Die EU will Whistleblower schützen, eine Richtlinie ist verabschiedet. Die deutsche Umsetzung könnte das Ziel konterkarieren – wenn es nach Peter Altmaier geht.

Wer in Deutschland als Whistleblower an die Öffentlichkeit geht, ist Repressalien durch den Arbeitgeber fast schutzlos ausgeliefert. Obwohl Hinweisgeber*innen wie Edward Snowden, Antoine Deltour oder Chelsea Manning in der deutschen Öffentlichkeit ein hohes Ansehen genießen, verfügt Deutschland bisher über kein Whistleblower-Schutzgesetz.

Das schreckt sicher viele Menschen davon ab, ihre eigene Karriere aufs Spiel zu setzen, um Missstände aufzudecken und damit der Allgemeinheit zu helfen. Eine neue EU-Richtlinie soll endlich Abhilfe schaffen, doch das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) setzt gerade hinter den Kulissen alles daran, ein allgemeines deutsches Whistleblower-Schutzgesetz zu verhindern.

Gesellschaftliche und finanzielle Vorteile

Es besteht kein Zweifel – vom Whistleblowing profitiert die gesamte Gesellschaft. Nicht nur sorgen interne Hinweisgeber*innen in Unternehmen oder Verwaltungen immer wieder dafür, dass echte gesundheitliche Gefahren von der Allgemeinheit abgewendet werden, die Aufdeckung von Steuer- und Korruptionsskandalen hat auch Milliarden an Steuergeldern in öffentliche Kassen gespült.

Für diesen Dienst an der Gesellschaft nehmen mutige Einzelpersonen immer wieder große Risiken in Kauf: Arbeitgeber reagieren oft mit Repressalien, obwohl eine frühzeitige Korrektur von Fehlverhalten sie vor massiven Imageschäden und auch Bußgeldern bewahren könnte. Die Reaktionen gegen Whistleblower in den eigenen Reihen reichen von Mobbing über versagte Beförderungen bis hin zu arbeitsrechtlichen Schritten. Beamte, die ihre Verschwiegenheitspflicht brechen, können sogar strafrechtlich verfolgt werden.

Wer am Arbeitsplatz einen Missstand bemerkt und diesen aufdecken will, sieht sich in Deutschland mit einem Wirrwarr an lückenhaften Regeln konfrontiert und kann im Ernstfall kaum darauf zählen, dass das Gesetz konkreten Schutz bietet. In den wenigen Rechtsbereichen, wo überhaupt ein Whistleblower-Schutz besteht, gilt dieser in aller Regel nur für Meldungen an spezielle Beschwerdestellen, der Gang an die Presse ist nicht vorgesehen. So können sich etwa Soldat*innen an den Wehrbeauftragten des Bundestages wenden, oder Meldungen von Datenschutzverstößen an den Bundesdatenschutzbeauftragten sind möglich.

EU hat Wert von Whistleblowing erkannt

Deutschland ist indes nicht der einzige europäische Staat, der über mangelhaften Whistleblower-Schutz verfügt. In Luxemburg etwa wurde Antoine Deltour, der mit dem LuxLeaks-Skandal weitverbreitete Steuerumgehungs-Strategien großer Unternehmen aufgedeckt hatte, wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die erst nach jahrelangem Rechtsstreit schließlich von einem Berufungsgericht aufgehoben wurde. Es war vor allem der Deltour-Prozess, der in der europäischen Politik die lange Blockadehaltung gegen einen umfassenden Whistleblowerschutz aufgeweicht hat. Zu groß war die Diskrepanz zwischen dem hohen gesellschaftlichen Wert der LuxLeaks-Enthüllungen, die das Europaparlament sogar veranlasste, Deltour einen Preis zu verleihen, und der harten gerichtlichen Verfolgung seiner Taten.

