von Ulrich Horn
Die Ära Merkel klingt aus

Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Söder, verlangt, das Bundeskabinett zu verjüngen. Deutschland müsse schneller erneuert werden. Veränderungsbedarf sieht er in der Wirtschaftspolitik. Sie ist nicht bei der CSU angesiedelt, sondern bei der CDU. In Koalitionen gilt: Jeder Partner besetzt seine Ressorts nach eigenem Belieben. Weil Söder dieses Prinzip tangierte, fand er starken Nachhall. Es scheint, als sitze er so fest im Sattel, dass er der CDU-Kanzlerin Merkel Vorschriften machen könne. Doch der Schein trügt. Fest im Sattel sitzt nicht er, sondern sie.

Unablässige Dampfplauderei

Im Vorjahr prophezeiten die Medien Woche für Woche der Großen Koalition das Ende. Was blieb von dieser Prognose? So gut wie nichts. Das unablässige Gebrummel in Politik und Medien erwies sich als Dampfplauderei. Die nächste Bundestagswahl wird turnusgemäß im Herbst 2021 stattfinden, egal, ob die Koalition hält oder nicht.

Wer kann Merkel aus dem Amt drängen? Sie kann bis zum Ende der Legislaturperiode regieren, wenn sie es will. Sie verfügt für 2020 über einen Haushalt. Mitte des Jahres wird Deutschland mit ihr an der Spitze die Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen. Wer will in dieser Zeit die Koalition brechen?

Vorgezogene Neuwahlen im nächsten Jahr machen keinen Sinn. Bis zur regulären Wahl im Oktober bleibt im Jahr gerade noch Zeit für den regulären Wahlkampf. Auch die Umfragen sprechen gegen den Koalitionsbruch und Neuwahlen. Die Mehrheit will Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt sehen.

Keine Gefahr mehr

Die SPD ist zu schwach, um die Koalition zu brechen. Die SPD-Chefs amtieren erst seit einem Monat und verschleißen sich schon. Walter-Borjans plaudert pausenlos, wie ein undichter Wasserkran tropft. Esken neigt dazu, jeden in ihrer Umgebung zu beißen. Beide spalten die SPD. Deren Umfragewerte sind so dürftig, dass die Partei den Koalitionsbruch fürchten muss. Vorgezogene Wahlen könnten ihr den Rest geben.

Auch aus der Union droht Merkel keine Gefahr mehr. Stünde bald eine Bundestagswahl an, käme die Union in große Verlegenheit. Niemand in ihren Reihen könnte rasch die hohen Sympathiewerte der Kanzlerin erreichen. Auch ist niemand zu erkennen, der die schwächelnde Union kurzfristig aufrichten könnte.

Merz ist für die Kanzlerkandidatur nicht zu gebrauchen. Er wäre als Lobbyist des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock angreifbar. Spahn fehlt es an Erfahrung, um die Kanzlerrolle auszufüllen. Und Laschet? Er kann erst nach Höherem greifen, wenn er ihm gelungen ist, die NRW-CDU so stark zu machen, dass er bei der NRW-Wahl 2022 als Ministerpräsident wiedergewählt wird.

strong>Aus dem Verkehr ziehen

Söder befindet sich in einer ähnlichen Lage. Die Union erwartet, dass er die CSU bei der Bundestagswahl 2021 starkmacht, damit die Union im Bund die 30-Prozent-Hürde und die CSU bei der nächsten Bayernwahl 2023 wieder die 40-Prozent-Marke deutlich übertreffen. Dass die Union nicht einmal mehr 30 Prozent erreicht, geht auf Söders Konto. Sein langer Machtkampf mit Seehofer und der Versuch der beiden, Merkel 2018 zu stürzen, trieben CSU- und CDU-Wähler in Scharen zu den Grünen.

