schuldiger und Entschädigung der Opfer, in die Klemme. Ihr Coup geriet zum propagandistisches Desaster für die Islamisten.

Warum verfangen die Erklärungen nicht, die die Mullahs und Staatschef Rohani im Fernsehen verlesen ließen, wieso gehen seit Samstag wieder hunderte von Regimegegnern auf die Straße, müssen sogenannte Sicherheits- und Geheimdienstkräfte Hochschulen abriegeln, öffentliche Plätze besetzen, massiv gegen Oppositionelle vorgehen? Ist es nun auch nur Propaganda, was auch wir da in den Nachrichten sehen? Was sind schließlich ein paar hundert Demonstranten gegen die angeblich mehreren hunterttausend, die sich in der vergangenen Woche versammelt haben, um gegen die USA zu protestieren? Unsere Fernsehnachrichten sind inzwischen zu kurz, um solchen Fragen in der notwendigen Sorgfalt nachzugehen. Bestenfalls wird auf die Homepage verwiesen – ein schlechtes Angebot für informierte Minderheiten.

Es ist wohl zum einen die offensichtliche Lüge, das Vertuschen des Sachverhalts und der Versuch, die eigenen Bürger für dumm zu verkaufen, der vorwiegend Angehörige der Mittelschicht und Intellektuelle im Iran empört. Aber noch etwas anderes, das in den offiziellen Meldungen auch bei uns bisher kaum eine Rolle spielt: Bei den Passagieren der abgeschossenen Maschine handelte es sich überwiegend um kanadische Staatsbürger. Was aber lange nicht dazu gesagt wurde, ist die Tatsache, dass es in Kanada eine besonders große Zahl von iranischen Exilanten und Ausgewanderten gibt, die das Land nach 1979 wegen des Mullah-Regimes verlassen haben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Empörung von oppositionellen Gruppen im Iran in einem ganz anderen Licht.

Propagandistisch steht es nun wohl 1:1 unentschieden – Trump hatte im wahrsten Sinne des Wortes mehr Glück als Verstand. Aber der verdeckte Krieg zwischen den USA und dem Iran hat gerade erst begonnen. Die Angriffe von Milizen oder unbekannten Raketen auf Stellungen im Irak, in denen auch US-Truppen liegen, sind nur der Anfang. Ein asymmetrischer, von Stellvertretern geführter Krieg droht. Welche nächsten Basen der USA und wahrscheinlich auch Verbündeter wie Großbritannien und der EU-Länder auf den Bombenzetteln der iranischen Hilfstruppen stehen, ist schwer abzusehen. Die Regeln der Kriegsführung sind um ein erneutes Mal gebrochen, jede Berechenbarkeit und jedes Einhalten internationaler Regeln ist futsch. Und dies ist das Ergebnis der gewaltsamen und aggressiven US-Außenpolitik per Drohnen-Terroranschlag gegenüber dem Iran.

Wie es für die mutigen Menschen weitergeht, die derzeit ihr Leben riskieren, weil sie 40 Jahre ökonomische, ideologische, sexistische, kulturelle und intellektuelle Unterdrückung einfach satt haben, ist offen. Trumps Twitter-Zirkus, er stünde hinter ihnen, ist ein schöner Propagandaschachzug, kann sich aber schnell als hohle Schaumschlägerei erweisen. Wann das Regime zuschlägt und wieviele Opfer das Auflehnen diesmal kosten wird, ist eine Frage von Tagen und Wochen. Die Mullahs und ihre “Revolutionsgarden”, die sich in Brutalität nicht vom einstigen Geheimdienst SAVAK des Schah unterscheiden, haben seit 40 Jahren keine Skrupel gezeigt. Warum sollten sie jetzt welche entwickeln?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net