Kurz vor den Europawahlen war es der EU endlich gelungen, eine umfassende Whistleblowerschutzrichtlinie zu verabschieden. Ziel des europäischen Gesetzgebers war dabei ganz klar, einen europaweiten Mindeststandard für den Whistleblower-Schutz zu schaffen, der alle Gesellschaftsbereiche umfasst, völlig egal, ob es um die Aufdeckung von Umweltverschmutzung, Korruption oder Sicherheitsrisiken geht. Kernpunkte der Richtlinie sind die Einrichtung von internen und externen Beschwerdestellen in Firmen und öffentlichen Institutionen, der Schutz der Identität von Whistleblowern und das Verbot von gerichtlicher Verfolgung oder Repressalien am Arbeitsplatz. Explizit sollen auch Hinweisgeber*innen geschützt werden, die mit Informationen über Missstände direkt an die Öffentlichkeit gehen, wenn es in ihrem Fall nicht sinnvoll oder Erfolg versprechend ist, sich zunächst an Beschwerdestellen zu wenden.

Einheitlicher Schutz oder Flickenteppich

Alle Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die neue Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, aber weil die EU nicht für alle Politikfelder zuständig ist, ist sie für die Einführung eines allumfassenden Whistleblower-Schutzes auf den guten Willen der nationalen Regierungen angewiesen. Beispielsweise das Strafrecht oder die Gesundheitspolitik liegen weitestgehend im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Die Whistleblower-Schutzrichtlinie verfolgt deshalb den Ansatz, die nationalen Gesetzgeber so weit wie möglich zu verpflichten, ein allgemeingültiges Whistleblower-Schutzgesetz zu verabschieden, ohne dabei aber die Grenzen der europäischen Gesetzgebungskompetenz zu übertreten. Zu diesem Zweck enthält die Richtlinie einen langen Anhang, in dem alle europäischen Gesetzesakte aufgezählt sind, für die die neuen Regeln gelten müssen. Auf gut zehn Seiten sind dabei schlichtweg alle Bereiche aufgezählt, in denen Whistleblowing denkbar ist und für die die EU zuständig ist.

Der Wille der EU ist klar: Whistleblower sollen geschützt werden, völlig unabhängig davon, in welchem Bereich sie Missstände aufdecken. Zwar kann die Richtlinie den Whistleblower-Schutz nur mit Bezug auf Verstöße gegen das EU-Recht verpflichtend machen, es heißt aber im Gesetzestext ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten diesen Whistleblower-Schutz auf andere Rechtsbereiche ausdehnen können. Eine solch explizite Aufforderung an Mitgliedstaaten, eine weitergehende Regelung in Betracht zu ziehen, ist ein durchaus ungewöhnliches, starkes Zeichen.

SPD-Ministerin will umfassenden Schutz

Das federführende Justizministerium unter Ministerin Christine Lambrecht (SPD), das die neue Whistleblower-Schutzrichtlinie bis Ende 2021 in deutsches Recht umsetzen muss, ist durchaus bereit, dem Sinn und Zweck der Richtlinie zu folgen. In einem ersten Eckpunktepapier, das kürzlich an die anderen Ministerien verschickt wurde, schlägt das Justizministerium die Umsetzung der Richtlinie in Form eines allgemeinen Whistleblower-Schutzgesetzes vor, das für alle Rechtsbereiche gilt, egal ob europäisches oder nationales Recht.

Das Justizministerium führt in dem Eckpunktepapier aus, dass eine solche einheitliche Regelung der einzig logische Weg ist. Alles andere würde laut Justizministerium zu absurden Ergebnissen führen, etwa dass das Whistleblowing zur Meldung von Verbraucherschutzverstößen geschützt wäre, nicht aber zur Aufdeckung schwerer Straftaten. Für die Betroffenen sei es nicht nachvollziehbar, wenn sie nur dann vor Repressalien geschützt werden, wenn der Rechtsverstoß, den sie melden, auf das Europarecht zurückzuführen ist. Auch der deutsche Gesetzgeber würde von einem allgemeinen Whistleblower-Schutzgesetz profitieren, das nicht zwischen Verstößen gegen nationales und europäisches Recht unterscheidet. Sonst, so das Justizministerium, müsste der Whistleblower-Schutz immer wieder auf neue Änderungen im Europarecht angepasst werden. Das sei nicht nur umständlich, Deutschland stehe auch in der Verantwortung, ein für hinweisgebende Personen verständliches und in sich stimmiges Gesetz zu verabschieden.