Ob Söder die CSU zu alter Stärke führen kann, ist nicht sicher. Er sitzt erst ein Jahr im Sattel. Die Berliner Spitzenkräfte der CSU, die Minister Scheuer und Müller sowie der Chef der CSU-Landesgruppe Dobrindt, machten Karriere, als Söders Intimfeind Seehofer die CSU führte. Dobrindt und Scheuer waren dessen Generalsekretäre. Sie haben in der CSU beachtlichen Rückhalt, den Söder offenbar als hinderlich empfindet.

Söder muss damit rechnen, dass ihn Seehofers Netzwerke noch stärker belasten, sollte Scheuer demnächst vor dem Mautuntersuchungsausschuss des Bundestages Woche für Woche negative Schlagzeilen produzieren. Sie würden auf Söder zurückfallen und seinen Plan erschweren, die CSU und Bayern zu erneuern. Alle Welt würde sich fragen, warum er Scheuer nicht aus dem Verkehr ziehe. Dieses Versäumnis würde Söder als Führungsschwäche angelastet. Leisten kann er sich diesen Vorwurf kaum.

Der Zwickmühle entkommen

Er steckt in der Zwickmühle. Einerseits: Er muss verhindern, dass ihm Scheuer mit seinen Mautproblemen und Seehofer mit seinen Anhängern in der CSU das Leben schwermachen. Luft bekommt Söder erst, wenn er es geschafft hat, Leute in Führungspositionen bringen, die ihm und nicht Seehofer verpflichtet sind. Es reicht halt nicht, im Sattel zu hocken. Söder muss auch die Füße in die Steigbügel und die Zügel in die Hand bekommen.

Andererseits: Er kann es sich noch nicht leisten, Scheuer offen zur Disposition zu stellen. In der CSU würde man Söder vorwerfen, er falle Scheuer in den Rücken. Aus dem gleichen Grund kann Söder auch Seehofer, Müller und Dobrindt nicht thematisieren. Ein solches Vorgehen würde Söder selbst stark schaden.

Mit seinem Vorstoß, das Kabinett zu erneuern, will Söder der Zwickmühle entkommen. Sein Kniff: Um Veränderungen im Kabinett ins Gespräch zu bringen, benutzt er CDU-Wirtschaftsminister Altmaier, ohne ihn beim Namen zu nennen. Kritik aus der CDU muss Söder für diesen Schachzug nicht fürchten. Altmaier ist auch in der CDU umstritten. Deren Konservative würden ihn lieber heute als morgen gegen Merz austauschen.

Noch nicht gefestigt

Söders Angriff auf Altmaier stabilisiert den Wirtschaftsminister. Dass Merkel ihn auf Zuruf der CSU austauscht, ist unwahrscheinlich. Mit seiner Spitze gegen Altmaier aber rückt Söder indirekt auch die CDU-Größen Seehofer, Müller, Scheuer und Dobrindt in den Fokus. Es ist wohl der eigentliche Zweck seines Vorstosses. Wenn von Verjüngung des Kabinetts die Rede ist, gerät zwangsläufig Seehofer in den Blick. Er ist mit 70 Jahren der Älteste im Kabinett und nach Söders Maßstab der erste, der aufs Altenteil müsste.

Würde die CDU Altmaier gegen Merz auswechseln, fiele es Söder leichter, auch auf der CSU-Seite des Kabinetts neues Personal durchzusetzen. Der neue CSU-Chef könnte sich über diesen Weg selbst stabilisieren. Dass er zu diesem Zweck die Schützenhilfe der CDU beanspruchen will, zeigt, dass seine Position ungeachtet seiner forschen Auftritte und seines Medienzuspruchs noch ungefestigt ist.

