Hans-Joachim Watzke, rhetorisch geschickter Dortmunder Fußballfunktionär, sass in der Talkrunde bei “Lanz” im ZDF und tönte Mitleid und Solidarität heischend, als ginge es um die westfälischen und türkischen Kumpel im Schacht auf Zeche Admiral. Es gehe jetzt dringend darum, dass Fußballprofis endlich wieder ihren Beruf ausüben dürften. Das denkt mein Friseur auch, nur dass er keine Millionen pro Jahr verdient, sondern im Durchschnitt mit 28.000 € Umsatz auskommen muss – so das Friseurhandwerk – pro Jahr. Viele Restaurantbetreibende und Hoteliers denken ähnlich, viele Physiotherapeut*innen und Hebammen auch. Bei allen handelt es sich um Branchen, in denen Angestellte und Selbständige mit die niedrigsten Löhne bekommen. Deshalb ist dem 1. FC Köln, bei dem zwei Spieler und ein Betreuer positiv auf Covid-19 getestet wurden und seinem mutigen Spieler Birger Verstraete für seine Offenheit zu danken.
Alle Kontaktpersonen sind gleich – manche sind gleicher
Denn Verstraete, der in einer belgischen Zeitung seine Verwunderung darüber ausdrückte, dass nun nur diese drei Personen vom Kölner Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurden, formulierte eine zentrale Frage, die sich die Deutsche Fußballiga gefallen lassen muss: Verstraete wurde von dem positiv getesteten Physiotherapeuten behandelt und die beiden positiven Spieler gehörten zu seiner Trainings-Kleingruppe, mit einem absolvierte er am Donnerstag noch ein Partner-Krafttraining im Fitnessstudio. Vom Pförtner bis zur Bundeskanzlerin würde bei diesem Befund gelten: Alle Kontaktpersonen erster Ordnung – also die gesamte Trainingsgruppe inklusive Verstraete ab in die Quarantäne. Aber das würde die Unsinnigkeit des DFL-Konzepts sofort offenlegen, das mit rücksichtslosem Lobbydruck gegen die Mehrheit der Bürger*innen in Umfragen und gegen das Votum der Fußballfans durchgeprügelt werden soll.
Sportjournalismus in Zeiten der “Fußballschrifttumskammer”
Verstraetes Sorge ist nicht eigensüchtig und unbegründet: Seine Freundin ist herzkrank und gehört damit zur Risikogruppe. Trotzdem übte sein Arbeitgeber offensichtlich Druck auf ihn aus – noch am Sonntag entschuldigte sich Verstraete öffentlich – man fragt sich wofür? Ist es schon – 75 Jahre nach Ende der Nazizeit – wieder in Deutschland so weit, dass sich jemand dafür entschuldigen muss, Fragen zu stellen, die der Wahrheit dienen? Wo bleibt der Aufschrei der Öffentlichkeit? Weit gefehlt – für den “Kölner Stadtanzeiger” war es am Montag schon ein positiv erwähnenswerter Tatbestand, dass er weiter mit dem Gesamtkader trainieren darf. Dieser Ton entspricht ohnehin der Diktion des überwiegend gängigen Sport”journalismus” außerhalb der Fanszene, der landauf, landab den Eindruck erweckt, dass er im Umgang mit Kritik an DFL, DFB, UEFA und FIFA sowie dem internationalem Fußballkapital und einzelnen Investoren freiwillig so berichten, als gehörten sie einer Art internationaler “Fußballschrifttumskammer” an. So wundert auch nicht, dass der Urheber des inzwischen durch die Nachrichten gegangenen Videos, der Hertha-Spieler Salomon Kalou, dafür, dass er die wahren Verhältnisse in der Kabine veröffentlicht hat, von seinem Verein im Stile einer Fußball-Mafia sofort suspendiert worden ist. Vertuschung und Zensur sind im Sport offenbar an der Tagesordnung. Er wurde nun gezwungen zu erklären, er habe einen großen Fehler gemacht. Nein das hat er nicht, er hat die Wirklichkeit dokumentiert. DFL, Vereine und Funktionäre sind im Begriff, Methoden anzuwenden, die sonst nur aus Weißrussland bekannt sind und haben jede Glaubwürdigkeit verloren.
Fußball oder Qualitätsjournalismus?
Nicht anders kann doch verstanden werden, wie in den letzten beiden Wochen über ein sogenanntes “Konzept” der DFL berichtet wurde, das angeblich die Ansteckungsgefahr minimieren und endlich wieder Fußball in Form von Geisterspielen ermöglichen soll – was in Wirklichkeit ein inhumaner Menschenversuch ist. Ein Menschenversuch im Interesse von international marodierendem Kapital aus dubiosen Quellen wie den Ölstaaten u.a. Katar und einer dubiosen, oft kriminell erworbene Gelder waschenden und Spielsüchtige ausbeutenden Wettindustrie in Internet und Wettbüros. Einer Halbwelt, die über völlig überbezahlte Fernsehrechte ihre Macht inzwischen indirekt auch auf unsere öffentlich-rechtichen Medien ausübt, die immer wieder vor der Entscheidung stehen: entweder Geld für quotenbringenden Fußball oder Geld für soliden Qualitätsjournalismus auszugeben – weil die Milliarden nicht zweimal ausgegeben werden können. Diese Praxis ist im Begriff, unsere Demokratie ernsthaft Schaden zuzufügen.