CDU will Whistleblower zum Schweigen bringen

Gegenwind bekommt das Justizministerium vom Koalitionspartner. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist offenbar fest entschlossen, den Whistleblower-Schutz durch kleinliche Verweise auf die Unterschiede zwischen europäischer und deutscher Gesetzgebungskompetenz zu sabotieren. Wie kürzlich durch das Whistleblower-Netzwerk bekannt gemacht wurde, sträubt sich das Wirtschaftsministerium dagegen, auch nur einen Schritt über das europarechtlich vorgeschriebene Minimum des Whistleblower-Schutzes hinauszugehen. Jegliche Empfehlungen des Justizministeriums, die auf ein allgemeines Whistleblower-Schutzgesetz hinweisen, wurden durch das Wirtschaftsministerium in der Ressortabstimmung gestrichen. Stattdessen verlangt das Haus von Minister Altmaier, die Richtlinie praktisch Wort für Wort in deutsches Recht zu übertragen, womit der Schutz vor Repression ausschließlich für Personen gilt, die Verstöße gegen europäisches Recht aufdecken.

Mit dieser an Arbeitsverweigerung grenzenden Einstellung sieht das Wirtschaftsministerium die Verantwortung des deutschen Gesetzgebers also darin, das absolute Mindestmaß dessen umzusetzen, wozu es durch die EU-Gesetzgebung ohnehin gezwungen ist. Wenn ein Rechtsbereich in nationale Kompetenz fällt, dann sollen Whistleblower, die etwa über Missstände im Gesundheitswesen aufklären, keinerlei Schutz erhalten. Offensichtlich sieht die CDU im Whistleblower-Schutz keinen Dienst an der Gesellschaft, sondern ausschließlich eins: eine Gefahr für die Interessen von Unternehmen.

Festgeschriebene Rechtsunsicherheit

Die Strategie, den Whistleblower-Schutz in der Praxis unanwendbar zu machen, beruht vor allem auf Verwirrung und Abschreckung: Wer ist schon ohne umfassende juristische Ausbildung in der Lage zu beurteilen, ob eine bestimmte Rechtsverletzung auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie zurückzuführen ist oder nicht? Das ist eine Unterscheidung, die selbst für geschulte Jurist*innen nicht immer ganz einfach ist, und sich obendrein regelmäßig ändert.

Whistleblowing-Fälle waren in Deutschland immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren, die bis an die höchsten Gerichte gegangen sind. In Ermangelung eines gesetzlichen Whistleblower-Schutzes mussten sich die hinweisgebenden Personen auf ihre Grundrechte berufen. Diese Fälle zeigen, dass es in Deutschland große Rechtsunsicherheit gibt. Diese Rechtsunsicherheit will die CDU nun mutwillig aufrecht erhalten, indem sie die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie so kompliziert und lückenhaft wie möglich gestaltet.

Um zu verhindern, dass Whistleblower vom Aufdecken wichtiger Informationen abgeschreckt werden, ist es elementar, dass der Whistleblower-Schutz einheitlich in einem einzigen, übersichtlichen Gesetz geregelt ist. Damit werden nicht nur diejenigen geschützt, die Verstöße gegen EU-Recht aufdecken, etwa beim Datenschutz oder der Produktsicherheit, sondern die gleichen Regeln müssen selbstverständlich auch für nationales Recht gelten, etwa bei Missständen in der Pflege oder dem Aufdecken von Straftaten. Ein offizieller Gesetzesentwurf vom Justizministerium wird für den Herbst erwartet. Dann wird sich zeigen, ob die Vernunft sich im koalitionsinternen Machtkampf durchsetzen konnte.

Die Texte der Kolumne “Edit Policy” stehen unter der Lizenz CC BY 4.0, hier übernommen von heise-online.

Über Julia Reda (Gastautorin):

Julia Reda war von 2014 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments innerhalb der Fraktion Die Grünen/EFA. Später hat sie im Rahmen eines Fellowships am Berkman Klein Center for Internet & Society der Harvard University geforscht und arbeitet seit 2020 bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte in Berlin. Ihre Kolumne "Edit Policy" erscheint unter der Lizenz CC BY 4.0. | Foto: CC-BY Diana Levine