Ich hab mir die Kölner Demo der Corona-Gegner angeschaut und war entsetzt. Zum einen einige offensichtlich unbedarfte Bürger*innen, allerdings in der Minderzahl, ansonsten ein Konglomerat von Nazis, Esoterikern, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, (“gib Gates keine Chance”) und Wirrköpfen bis zu Hardcore-Nazis – der Kölner Stadtanzeiger berichtete über einen als KZ-Häftling verkleideten Extremisten, der ein Plakat mit dem Titel “Maske macht frei” in die Höhe hielt. Ähnlich wie ein stadtbekannter Neonazi vor zwei Wochen in Berlin, der sich einen “Judenstern” als Armbinde angelegt hatte.

Man nennt es “Querfront”, die Rechten laden dazu ein und instrumentalisieren die Gutgläubigen und Naiven und manchmal auch welche, die links aussehen (Grüne Haare, Lederjacke), aber auch die können aggressiv blühenden Unsinn grölen. Eher im Hintergrund, nahe dem Veranstaltungspodium oder am Rand: tätowierte Hooligans, wie sie auch bei “Hogesa” oder “Pegida” aufgetreten sind. Aber selbst, wenn letztere in der Minderheit verbleiben, ist das, was dort versammelt ist, in Wort und Bild, T-Shirt und Alufolien-Kappe bestenfalls Zirkus, eher aber alle Formen von Abseitigem, eine wilde Mischung von Hörensagen, Gerüchten, Parolen, Antiaufklärung, Verwirrung, Allen gemeinsam geht es pauschal und ohne Ansehen irgendeiner Person gegen “die da oben, Merkel”, gegen “die Medien” (Lügenpresse) und die Wissenschaftler des RKI. Zum einen sind da die Corona-Leugner wie die in den USA, ganz in deren Nähe die Impfgegner, die – obwohl es nicht mal einen Impfstoff gibt, alles für eine Verschwörung zugunsten des “Impfzwangs” halten. Hinter der wiederum werden die WHO und letztlich Bill Gates vermutet, der angeblich Impfzwang und Immunitätsausweis erfunden hat.

Zumal beim letzten Thema mischen sich Thesen radikaler Esoteriker, verschwörungstheoretischer Anthroposophen und ernsthafte Datenschutzbedenken von ernstzunehmenden Bürgerrechtlern. Denn ein von Jens Spahn ebenso kritiklos wie inkompetent und vorschnell in Gesetzesentwürfe gepackt, stieß nicht nur die “Corona-App” mit Bewegungsbildern von Nutzern ebenso auf berechtigte Kritik wie sein “Immunitätsausweis”, der eine datenschutzrechtlich unzulässige und höchst fragwürdige Sammlung von Gesundheitsdaten darstellen würde. Nicht verwunderlich, dass dem Vernehmen nach dieselben US-Datenkonzerne diese gerne erfassen würden, die bisher schon mit “Google” “Facebook” und durch die Hintertüren, die bei Microsoft, in “Skype” und anderer Software bestehen, nahezu ein Viertel der Erdbevölkerung auszuspionieren und verdaten. Allerdings haben dieselben Personen, die den “Leitmedien” mißtrauen, offenbar unendliches Vertrauen in die Datenkraken der (a)sozialen Netzwerke, aus deren trüben Informationskanälen sie ihre Weisheiten beziehen. Deren Algorithmen bekanntermaßen Pornoguckern immer mehr Pornos und Verschwörungsgläubigen immer mehr Verschwörungsgeschichten anbieten. Mit Grundgesetz und Meinungsfreiheit haben die meisten Teilnehmer dieser Veranstaltungen nichts am Hut.

Um es klar zu sagen: Ich bin es leid, wie wenig klar und zaghaft mancher öffentlich-rechtliche Bericht diese Verdreher der Verhältnisse beim Thema Presse- und Meinungsfreiheit umgehen. Noch haben wir keine Verhältnisse wie in Australien, wo Herr Murdoch 95% des Medienmarktes kontrolliert, und ich möchte auch keine allumfassenden Fox-Fake-News oder Verhältnisse wie in vielen Ländern des nahen und fernen Ostens. Wer das nicht begreifen kann, dem empfehle ich einen Blick auf die 2020 aktuaisierte Weltkarte von “Reporter ohne Grenzen”, die sich gegenüber 2016 drastisch verschlechtert hat: Ich finde es vermessen und obszön, wie diese Spinner auf diesen “Demos” über die freie Presselandschaft der Bundesrepublik Deutschland denunzierend herziehen, und ich finde es bedenklich, verwirrt, maßlos und völlig absurd, wie zum Teil in esoterischen, anthroposophischen oder gar grün-nahen Foren, von denen ich Aufklärung und kritische Analyse erwARTE, die Maßstäbe derzeit offensichtlich völlig verrutschen.