Einzelhaft für Fußballprofis
Was also Sportfunktionäre den Fußballspielern und ihren Familien persönlich zumuten, übertrifft bei Weitem, was etwa Friseur*innen in Form der Vorsorgemaßnahmen am Arbeitsplatz trifft. So sollen die Profis der 1. und 2. Bundesliga die meiste Zeit der kommenden Wochen in Hotelzimmern zubringen, die sie nur für Trainingseinheiten verlassen. Die Kontakte mit den Familien werden auf sporadische Termine beschränkt. (Als ich diese las, fiel mir die entsprechende Passage des Buchs von Hans Schäfer, Mannschaftskapitän des 1. FC Köln und Linksaußen in der Weltmeister-Mannschaft von 1954 ein, in der er beschreibt, wie er und Zimmergenosse Horst Eckel während der WM mit ihren Frauen kommunizierten. Natürlich trafen sie sich heimlich im Park.) Als ehemaliges Mitglied der Strafvollzugskommission des Landtages halte ich den geplanten Alltag der Spieler ein bisschen vergleichbar mit dem von Gefängnisinsassen – allerdings ohne die Gitter: zugegeben, das Essen ist besser, die Unterkünfte luxuriöser, der Fernseher größer, das Sportprogramm ausführlicher, aber Freiheitsentzug und Fremdbestimmung zuzüglich medizinischer Verharmlosung und Sonderbehandlung nähern sich an. Da aber vermutlich kein Einschluss erfolgen wird, ist doch eher zu vermuten, dass zumindest die Minibars der Hotels nicht völlig alleine geleert werden und spätestens dann wieder das Abstandsgebot unterschritten wird.
Haben Millionen-Mietsklaven keine Grundrechte?
Nun wird mancher einwenden, das alles werde mit Millionensummen bezahlt, also könnte man sagen, es trifft keine Armen und die Jungs begäben sich ja freiwillig in die Hände der Vereine. Das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Mit ihrer Unterschrift haben die Spieler Arbeitsverträge unterzeichnet, aber die Rahmenbedingungen haben sich grundlegend verändert. Und auch die Spieler – nicht alle sind Millionäre – haben ein Recht auf menschenwürdige Behandlung. Das Konzept der DFL nimmt jedoch genau darauf keine Rücksicht und ignoriert oder verletzt möglicherweise wie im Fall Verstraete elementare Grundrechte, die da wären: Artikel 2 Absatz 2 GG das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Artikel 5 Absatz 1, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Artikel 6, Ehe und Familie stehen unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung. Artikel 11 GG, die Freizügigkeit – all dies wird für Spieler stärker eingeschränkt, als für alle Bürger, für die die Beschränkungen gerade schrittweise wegfallen. Ob ein Spielervertrag gleichzeitig ein Vertrag auf Verzicht auf Grundrechte sein kann, muss angezweifelt werden, zumal auch Sklaverei als grundrechtswidrig und unsittlich einzustufen ist.
DFL sofort stoppen
Armin Laschet möchte gern Bundeskanzler werden. Die beste Möglichkeit, seine Qualifikation hierzu zu beweisen, wäre die sofortige Aufgabe des Ansinnens der DFL, die unverantwortlichen Pläne und interessegeleitenten Spielplankonzepte für Geisterspiele sofort und für die Saison 2020 endgültig aufzugeben. Der von der DFL geplante Menschenversuch verstößt gegen die guten Sitten und schränkt Grundrechte unverhältnismäßig ein, ganz zu schweigen von der gesellschaftlichen Wirkung: wir verbieten den Kreisligaspielern Training und Wettbewerb, halten Schüler in Klassen und auf dem Schulhof an, Mindestabstände einzuhalten, isolieren Alte wie Schwerverbrecher vor ihren nächsten Angehörigen, aber gestatten es den Gladiatoren im Auftrag von SKY, DFL und der Wettindustrie, alle allgemein verbindlichen Abstandsregeln zu ignorieren? Die Normen des Infektionsschutzgesetzes, das den tiefen Eingriff in Grundrechte, den wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, rechtfertigten, gelten in einer solchen akuten Situation für alle und nicht für einzelne Gruppen. Die Glaubwürdigkeit der einschneidenden Maßnahmen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. Die DFL fordert Sonderrechte ein, die ihr nicht zustehen und gefährdet die Gesundheit ihrer Angestellten. Wer solchen Arbeitgebern einen Freibrief ausstellt, leistet damit einen politischen Offenbarungseid.
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