Viele haben jetzt mehr Zeit. Zum Lesen, auch zum Schreiben. Das ist gut. Krisen haben immer auch gute Seiten, sie halten die Maschine vielleicht nicht an, bremsen und stören sie aber. Eine Chance. Sie kann sehr unterschiedlich genutzt, leider auch komplett verpennt werden.
Im Fußball liess sich in den letzten Wochen studieren, wie die Fußballoligarchen aus den Hamsterrädern der Maschine nicht herausfanden, die bei ihnen verhassten Ultra-Fans aber sehr wohl. Während ich hier schon mehrmals das Versagen des professionellen deutschen Journalismus beklage, überraschen mich die Borussia-Fans auf seitenwahl.de mit einem intellektuell elaborierten Pro und Contra, zu dem die Publizismus-Profis weitgehend ausserstande sind. Vergleichen sie die zwei seitenwahl-Texte mit Jonas Schaible/Sp-on, sicher nicht der Dümmste seiner Redaktion – ich erkenne keinen Niveau-Unterschied.
Endlich, endlich hat die Debatte eingesetzt, wie aus dem vermaledeiten Ausnahmezustand wieder herauszufinden ist. Es wird, wenn es annähernd vernünftig läuft, in der Nähe von dem hier sein.
Was in diesen, leider herausragenden, Texten komplett ausgeblendet bleibt, sind die politischen, ideologischen, ökonomischen und (a-)sozialen Interessen. Die sterben so wenig wie ein Virus, sondern sind unsterblicher Bestandteil menschlicher Gesellschaften. Jetzt ist die Zeit der unbemerkten Putschversuche: Grundrechte können geschleift oder geschliffen werden. Ökonomische Interessen können ins Trockene gebracht werden, während ringsherum “alles” (das keineswegs!) zusammenbricht. Gewohnheiten, die vorher keine waren, können etabliert werden. Ist der Diskurs darüber frei? Nein, er ist, wie alle gesellschaftlichen Prozesse (u.a. auch “die Wissenschaft”), vermachtet.
Sie haben jetzt mehr Zeit. Achten Sie darauf!
Und wenn Sie keine Zeit haben, weil Sie in der Pflege, Kurierlogistik oder an der Kasse schuften müssen, müssen Sie noch mehr darauf achten. Denn sie sind es, denen das Fell am meisten über die Ohren gezogen wird.
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