Ebensolches würde ich auch von der FDP erwarten, stattdessen zeigen auch Christian Lindner und vor allem die Kemmerich-Teile der FDP einen bedenklichen Hang zum Flirt mit politisch verwirrten Rechten. So etwa die Naumann-Stiftung des Saarlandes, die dort “Villa Lessing” heisst, die Veranstaltungen mit dem rechten Grenzgänger und Journalist Roland Tichy und dem Verschwörungsideologen und Degussa-Sprecher Dr. Markus Krall, veranstaltet, der gegen die “Mainstreammedien” wettert, die Parteiendemokratie durch eine rechte Revolution abschaffen möchte. Der Millionär glaubt an die angebliche Kongruenz von Intelligenz und Reichtum von Eliten, befürwortet eine “bürgerliche Revolution” gegen die 68er, und eine Änderung des Waffenrechts. Er möchte das allgemeine und gleiche Wahlrecht abschaffen – Hartz IV- oder Bafög-Empfänger oder Beschäftigte eines subventionierten Betriebes sollte das Wahlrecht aberkannt werden. Auch hier gerät die Aufklärung offensichtlich bis ins bürgerliche Lager ins Rutschen.

Die gemeinsame Botschaft aller dieser Feinde der Verfassung und der Demokratie ist: Spaltung, Denunziation der demokratischen Prozesse im Parlament, Denunziation der unabhängigen – ja unabhängigen!!! – öffentlich-rechtlichen Medien als “Leit- und Mainstreammedien”, wobei die von allen möglichen Idioten beherrschten asozialen Medien toll gefunden werden. Wen wundert es, dass keine einzige der Bürgerrechtsorganisationen wie Humanistische Union, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Internationale Liga für Menschenrechte oder Digitalcourage, Amnesty International, oder Flüchtlingsräte, Terre des Femmes, IAF, Deutsche Vereinigung für Datenschutz, Initiative Volksentscheid e.V. – um nur einige zu nennen – bei keiner einzigen dieser Gruselveranstaltungen auftauchten oder gar dazu aufgerufen haben? Diese Veranstalter kämpfen nicht für Bürgerrechte, nicht für Grundrechte und schon gar nicht für Grundgesetz und Meinungsfreiheit, sondern für Denunziation der Demokratie, Verunglimpfung der konventionellen Medien, und Hass und Verwirrung im Netz. Und sie sind schon ganz schön erfolgreich dabei.

Wo zunehmend einzelne offene und gutwillige Personen oder Medienvertreter meinen, diesen verwirrten und zum Teil undurchsichtigen Demos ein Forum bieten zu müssen, und sei es nur, um dem Vorwurf der “Einseitigkeit” zu begegnen und auch denjenigen Grünen, Linken, Liberalen oder Autonomen, die meinen, da müsse man hingehen, weil man diese Demos nicht den Rechten überlassen dürfe, möchte ich zur Orientierung auf die folgenden Erfahrungen und Grundsätzliches zur “Bündnispolitik” verweisen:

Meine ehemalige politische Jugendorganisation, die Jungdemokraten, hat in den 70ern als zahlenmäßig kleine Gruppe – als es noch keine Grünen gab – viel kleiner als MSB Spartakus, SHB, Jusos oder K-Gruppen – in der Linken immer genau diskutiert, ob wir an etwas teilnehmen und dabei Bedingungen entwickelt und gestellt:
1. wenn uns die Ziele generell richtig erscheinen und keine antidemokratischen Inhalte dort vertreten werden;
2. ob es uns gelingt, wahrnehmbaren Einfluss zu nehmen und uns gegen problematische Gruppen erkennbar abgrenzen können,
3. mit einem eigenständigen Beitrag, Rede, Aktion erkennbar werden;
4. ausschließlich friedlicher Verlauf der Veranstaltungen sichergestellt ist;
5. solche Bündnisse auf gleichberechtigter Basis, mit gleicher, transparenter Vorbereitung und Durchführung erfolgen. Bei jedem einzelnen dieser Kriterien fallen diese Veranstaltungen durch!

Wer trotzdem teilnimmt, macht sich zum nützlichen Idioten. Hinzugehen heißt, den Böswilligen eine Basis zu verschaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Demokraten viel deutlicher klarstellen und dazu aufrufen müssen, dass sich ernsthaft um demokratische Rechte besorgte Menschen an so etwas nicht beteiligen. Demokratie ist niemals gewährt, sondern muß täglich neu erstritten werden – notfalls auch gegen Verwirrte und Gegenaufklärer. Die oben genannten Bürgerrechtsorganisationen sind aktiv. Hier kann Mensch sich engagieren, für Grundrechte, die Trennung von Kirche und Staat, gegen Polizeigewalt, für das Asylrecht, für den Schutz von Flüchtlingen, gegen den Überwachungsstaat und ausufernde Schnüffelei von Privatunternehmen, und auch gegen die elektronische Patientenakte und Immunitätsausweise. Aber garantiert ganz ohne Verschwörungstheorien, dafür mit Sachkunde, praktisch und politisch.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net