Ein behutsames Vorgehen an der nächsten Front im Krieg gegen Corona will der US-Präsident. Dabei lässt er den Gouverneuren freie Hand. Wenn’s schiefgeht, sind sie schuld
Vage und unbestimmt, zugleich vorzüglich für künftige Schuldzuweisungen an andere geeignet: Der mit Spannung erwartete Fahrplan von US-Präsident Donald Trump zur Lockerung der Corona-Einschränkungen ist kein Konzept, sondern ein weiterer Meilenstein in einer Kommunikationsstrategie, die sich in den letzten Jahren als erfolgreich erwiesen hat. Gut möglich, dass die Rechnung aufgeht.

Auf wachsende Verständnislosigkeit und ohnmächtigen Zorn stößt das bei US-Demokraten, bei liberalen Medien und vielerorts in Europa. Wie kann es sein, dass Donald Trump mit dreisten Lügen durchkommt, dass sein penetrantes Eigenlob von seiner Anhängerschaft bejubelt wird und dass es ihm gelingt, jegliche Verantwortung von sich abzuwälzen? Hinter solchen Fragen steht der Wunsch, den US-Präsidenten zu „entlarven“. Wenn das endlich gelingt, so die Hoffnung, dann wird der Spuk ein Ende haben.

Es ist jedoch fraglich, ob es darum überhaupt geht. Wählerinnen und Wähler von Trump werden oft für naiv und leicht manipulierbar gehalten. Das ist intellektueller Hochmut. In Interviews geben nämlich viele zu erkennen, dass sie den US-­Präsidenten durchaus durchschauen. Aber sie haben sich so lange vom politischen Establishment belogen und ­betrogen gefühlt – übrigens nicht immer zu Unrecht –, dass sie Genugtuung empfinden, wenn jemand es „denen da oben“ mal zeigt und sich nicht an Spielregeln hält.

Zur Erinnerung: Im letzten Vorwahlkampf haben auch die meisten Republikaner auf Trump herabgesehen und ihn verachtet. Von seinem Sieg wurden sie kalt erwischt.

Der vermutlich größte Erfolg des US-Präsidenten besteht darin, dass es ihm gelungen ist, ein Bild von „den“ Medien als gegnerischer Partei zu zeichnen. Seit er das erreicht hat, können diese veröffentlichen, was sie wollen – sie werden von einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr als unabhängige Stimmen ernst genommen. Jonathan Karl, Chefreporter von ABC News in Washington und Autor des neuen Buches „Front Row at the Trump Show“, kennt Donald Trump seit 1994 und steht ihm äußerst kritisch gegenüber. Aber er hat in einem Gespräch mit dem Guardian auch begründet, warum aus seiner Sicht manche Journalisten an der Entwicklung nicht unschuldig sind.

Ein CNN-Reporter habe im Fernsehen dazu aufgerufen, gegen den Präsidenten zu demonstrieren. Dazu Karl: „Wir sind keine Demonstranten. Wir sind nicht der Widerstand. Wir müssen über einen Präsidenten fair und objektiv berichten.“

Donald Trump macht einem das nicht leicht, zugegeben. Bei Bedarf igno­riert er die Verfassung, erwägt öffentlich, den Kongress in die Ferien zu schicken, und erklärt sich selbst für allmächtig. In your face – da habt Ihr’s! Seine Pressekonferenzen gleichen Kundgebungen. Seine Vorwürfe an China oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erwecken den Eindruck, das Coronavirus sei eine Kriegswaffe, die sich entsprechend mit kriegerischen Mitteln bekämpfen lasse.

Anhänger von Trump demonstrieren in Michigan, wütend und aggressiv, für eine Aufhebung der Corona-Einschränkungen. Die demokratische Gouverneurin des Bundesstaates, Gretchen Whitmer, ist eine der schärfsten Kritikerinnen des US-Präsidenten. Möglicherweise wird sie von dem demokratischen Bewerber Joe Biden als Vize benannt. Zufall, dass die Proteste nicht in Loui­siana stattfanden, einem Kernland von Trump? Kaum.

Es ist erst wenige Tage her, dass der US-Präsident – unter souveräner Missachtung der Verfassung – sich selbst zum Befehlshaber über die Gouverneure der Bundesstaaten erklärt hat. Nun „erlaubt“ er diesen, selbst über Lockerungen zu entscheiden. Als „Rückzug“ oder als „Einknicken“ wird das in Kommentaren beurteilt. Quatsch. Wenn’s funktioniert, ist es sein Erfolg. Wenn nicht, dann liegt es an anderen.

Ob es für Trump am Ende reichen wird, ob er die Wahl erneut gewinnt: das kann niemand wissen. Aber blöd – nein, blöd ist sein Kurs nicht. Leider.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.