Immerhin: die Regierung Laschet will in NRW jetzt alle Schlachthof-Beschäftigten auf Covid-19 testen lassen. Es bleibt abzuwarten, ob das willkommenen Anlass gibt, ausgebeutete Opfer aus Deutschland abzuschieben. Oder endlich ihre Rechte als Arbeitnehmer*innen und EU-Bürger*innen im wahren Leben inkraft zu setzen. Es ist nicht nur Westfleisch/NRW, wie Beispiele in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und den USA zeigen: es ist ein Skandal der Agroindustrie.
Diese Industrie interessiert sich nicht für Mensch und Tier, sondern für Skaleneffekte und Profitraten. Das ist keineswegs aussergewöhnlich widerlich, sondern kapitalistisch. Darum glaubte der Westfleisch-Betrieb in Coesfeld ja auch, er sei “systemrelevant”. Wird die Krise also zur Systemüberprüfung genutzt? Schön wärs.
Gönnen Sie sich das Missvergnügen, und hören Sie sich an, was der bayrische CSU-MdB Max Straubinger heute morgen dazu zu sagen hatte (8 min.). Während DLF-Moderatorin Sandra Schulz die richtigen Fragen stellte, wusste der arme Kerl von nichts. Und will auch gar nichts herausfinden. Probleme kommen schon von alleine genug auf ihn zu. Warum soll er noch zusätzliche herausfinden? Ob Markus Söder diese Performance gefallen hat?
Ich habe noch eine Hausaufgabe für Sie (wir haben ja immer noch viel Zeit, und heute ist Samstag): geben Sie in Ihre Suchmaschine die Begriffe “Bayern Schlachthöfe” ein. Da finden Sie schon auf der ersten Trefferseite nur Interessantes, so viel, dass ich es gar nicht alles verlinken mag.
In der DDR war die Landwirtschaft schon so industriell vorstrukturiert, dass das einwandernde Grosskapital seit 1990 sein Glück nicht fassen konnte. Sowenig, wie sich heute die städtische Wohnungsgesellschaft Vebowag ein Grundstück in der Rheindorfer Strasse noch leisten kann, kann sich ein Bauer*eine Bäuerin heute noch den Erwerb einer Agrarfläche im Osten leisten. In der Hinsicht war Bayern das – gedacht antikommunistische – Gegenteil. Seine Landwirtschaft war kleingewerblicher, “familiärer” strukturiert. Das spiegelt sich in Spurenelementen auch noch in einer erstaunlichen Vielzahl (mehrere Dutzend, aber stark abnehmend) von Schlachtbetrieben. Bayern ist aber noch nie eine Keimzelle antikapitalistischen Widerstands gewesen, und also schon längst unter die kapitalistischen Monopolisierungsräder geraten.
Das heisst: die Agroindustrialisierung wird von dort nicht bekämpft, sondern verteidigt. Weil die bis heute übrig gebliebenen Besitzerfamilien-Clans glauben, und für sehr wenige, siehe Tönnies, stimmt das ja auch, dass sie mit den ganz Grossen mitspielen können. Und zufällig sind genau diese Familien sehr gut mit der CSU vernetzt und befreundet. Das ist nicht anders als in Sizilien.
Es wird jetzt also spannender als Geisterfussball, ob Söder gezwungen wird, ähnlich wie Laschet den Teppich über seinen Schlachthöfen hochzuheben. Es wäre ein Fortschritt.
Korrekturhinweis: ich einer ersten Version schrieb ich Westfleisch/Tönnies – in meinem Kopf sind die fiesen Monopolisten (Tönnies bundesweit Nr. 1, Westfleisch Nr. 3) “alle gleich”. Sind sie nicht. Richtig heisst es “Wettbewerber”.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net