Von Günter Bannas
In Krisenzeiten, lautet ein Lehrsatz der Politik, sei die Stunde der Exekutive gekommen, womit nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung Regierungen gemeint sind – also gewählte Regierungschefs und ihre Minister nebst Verwaltungen.
In Krisen und historischen Umbrüchen, auch das lehrt die Erfahrung, purzeln politische Dogmen, Bräuche und Regelungen wie die Dominosteine. In diesen Tagen, Wochen und wahrscheinlich Monaten der Coronavirus-Krise droht ein weiterer Grundsatz abhanden zu kommen – der vom Primat der Politik. Zitat Angela Merkel: „Ich sage Ihnen auch ganz offen, dass der Maßstab nicht das ist, was wir glauben, was wir jetzt machen wollen, sondern der Maßstab ist, was uns die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Thema sagen. Vor allen Dingen ist auch die Zahl der Fälle, die sich neu infizieren, der Maßstab.“ Virologen und das Robert Koch-Institut bestimmen die Richtlinien der Politik, was laut Grundgesetz der Bundeskanzlerin zukommt. Oder geht es etwa um das Abschieben von Verantwortung?
Der Umgang der Politik mit dem Coronavirus stellt alles Bisherige in den Schatten – sogar die Katastrophe von Fukushima 2011, nach der binnen eines Wochenendes die Anhänger der Kernenergie den Atomausstieg durchsetzten. Verfassungsrechtliche Regeln und Grundsätze sind betroffen. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes („Schwarze Null“) steht vor dem Aus. Grenzen werden geschlossen. Ausgehverbote werden veranlasst. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Das Recht auf einen Kita-Platz wird ausgehöhlt. Ein Gesetz zur Regelung des Kurzarbeitergeldes wurde innerhalb eines Tages eingebracht und verabschiedet. Die Befassung der Abgeordneten (auch die der Opposition!) wurde auf ein – eigentlich kaum erträgliches – Minimum verkürzt. Parteitage, die ja der demokratischen Willensbildung dienen, werden verschoben. Grundrechte sind betroffen: Durch das Verbot von Gottesdiensten (während der Ostertage!) das Recht auf freie Religionsausübung. Durch das Verbot von „Zusammenkünften in Vereinen“ ist das Versammlungsrecht gefährdet, das für das Demonstrationsrecht konstitutiv ist. Der Ausnahmezustand ist für eine Übergangszeit (noch?) erträglich, weil die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden die Bewährungsprobe zu bestehen scheinen. Doch ob alles bedacht ist, wird sich noch erweisen. Nicht die Wissenschaft, die Politik steht in der Verantwortung.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.
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