Die Verhältnisse zwischen CDU und CSU haben sich unter den neuen Parteichefs der Union entspannt. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hätte Söders Ansinnen zurückweisen können. Sie tat es nicht. Sie lässt ihn freundlich zappeln. Sie zeigt sich grundsätzlich zum Personalwechsel bereit, deutet aber einleuchtende Einwände an. Die CDU werde Ende 2020 ihr Programm zur Erneuerung der Republik vorlegen. Die neuen Leute im Kabinett müssten in der Lage sein, es glaubhaft zu verkörpern. Auch müsse der nächste CDU-Kanzler Minister auswählen können, um dem geplanten Aufbruch Nachdruck zu verschaffen.

Ins Abseits drängen

Alles deutet darauf hin, dass der CDU-Teil des Kabinetts nicht umgebaut wird, solange Merkel noch Kanzlerin ist. Dennoch hat Söder ein Minimalziel schon jetzt erreicht. Sollte der Untersuchungsausschuss, der sich mit dem CSU-Projekt Maut befasst, Scheuer in die Enge treiben, kann Söder für sich beanspruchen, die Gefahr nicht verschlafen, sondern rechtzeitig auf sie hingewiesen zu haben. Im Ernstfall wird Söder Scheuer ablösen können, ohne in der CSU auf unüberwindlichen Widerstand zu stoßen.

Gleichzeitig hat der CSU-Chef nun thematisiert, dass CSU-Innenminister Seehofer pensionsreif ist, ohne dass Söder diesen Punkt direkt angesprochen hat. Sollte Scheuer aus dem Kabinett herausfallen, wird der Druck auf Seehofer wachsen, sein Ministeramt aufzugeben und mit dem Rücktritt die Chance zu eröffnen, den CSU-Teil des Kabinetts zu erneuern.

Dieser Schritt ist längst überfällig. Es waren vor allem CSU-Bundesminister, die es versäumten, die allseits beklagten großen Defizite der Infrastruktur zu beheben. Ob sich der frühere Verkehrs- und Digitalminister Dobrindt noch als Chefs der CSU-Landesgruppe halten kann, ist eine spannende Frage. Er, Scheuer und Seehofer haben gegen alle Warnungen darauf bestanden, die Maut durchzusetzen, die der Europäische Gerichtshof als rechtswidrig scheitern ließ. Nun könnte dieses Projekt dazu beitragen, dass die drei CSU-Politiker, die es auf Biegen und Brechen realisieren wollten, ins Abseits zu drängen.

Trotz aller Mängel noch gut

Söders Forderung, das Kabinett umzubauen, rückt auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer in den Vordergrund. Sie hat durch ungeschickte Auftritte stark an Ansehen eingebüßt. Nun leidet sie unter schwachen Umfragewerten, ähnlich wie Söder unter dem schwachen CSU-Ergebnis der Bayernwahl. Beide Parteichefs haben damit zu kämpfen, sich inner- und außerhalb ihrer Parteien Respekt zu verschaffen.

Ihre Vorgänger Merkel und Seehofer bekämpften sich, bis die Union Schaden nahm und viele Sympathisanten verlor. Kramp-Karrenbauer und Söder vermeiden es, ihre Differenzen öffentlich auszutragen. Beide kooperieren demonstrativ. Sie stützen sich. Sie wissen, dass sie sich brauchen, um erfolgreich zu sein. Diese Einsicht bietet der Union gute Aussichten, die nächste Bundesregierung anzuführen.

Die Union verdankt diese Perspektive weniger ihrem Vermögen als den Defiziten ihrer Konkurrenten. Die Grünen kleben an der 20-Prozent-Linie. Die SPD wird immer schwächer, weil sie ihre Konflikte nicht in den Griff bekommt. Sie schrumpft der FDP entgegen, die sich der politischen Gestaltung verweigerte und nun die Fünf-Prozent-Hürde vor Augen hat. Die Linke verlor die Orientierung. In der AfD geben zunehmend Rechtsextremisten den Ton an. Da geht es der Union trotz aller Mängel noch gut. Die Kanzlerin hat ihr die schwarz-grüne Option geöffnet. Sie könnte nach Merkels Amtszeit Wirklichkeit werden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von post-von-horn.de, mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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